| # taz.de -- Dieselbetrug bei VW: Der Skandal ist noch nicht verpufft | |
| > Vor fünf Jahren kam der Dieselbetrug des Autobauers heraus, Kontrollen | |
| > gibt es bis heute nicht. Immerhin wurde so die Verkehrswende angeschoben. | |
| Bild: Seit fünf Jahren dicke Luft: VW-Konzernzentrale in Wolfsburg | |
| Vor Kurzem hat Oliver Krischer, Vizechef der grünen Bundestagsfraktion, das | |
| neue Prüflabor des Kraftfahrtbundesamts besichtigt. Hier prüft die | |
| Aufsichtsbehörde, ob Fahrzeugtypen alle gesetzlichen Anforderungen | |
| erfüllen. „Da sieht es aus wie in einer Hinterhofgarage“, berichtet er. | |
| „Das ist kein Vergleich zu den bestens ausgerüsteten Laboren in den | |
| VW-Werken.“ Auch fünf Jahre nach Bekanntwerden des gigantischen | |
| Dieselbetrugs gibt es keine Waffengleichheit zwischen Aufsichtsbehörden und | |
| Industrie, kritisiert Krischer. Mit herben Folgen. „So etwas wie der | |
| Dieselskandal könnte sich wiederholen“, fürchtet er. | |
| Heute vor fünf Jahren gaben US-Behörden bekannt, dass der Autobauer | |
| Volkswagen im großen Stil Abgasvorrichtungen in Dieselfahrzeugen | |
| manipuliert hatte. Auf diese Weise wurde bei Tests ein niedrigerer | |
| Schadstoffausstoß gemessen, als er im Normalbetrieb auftritt. Kurze Zeit | |
| später räumte VW ein, weltweit elf Millionen Fahrzeuge mit solchen | |
| Vorrichtungen ausgestattet zu haben. KundInnen auf der ganzen Welt fühlten | |
| sich betrogen, ihre Autos verloren drastisch an Wert. | |
| Fast alle Hersteller haben Ähnliches getan, es allerdings nicht zugegeben. | |
| Noch immer ist der Skandal präsent. In Deutschland fahren nach Krischers | |
| Schätzungen noch zehn Millionen Dieselfahrzeuge mit illegalen | |
| Abschalteinrichtungen. Anders als die US-Regierung hat die deutsche nicht | |
| darauf bestanden, dass die Hersteller die manipulierten Fahrzeuge in einen | |
| ordnungsgemäßen Zustand bringen. | |
| Und nicht nur das. „Die Bundesregierung hat noch vier Jahre nach | |
| Bekanntwerden des Skandals weiter zugelassen, dass die Hersteller Modelle | |
| auf die Straße bringen, die viel zu hohe Mengen an Stickoxiden ausstoßen“, | |
| sagt Krischer. Erst eine neue europäische Richtlinie hat dazu geführt, dass | |
| damit seit Sommer 2019 Schluss ist. | |
| ## Die Verkehrsminister bremsen und vertuschen | |
| Die Bundesregierung habe bis heute nicht die nötigen Konsequenzen aus dem | |
| Skandal gezogen, sagt er. „Wir brauchen eine effektive und konsequente | |
| Überwachung der Autoindustrie“, fordert er. Bei Angaben zu Spritverbrauch | |
| oder Lärm gingen die Hersteller weiter nach dem Diesel-Strickmuster vor: | |
| Grenzwerte werden ausschließlich bei der Kontrolle eingehalten, aber nicht | |
| im Normalbetrieb, kritisiert Krischer. | |
| Doch statt daran etwas zu ändern, habe die Regierung – vor allem die | |
| CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt und sein Nachfolger Andreas Scheuer | |
| – bei der Aufklärung des Skandals gebremst und vertuscht. „Sie hat | |
| versäumt, Prüfbehörden und Vorschriften zu modernisieren“, sagt er. Nach | |
| wie vor gäbe es statt echter Kontrollen vor allem formale Überprüfungen. | |
| Der Dieselskandal war für die Autoindustrie teuer. Allein VW hat nach | |
| eigenen Angaben bislang 32 Milliarden Euro für Strafen, Entschädigungen | |
| und Rechtskosten ausgegeben, davon 24 Milliarden in den USA. Nicht | |
| bezifferbar ist der Imageschaden. „Wir haben Lehren aus der Vergangenheit | |
| gezogen und arbeiten hart, um das gesellschaftliche Vertrauen | |
| zurückzugewinnen“, sagt ein VW-Sprecher. Der Konzern hat unter anderem ein | |
| Whistleblower-System eingeführt, damit Unregelmäßigkeiten früh geahndet | |
| werden können. Hierarchien wurden abgebaut und ein ganze Menge Stellen für | |
| Leute geschaffen, die die Compliance – die Gesetzestreue – des Konzerns | |
| überwachen. | |
| „Wir sind entschlossen, eine führende Rolle in den Bereichen nachhaltige | |
| Mobilität und soziale Verantwortung zu übernehmen und eine internationalere | |
| und vielfältigere Organisation zu werden“, sagt der Sprecher. VW setzt wie | |
| kein anderer deutscher Autobauer auf E-Fahrzeuge. Mit dem Führungspersonal | |
| aus den Zeiten des Dieselskandals wäre das nicht denkbar gewesen. | |
| ## Auch Folgen für den Verbraucherschutz | |
| Dass die Automobilindustrie geläutert ist, glaubt Jürgen Resch, | |
| Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, nicht. Der wohl umtriebigste | |
| deutsche Kritiker der Branche, der mit der [1][Durchsetzung von | |
| Dieselfahrverboten bundesweit] bekannt geworden ist, sieht die Politik | |
| weiterhin im „Würgegriff der Autoindustrie“. „Die Nicht-Kontrollen sind | |
| skandalös“, sagt Resch. Er sieht aber auch positive Folgen des | |
| Betrugsskandals. „Es ist gelungen, die Verbindungen zwischen Politik und | |
| Industrie öffentlich zu machen und zu skandalisieren“, sagt er. Der | |
| Betrugsskandal beschleunigt den Ausstieg aus dem Verbrennermotor und zwar | |
| nicht nur bei VW, ist er überzeugt. „Er gibt der Verkehrswende Rückwind“, | |
| sagt er. Denn das Thema saubere Luft in den Städten hat durch den | |
| Dieselskandal viel Aufmerksamkeit bekommen, immer mehr Menschen fordern | |
| Alternativen zum Auto wie bessere Radwege und einen besseren ÖPNV. | |
| Den VerbraucherInnen in Europa hat der Skandal drastisch gezeigt, wie | |
| unterschiedlich Entschädigungsregelungen in den USA und hierzulande sind. | |
| Dort gibt es das Instrument der Sammelklage, mit dem Geschädigte | |
| unkompliziert hohe Schadenersatzansprüche durchsetzen können. Das gibt es | |
| hier zwar nicht. Aber immerhin: Die Bundesregierung beeilte sich, eine | |
| sogenannte Musterfeststellungsklage für geschädigte VerbraucherInnen | |
| einzuführen, bevor deren Ansprüche verjährten. „Ohne den Dieselskandal wä… | |
| die Musterfeststellungsklage nicht so schnell gekommen“, sagt Ronny Jahn, | |
| Leiter Team Musterfeststellungsklagen beim Verbraucherzentrale | |
| Bundesverband (vzbv). | |
| Der Verbraucherverband hat auf diesem Weg [2][einen Vergleich mit VW | |
| ausgehandelt]. „Er sieht eine Zahlung zwischen 1.350 Euro und 6.257 Euro | |
| für 265.000 Verbraucherinnen und Verbraucher vor“, berichtet Jahn. 240.000 | |
| KäuferInnen haben diesen Vergleich angenommen, so dass VW insgesamt 750 | |
| Millionen Euro ausgezahlt hat. VerbraucherInnen, die den Vergleich in der | |
| Hoffnung auf eine höhere Entschädigung nicht akzeptiert haben, konnten | |
| individuell klagen. Insgesamt sind noch rund 50.000 Klagen anhängig. Eines | |
| habe der Dieselskandal gezeigt, sagt Jahn: „Es lohnt sich, seine Ansprüche | |
| geltend zu machen.“ | |
| 17 Sep 2020 | |
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| [1] /Klage-gegen-Kieler-Luftreinhalteplan/!5691342 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anja Krüger | |
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