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# taz.de -- Dänemark nach dem Rechtsruck: Im Land der Kleineleutepartei
> Bei der Wahl im Juni hat die Dänische Volkspartei viele Mandate geholt.
> Wie erklärt sich der Erfolg der Rechten? Eine Spurensuche in der Provinz.
Bild: „Cold Hawaii“ nennen die Surfer die 70 Kilometer lange Küste vor Thi…
Thisted taz | Ein dänisches Sprichwort sagt, dass sich die Pferde beißen,
wenn der Trog leer ist. Auf der Halbinsel Thy in Nordjütland ist er leer.
Und deswegen ist es dort ein Leichtes, mit der Angst gegen Überfremdung zu
punkten. Noch nie war die Dänische Volkspartei (DVP) hier so stark wie
jetzt. Bei den Parlamentswahlen im Juni kamen die Rechtspopulisten auf über
30 Prozent.
Das Städtchen Thisted, mit 11.000 Einwohnern idyllisch am Limfjord gelegen,
ist das Verwaltungszentrum der gleichnamigen Kommune. Einer von Wind, Sand
und Dünen geprägten Region, deren Westküste sich von Agger im Süden bis
nach Lild Strand im Nordosten über 70 Kilometer erstreckt. Hier liegt auch
Dänemarks erster Nationalpark mit seiner charakteristischen Natur, die es
nur an wenigen Stellen in Europa so gibt.
Der stete Nordwestwind hier hat nicht nur die Natur, sondern auch die
Menschen geprägt. Sie sind genügsam wie die Hagebuttenrosen im sandigen
Nationalpark. Vor allem aber bekommen die Thyboer eine gesunde Skepsis
gegen Autoritäten mit in die Wiege gelegt. Diese Skepsis gilt besonders
gegenüber der Hauptstadt. Kopenhagen ist weit weg von Thy. Über die
Thyboer, die oft ihren eigenen Dialekt sprechen, das Thybomål, witzelt man
gerne, dass sich die Mehrwertsteuer in Thy noch nicht herumgesprochen
hätte. Den Handwerker bezahlt man nämlich gerne ohne lästige Quittungen.
Im alten Fischerort Vorupør, einst großer Landeplatz für Küstenboote, boomt
heute der Tourismus. Seit letztem Sommer gibt es hier das erste Meeresbad
Dänemarks, einen in den Sandstrand gebauten Swimmingpool. Louise Lindgaard
Johansen lebt hier, eine zierliche, dunkelblonde Frau von Anfang 30. Sie
arbeitet in Thisted als Fahrlehrerin, soeben hat sie einen Schüler zur
Führerscheinprüfung gefahren. Jetzt sitzt sie im Wartezimmer der Polizei in
Thisted und holt tief Luft.
## Der Kita-Retter
„Ich gebe gerne zu, dass ich diesmal die Volkspartei gewählt habe“, sagt
Johansen. „Und ich habe persönlich für Ib Poulsen gestimmt. Er war der
Einzige, der Flagge gezeigt hat, als der Gemeinderat unsere
Kindertagesstätte schließen wollte.“
So sieht sich die DVP am liebsten. Als die Partei des kleinen Mannes und
der kleinen Frau.
Der 50-jährige Ib Poulsen, hauptberuflich in der Hafenbehörde von Hanstholm
beschäftigt, Dänemarks größtem Fischereihafen, ist Mitglied des
Gemeinderats in Thisted, wo die Volkspartei mit 4 von 27 Mandaten vertreten
ist. Poulsen brach im November letzten Jahres aus dem kommunalen Bündnis
mit den Liberalen und Konservativen aus, um gemeinsam mit Sozialdemokraten
und Linker Liste die von Schließung bedrohten Schulen und
Kindertagesstätten in Thisted zu retten. Bei seinen Parteifreunden war er
danach unten durch. In Vorupør ist er ein Held.
## Das „Außenrand-Syndrom“
Der Journalist Hans Peter Kragh kennt Thy gut. Von 1985 bis 2013 war er
Chefredakteur der Lokalzeitung Thisted Dagblad. Als Pensionär und
gelegentlicher Kolumnist verbringt er jetzt viel Zeit mit den Enkeln. Seine
Pfeife muss er auch zu Hause draußen rauchen.
„Die Wahl war dieses Mal in besonderem Maße ein Kampf des ‚kleinen Mannes�…
gegen ‚die da oben‘“, sagt Kargh. „Ich nenne es das ‚Udkantssyndrom�…
Das Wort „Udkant“ bedeutet übersetzt „Außenrand“. Man hört es in let…
Zeit oft. „Udkantsdanmark“ hat es 2010 sogar auf die Liste für das Wort des
Jahres gebracht. Es bezeichnet die 30 strukturschwächsten Kommunen des
Landes. Wenn man sie auf einer Karte einzeichnet, ergeben sie die Form
einer Banane. Je weiter weg von der Hauptstadt, desto strukturschwächer die
Gemeinde. Daher nennt man sie auch „Rådden Banan“ – faule Banane.
## Die Banane ist faul
Dazu gehört auch die Halbinsel Thy, wo Landwirtschaft, Fischerei und die
angeschlossenen Industrien den Arbeitsmarkt prägen. Eigentlich gibt es hier
alles, was man braucht, um sich eine eigene Existenz aufzubauen. Billige
Häuser, viel Natur und vor allem Arbeit, denn auch der Tourismus bringt
Geld. Nirgends in Dänemark gibt es so wenige Arbeitslose wie in der Kommune
Thisted. Und trotzdem ist hier die Banane faul. Denn die Jugend wandert ab.
Zieht in die Großstädte, wo es Universitäten gibt. Und meist bleiben sie
dann dort.
„Die großen Flüchtlingsströme verfolgen hier alle im Fernsehen“, sagt
Kragh. „Und das schafft psychologische Realitäten im Kopf. Die Leute sagen
sich, dass das hier auf Dauer nicht gut geht. Hinzu kommt, dass sich viele
übergangen fühlen. Sie bezahlen die gleichen Steuern, doch das meiste
streicht Kopenhagen ein.“
Mit Themen wie Grenzen schließen, Kürzung der Sozialleistungen für
Asylbewerber und Auslagerung von staatlichen Arbeitsplätzen und Behörden in
die Provinz konnte die DVP punkten, meint der pensionierte Journalist.
„Dazu kommt die eher ablehnende Haltung der Partei gegenüber der EU.
Immerhin wurde die Volkspartei bei den Europawahlen stärkste Kraft – hier
und im ganzen Land.“
## Sozialdemokrat und „einer von uns“
Im Fischerdörfchen Lild Strand wohnen kaum noch Einheimische, Simon
Kollerup kommt von hier. Der 29-jährige Sozialdemokrat sitzt seit 2011 im
dänischen Parlament. Ein Kumpeltyp, der das politische Interesse von seinem
Vater geerbt hat, der über viele Jahre Gewerkschaftssekretär für die
Arbeiter der Fischindustrie war.
Kollerup ist mit 10.874 Direktstimmen einer der landesweiten Topscorer
seiner Partei. Das hängt auch damit zusammen, dass die Thyboer stets „einen
von sich“ wählen – und erst dann die Partei.
„Es ärgert mich“, sagt Kollerup, „dass die DVP jetzt, wo sie die größte
Kraft im bürgerlichen Block ist, immer noch keine Verantwortung übernimmt.
Warum sind sie nicht in die Regierung eingetreten? Ich habe meine
Parteifreunde immer dazu aufgefordert, die Volkspartei mit einzubinden. Nur
so können wir zeigen, dass diese Partei sich vor jeder Verantwortung
drückt.“
## Die Volkspartei entzaubern
Simon Kollerup beobachtet das auch in seiner eigenen Kommune. Die DVP
taktiere herum. „Jedes Mal, wenn es darum geht, notwendige und unpopuläre
Beschlüsse zu treffen, finden sie Ausflüchte. Wenn wir den Leuten zeigen
können, dass diese Partei keine Verantwortung übernehmen will, entzaubern
wir sie“, hofft er.
Bei Louise Lindgaard Johansen kommt er damit nicht durch. Ihre
Kindertagesstätte ist dichtgemacht worden. Und Ib Poulsen von der DVP
wollte sie retten.
„Es muss etwas passieren“, sagt die Fahrlehrerin, die gerade mit anderen
Eltern eine private Kindertagesstätte auf die Beine zu stellen versucht.
Dass die Volkspartei einen harschen Ton gegenüber Asylbewerbern und
osteuropäischen Migranten anschlägt, stört sie nicht – so wenig wie die
Tatsache, dass bisher nur Forderungen von der Volkspartei zu hören waren.
Und keine konkreten Lösungen.
## Nach rechts gerückt
Der Sozialdemokrat Simon Kollerup kann über solche Aussagen nur den Kopf
schütteln. Gerade seine Partei streitet mit der Volkspartei um die gleichen
Wähler. Dass die Sozialdemokraten auf die Forderungen der Volkspartei
eingegangen sind, sieht er heute als Fehler.
„Wir haben unsere Linie in der Ausländerfrage nach rechts verschoben. Doch
wir können diesen Kampf nicht gewinnen, wenn wir stets versuchen, uns der
Volkspartei anzupassen. Wenn wir sagen „maximal tausend Flüchtlinge“, dann
sagen die „hundert“. Sagen wir dann „hundert“, sagen sie „null“, un…
weiter. Da können wir schon deshalb nicht mithalten, weil die Versprechen
der Volkspartei quasi gratis sind, während wir selber bereit sind,
Verantwortung zu übernehmen.“
Ib Poulsen, der für die Volkspartei im Parlament sitzt, sieht Kollerups
Einwände gelassen. Wegen der internen Querelen ist er diesmal in einem
anderen Wahlkreis angetreten.
„Für uns gilt, dass wir das nach der Wahl tun, was wir vor der Wahl gesagt
haben. Dass wir nicht Teil einer bürgerlichen Regierung geworden sind,
hängt nicht damit zusammen, dass wir uns in unpopulären Fragen aus der
Affäre ziehen wollen. Keineswegs. Es hängt eher damit zusammen, dass wir
uns mit unseren Forderungen in den Verhandlungen mit den Liberalen nicht
durchsetzen konnten. Das sieht man zum Beispiel am Kindergeld für Ausländer
aus EU-Staaten, die hier keinen Wohnsitz haben. Das abzuschaffen ging mit
den Liberalen nicht. Das Gleiche gilt für die Schließung der Grenzen. Wenn
wir unsere Hauptforderungen nicht durchsetzen können, bleiben wir
standhaft. In künftigen Verhandlungen stehen wir nämlich besser da, wenn
wir nicht Mitglied einer Regierung sind, sondern deren
Mehrheitsbeschafferin.“
## Andere Kandidaten, dieselben Ideen
Für Thy und besonders den Hafen in Hanstholm, der für 2 Milliarden Kronen
(etwa 150 Millionen Euro) erweitert werden soll, will sich Poulsen
besonders einsetzen. Das schafft Arbeitsplätze und hilft vielleicht, die
Abwanderung zu stoppen. Darin sind sich alle lokalen Abgeordneten einig.
Wie in so vielen Dingen. Denn eigentlich sind die Unterschiede zwischen den
dänischen Parteien sehr gering.
Abgesehen von der Liberalen Allianz am rechten Rand und der
linkssozialistischen Einheitsliste stellt eigentlich keine Partei das
dänische Gesellschaftsmodell der sozialen Marktwirtschaft infrage. Die
Leute ließen sich zwar nicht mehr alles gefallen und wählten andere Köpfe,
sagt Hans Peter Kragh, „aber sie bekommen dasselbe“.
Der Wahlkampf ist vorbei, jetzt machen alle Urlaub. In Thy ist es wie immer
windig. Da freuen sich besonders die Surfer, die die Westküste liebevoll
„Cold Hawaii“ getauft haben. Alles beim Alten eben.
18 Aug 2015
## AUTOREN
Carsten Hougaard
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