| # taz.de -- Diplomat über deutsche Gaza-Haltung: „Jetzt müssen Taten folgen… | |
| > Der frühere Botschafter Christian Clages fordert von Außenminister | |
| > Wadephul, den Druck auf Israel zu erhöhen – und Waffenlieferungen zu | |
| > suspendieren. | |
| Bild: Einer fehlt noch: Israels Außenminister Gideon Sa’ar und Amtskollege J… | |
| taz: Herr Clages, [1][Frankreich will Palästina als Staat anerkennen], die | |
| Bundesregierung findet das falsch. Ihr Argument: Es sei ein zu früher | |
| Zeitpunkt auf dem Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung. Sie waren Botschafter | |
| unter anderem im Libanon und Leiter der deutschen Vertretung in Ramallah. | |
| Wie sehen Sie das? | |
| Christian Clages: Ich kann die Argumentation der Bundesregierung | |
| nachvollziehen, aber es gibt auch gewichtige Gründe, die für die | |
| Anerkennung sprechen. Erstens wäre sie ein wichtiger symbolischer Schritt, | |
| der ja schon von über 140 Staaten vollzogen worden ist, auch von einer | |
| Reihe von Europäern. Zweitens wäre es ein klares Bekenntnis zur | |
| Zwei-Staaten-Lösung als der einzigen Lösung, die zu einem langfristigen | |
| Frieden im Nahen Osten führen kann. Und drittens wäre es ein Zeichen für | |
| die arabischen Partner in der Region, die sich ja auf dem Weg der | |
| Annäherung an Israel befunden haben. Wir bekennen uns seit Jahrzehnten zur | |
| Zwei-Staaten-Lösung, irgendwann muss man auch mal springen. | |
| taz: Sie haben sich gerade mit elf anderen ehemaligen Botschaftern und | |
| Botschafterinnen, die im Nahen Osten im Einsatz waren, [2][in einem Brief | |
| an Außenminister Johann Wadephul (CDU)] gewandt. Darin fordern Sie eine | |
| andere Politik gegenüber Israel. Warum schreiben Sie so einen Brief? | |
| Clages: Wir haben alle in der Region gelebt und gearbeitet und haben | |
| vielfältige Kontakte dorthin. Die Lage in Gaza ist katastrophal, es werden | |
| fundamentale Menschenrechte verletzt. Wir verfolgen das, wie viele andere | |
| Menschen in Deutschland, mit großer Besorgnis und Empathie, es ist | |
| unerträglich. Wir sind der Auffassung, dass viele Worte der Kritik gefallen | |
| sind, nicht nur von der jetzigen, auch von der vorherigen Regierung. Jetzt | |
| müssen Taten folgen. Wir erwarten von unserer Regierung, dass sie alles in | |
| ihren Möglichkeiten tut, um die Situation in Gaza zu verbessern. Die | |
| Forderungen sind klar: Es muss Frieden geben. Die Waffen müssen schweigen. | |
| Die humanitäre Hilfe muss ungehinderten Zugang haben. Gleichzeitig – und | |
| das haben wir auch immer wieder gesagt – muss die Hamas die verbleibenden | |
| Geiseln ohne Wenn und Aber freilassen. Ihr furchtbarer Angriff auf Israel | |
| ist durch nichts zu rechtfertigen. Andererseits sind das Aushungern der | |
| Bevölkerung von Gaza und Zwangsvertreibungen auch nicht zu rechtfertigen. | |
| taz: Auslöser für den Brief war der Appell von 28 Außenministern, darunter | |
| auch aus zahlreichen europäischen Ländern, den Krieg in Gaza sofort zu | |
| beenden. Deutschland ist nicht dabei. Sie fordern, das zu ändern. Sie | |
| schreiben, der Appell sei wichtig und ausgewogen. Warum ist er aus Ihrer | |
| Sicht so wichtig? | |
| Clages: Wir waren verwundert und bestürzt, dass Deutschland diesen Appell | |
| nicht unterschrieben hat. Deutschland hat eine wichtige Stimme und Gewicht | |
| im europäischen Kreis. Es darf da nicht fehlen. Wir brauchen europäische | |
| Kohärenz, damit Europas Gewicht so weit wie möglich zum Tragen kommt. | |
| Inzwischen haben ja Bundeskanzler Merz, Präsident Macron und der | |
| Premierminister Starmer eine Erklärung verabschiedet, wonach die | |
| Beschränkungen für humanitäre Lieferungen in den Gazastreifen aufgehoben | |
| werden müssen. | |
| taz: Welche Konsequenz hat es, dass Deutschland dieser europäischen | |
| Kohärenz relativ häufig im Weg steht? | |
| Clages: Ein Beispiel: Eine der konkreten Möglichkeiten, den Druck auf | |
| Israel zu erhöhen, ist die Anwendung der Menschenrechtsklauseln im | |
| Assoziierungsabkommen der EU mit Israel, sie würde zu einer Aussetzung | |
| dieses Abkommens führen. Da ist Deutschland der Bremser. Bestimmte | |
| Entscheidungen in der EU können nur einstimmig oder mit qualifizierten | |
| Mehrheiten getroffen werden. Deutschland hat Gewicht. Wenn wir nicht | |
| gemeinsam mit den anderen agieren und handeln, gibt es ein Problem. | |
| taz: Die Bundesregierung argumentiert, es sei wichtiger, die direkten | |
| Gesprächskanäle in die israelische Regierung zu erhalten, als noch ein | |
| Appell. Ist da nicht auch was dran? | |
| Clages: Natürlich ist es gut, Kontakte aufrechtzuerhalten. Die jetzige | |
| Regierung ist nicht die erste, die auf direkte Kontakte verweist. Das haben | |
| bisher alle Außenminister in ähnlicher Art und Weise getan. Aber es hat so | |
| gut wie nie Auswirkungen gehabt. Es gibt keine Siedlung, die nicht gebaut | |
| worden wäre. Mir ist auch kein Beschluss bekannt, der zurückgehalten worden | |
| wäre. Und die Situation hat sich in den letzten Jahrzehnten immer | |
| verschlimmert. Von einem Friedensprozess kann schon lange keine Rede mehr | |
| sein. | |
| taz: Die Bundesregierung betont die historische Verantwortung Deutschlands | |
| und sagt, wir müssen an der Seite Israels stehen. Gilt das für Sie nicht? | |
| Clages: Natürlich gilt das auch für uns. Die aus der Geschichte | |
| resultierende Verantwortung ist in unserer Generation fest im Bewusstsein | |
| verankert. Eine Folge aus unserer Geschichte ist das Einstehen für das | |
| Existenzrecht Israels. Eine andere ist die Orientierung am Völkerrecht und | |
| der Einsatz für die Menschenrechte als höchstes Gut und Teil unserer | |
| Werteordnung. Außerdem haben wir immer auch besondere Beziehungen zu den | |
| Palästinensern gehabt, das ist nach dem 7. Oktober zu kurz gekommen. Für | |
| Frieden braucht man beide Seiten. Wenn wir über die jetzige Situation | |
| extrem besorgt sind, dann fürchten wir auch, dass sich Israel in der | |
| Auseinandersetzung in Gaza selbst verliert. Historische Verantwortung für | |
| die Sicherheit Israels bedeutet, alles zu tun, was die Sicherheit fördert, | |
| aber auch alles zu unterlassen, was die Sicherheit untergräbt. | |
| taz: Was meinen Sie mit: dass Israel sich selbst verliert? | |
| Clages: Es ist mittlerweile hinreichend belegt, dass Israel in Gaza das | |
| Völkerrecht verletzt. Schauen Sie sich den Spiegel-Titel dieser Woche an… | |
| taz: Da steht: „Gaza. Ein Verbrechen“ | |
| Clages: Es gibt zahlreiche Stimmen in der israelischen Gesellschaft und | |
| Wissenschaft, aber auch beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz in | |
| Genf, die mit Recht darauf hinweisen, dass das, was in Gaza passiert, bei | |
| den Israelis Traumata hervorrufen wird, mit denen man sich über Jahre | |
| hinweg auseinandersetzen muss. Wenn wir uns als Freunde Israels sehen, dann | |
| dürfen wir nicht schweigen. | |
| taz: In dem Brief an den Außenminister greifen Sie die Forderungen auf, die | |
| ehemalige EU-Botschafter und Botschafterinnen gerade gegenüber der | |
| europäischen Leitungsebene formuliert haben – ebenfalls in einem Brief. Es | |
| geht unter anderem um das Assoziierungsabkommen, Sanktionen gegen bestimmte | |
| Minister, Militärs und Siedler – und auch um die Suspendierung aller | |
| Waffenlieferungen. Die Bundesregierung argumentiert, Israel hat das Recht | |
| sich verteidigen und dazu braucht es Waffen. | |
| Clages: Wir beziehen uns auf Waffenlieferungen, die im Konflikt in Gaza | |
| rechtswidrig eingesetzt werden können. Die müssen nach unserer Überzeugung | |
| suspendiert werden. Von internationalen Gerichten wird untersucht, welche | |
| Form von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Gaza | |
| begangen werden, und es geht auch um den Völkermordvorwurf. Man darf mit | |
| Waffenlieferungen nicht Teil des Unrechts werden. Es ist keine Frage, dass | |
| Israel Abwehrwaffen gegen Angriffe aus der Luft braucht, aber das steht auf | |
| einem anderen Blatt. | |
| taz: Der Spiegel hat in dieser Woche berichtet, dass sich [3][im | |
| Auswärtigen Amt aktuelle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die sich ähnlich | |
| wie Sie eine andere Israel-Politik wünschen, zusammentun – 130 sollen es | |
| sein]. Stehen Sie mit denen in Kontakt? | |
| Clages: Jeder von uns kennt einzelne Kolleginnen oder Kollegen aus dem Amt | |
| aus seiner aktiven Zeit. Und wir sprechen natürlich über die Lage. | |
| taz: Anders als Sie dürfen sich diese Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen als | |
| Beamte nicht öffentlich äußern, sie sind zur Loyalität verpflichtet. „Loy… | |
| nonkonform“ soll ihr Motto sein. Wie muss man sich die Lage im Auswärtigen | |
| Amt vorstellen – geht da ein Riss durch das Haus? | |
| Clages: Nein, auf keinen Fall. Es gibt im Auswärtigen Amt eine gute | |
| Diskussionskultur, und es finden anscheinend auch interne Gespräche mit der | |
| Leitung statt. Es muss so sein, dass sich die sehr qualifizierten | |
| Mitarbeiter zu Grundfragen zu Wort melden können. Es geht in Nahost | |
| schließlich um Grundpfeiler unseres Selbstverständnisses und auch der | |
| Außenpolitik, die Orientierung am Völkerrecht und den Einsatz für die | |
| Menschenrechte. Sie gilt für die Arbeit aller MitarbeiterInnen. | |
| 27 Jul 2025 | |
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| Sabine am Orde | |
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