# taz.de -- Illegitime Grenzkontrollen: Zum Bleiben gezwungen | |
> Die Bundespolizei kontrolliert vor der dänischen Grenze Züge auf der | |
> Suche nach Flüchtlingen. Kritiker sehen darin einen Verstoß gegen | |
> Schengen. | |
Bild: Raus aus dem Flensburger Hauptbahnhof: Bundespolizei kontrolliert in Schl… | |
Die Bundespolizei führt in Schleswig-Holstein großangelegte | |
Personenkontrollen vor der dänischen Grenze durch, obwohl diese nach dem | |
Schengener Abkommen nicht legitim sind. Denn ohne konkreten Verdacht | |
verstoßen solche Kontrollen gegen die vereinbarte Reisefreiheit. Die | |
Bundespolizei Bad Bramstedt greift bei ihren Aktionen auch regelmäßig | |
Flüchtlinge auf, die nur auf der Durchreise sind und in Deutschland kein | |
Asyl beantragen wollen. | |
Hintergrund der verstärkten Kontrollen soll laut Insider-Berichten auch | |
sein, dass die Bundespolizei im Norden ihre Legitimität untermauern möchte. | |
Bad Bramstedt sei „keine „Brennpunktdienststelle und so besteht die Gefahr, | |
dass weiteres Personal abgebaut und an Kriminalitätsbrennpunkte verlegt | |
wird“, so ein Informant zur taz. Die intensiven Fahndungsmaßnahmen an der | |
Grenze zu Dänemark seien allein deshalb durchgeführt worden, „um Vorgänge | |
zu schaffen, damit in der Dienststelle kein Personal abgebaut wird“. | |
Die Aufgabe der Bundespolizeidirektion Bad Bramstedt mit ihren Inspektionen | |
in Kiel und Flensburg ist eigentlich der „Schutz des Bundesgebietes in | |
Schleswig-Holstein“. Im Rahmen des Schengener Abkommens sind die | |
stationären Grenzkontrollen zwischen Dänemark und Deutschland abgeschafft | |
worden. Zulässig sind lediglich Stichprobenkontrollen 50 Kilometer um die | |
Grenze herum. Diese Stichproben dürfen nicht das Ausmaß von regulären | |
Grenzkontrollen haben. | |
Dennoch finden seit geraumer Zeit Kontrollen an den Grenzübergängen der | |
sogenannten Vogelfluglinie in Puttgarden auf der Ostseeinsel Fehmarn und an | |
der dänischen Grenze in Flensburg statt. „2014 haben wir auf der | |
Vogelfluglinie 1.450 Menschen aufgegriffen, bis Ende Juli 2015 waren es | |
schon 900“, sagt der Kieler Bundespolizeisprecher Gerhard Stelke. | |
Nun werden diese Kontrollen gemeinsam mit Bundesbeamten der Mobilen | |
Kontroll- und Überwachungseinheit auch am Kieler Hauptbahnhof durchgeführt. | |
Anfang August wurden dort binnen einer Woche 169 Menschen aus Syrien, | |
Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Somalia und dem Sudan aus den | |
Regionalzügen geholt, die morgens aus Hamburg kamen. Die Abgefangenen | |
wurden erkennungsdienstlich behandelt und in die Erstaufnahmeeinrichtung im | |
schleswig-holsteinischen Neumünster gebracht. | |
In Folge dieser Registrierung durch deutsche Behörden ist es für die | |
Flüchtlinge nach dem Dublin-III-Abkommen nicht mehr möglich, später in | |
Skandinavien Asyl zu beantragen, weil Deutschland als Erstaufnahmeland für | |
sie zuständig ist. Wurden die Menschen bereits vorher in einem anderen Land | |
registriert, werden sie dorthin abgeschoben. | |
Bundespolizeisprecher Stelke bestreitet, dass es sich bei den Kontrollen um | |
„verdachtsunabhängige Schwerpunkteinsätze“ gehandelt habe. „Wir haben | |
Lagebild-Erkenntnisse durch Zugbegleiter gehabt, dass über Kiel regelmäßig | |
Migrationsströme laufen“, sagt er. | |
Für die Hamburger Anwältin und Landesverfassungsrichterin Cornelia | |
Ganten-Lange ist das kein überzeugendes Argument, denn es fehle „die | |
Ermächtigungsgrundlage für die Kontrollen“, sagt sie. Nur wenn ein | |
konkreter Verdacht bestehe, etwa der, dass ein Fluchthelfer Menschen in | |
einen bestimmten Zug gesetzt habe, könne die Kontrolle gerechtfertigt sein. | |
„Aber einfach ohne konkrete Hinweise irgendwelche Züge zu stoppen, dafür | |
fehlt die Ermächtigung“, sagt Ganten-Lang. Kontrollen nach Hautfarbe seien | |
laut mehrerer Gerichtsentscheidungen ohnehin „eindeutig rechtswidrig“. | |
Laut Insidern gingen die Bundespolizisten bei ihren regelmäßigen Kontrollen | |
vor der Grenze aber genau nach diesem sogenannten Racial Profiling vor. | |
„Diese Kontrollen sind höchst unmoralisch und nicht rechtmäßig, da man | |
Flüchtlinge aufhält, die gar nicht in Deutschland bleiben wollen“, so auch | |
der Bundespolizei-Informant zur taz. | |
Andrea Dallek vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein sieht die Bundespolizei | |
in einem Dilemma. „Einerseits sollen sie Straftaten wie illegalen | |
Aufenthalt aufdecken und andererseits ist ja jeder Flüchtling illegal | |
eingereist“, sagt Dallek. Es gebe daher auch Bundespolizisten, „die beide | |
Augen zudrücken und den Flüchtling weiterfahren lassen“. | |
23 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Kai von Appen | |
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