# taz.de -- Klage gegen Kieler Luftreinhalteplan: Gericht gibt Umwelthilfe Recht | |
> Die Stadt Kiel wollte mit Filteranlagen die hohe | |
> Stickstoffdioxid-Belastung reduzieren. Das war der Umwelthilfe zu wenig: | |
> Sie klagte und bekam Recht. | |
Bild: Am Barkauer Kreuz änderte Kiel die Verkehrsführung, um die Stickoxid-Be… | |
NEUMÜNSTER taz | Die Stadt Kiel braucht neue Ideen gegen die Abgasbelastung | |
auf dem Theodor-Heuss-Ring: Am Mittwoch gab das Oberverwaltungsgericht der | |
Deutschen Umwelthilfe (DUH) recht, die gegen den Luftreinhalteplan der | |
Stadt geklagt hatte. Laut einer ersten Stellungnahme hält das Gericht die | |
Filteranlagen, mit denen Kiel die hohe Belastung mit Stickstoffdioxiden | |
reduzieren will, für zu wenig. | |
Der Theodor-Heuss-Ring gehört zu den schmutzigsten Straßen Deutschlands. | |
Der Grenzwert von Stickstoffdioxid von 40 Mikrogramm wurde in den | |
vergangenen Jahren regelmäßig überschritten. Ein neuer Luftreinhalteplan | |
soll die Belastungen senken – das Konzept stammt aus dem Umweltministerium, | |
die Gremien der Stadt hatten den Plan im Januar bewilligt. Doch was dort | |
steht, hält die Deutsche Umwelthilfe für zu wenig. Sie klagte daher gegen | |
das Land. | |
Fröhlich begrüßten sich Ulf Kämpfer (SPD) und Jürgen Reesch vor dem | |
Oberverwaltungsgericht in Schleswig und bedauerten im Chor, dass sie sich | |
nicht die Hände schütteln konnten. Dabei standen Kämpfer, der Kieler | |
Oberbürgermeister, und Reesch, der Geschäftsführer der Deutschen | |
Umwelthilfe (DUH), bei dem am Mittwoch verhandelten Fall auf verschiedenen | |
Seiten. Inhaltlich aber, das beteuerten beide, seien sie einig: „Alle | |
wollen die Einhaltung der Grenzwerte“, sagte Kämpfer. | |
Nur um das Wie gibt es Streit. Seit Januar 2020 gilt ein neuer | |
Luftreinhalteplan, den das Umweltministerium verfasst und dem der Stadtrat | |
zugestimmt hat. Er beschreibt eine „Maßnahmenkaskade“, die, so meinen Stadt | |
und Land, den Stickstoffdioxidwert bereits in diesem Jahr unter den | |
Grenzwert drückt. In den Folgejahren solle die Belastung im Mittel unter 40 | |
Mikrogramm bleiben. | |
## Fahrverbot oder nicht? | |
Die Stadt Kiel hat schon einiges versucht, um die Messwerte am | |
Theodor-Heuss-Ring zu senken: So durften ältere Diesel nur noch in den | |
mittleren Spuren fahren, um die Stickstoffdioxide von den Fußwegen und den | |
dort abgestellten Messstationen ferner zu halten. Als bundesweit erste | |
Stadt testete Kiel Luftfilter, die am Straßenrand die Abgase ansaugen und | |
säubern. Nach dem Test soll das Verfahren im Oktober im Regelbetrieb | |
starten, die Stadt hat dafür im Mai sechs container-große Geräte bestellt. | |
Für Reesch „klingt das mehr nach Schilda als nach Kiel“. Der DUH-Anwalt | |
Remo Klinger nannte die Filter eine „Wünsch-dir-was-Maschine“, kritisierte | |
Lärm und hohen Stromverbrauch der Geräte. An ihrer Stelle fordert die DUH – | |
die bundesweit Städte wegen zu hoher Abgaswerte verklagt – „wirksame | |
Maßnahmen“, etwa ein Fahrverbot für ältere Dieselfahrzeuge. Die Vertreter | |
von Stadt und Land widersprachen: Die Prognosen zeigten, dass die Filter | |
wirksam seien. Sinke die Belastung nicht, würde Stufe zwei des Plans | |
eintreten, nämlich das Fahrverbot. „Das ist ja grade der Gag des | |
Stufenmodells“, sagte Kämpfer. | |
Aktuell passen die Werte im Theodor-Heuss-Ring: In den ersten vier Monaten | |
dieses Jahres lag der Durchschnittswert bei 38,3 Mikrogramm | |
Stickstoffdioxid. Auch im Jahresschnitt dürfte der Grenzwert vermutlich | |
unterschritten werden. Allerdings ist das Bild verzerrt: Eine Baustelle | |
sorgt für weniger Fahrten, dazu kommen die Wochen des Corona-Lockdowns, die | |
den Abgas-Ausstoß verringert haben. | |
Aber dürfen solche „externen Faktoren“ überhaupt einbezogen werden? Und | |
kommt die Wirksamkeitsprüfung zu spät? Diese Fragen wollte die UH vom | |
Oberverwaltungsgericht klären lassen. Zudem bemängelte der Verein die | |
Standorte der Messstationen – sie entsprächen zwar den Vorgaben, würden | |
aber nicht die reale höchste Belastung zeigen: „Niemand von uns hat seine | |
Nase in 3,50 Metern Höhe“, sagte Klinger. Auch sei es sinnvoll, Daten aus | |
anderen Straßen zu sammeln, um ein Gesamtbild zu modellieren. | |
Wind, Wetter und örtliche Gegebenheiten spielten eine große Rolle, | |
argumentierten die Vertreter der Stadt, daher sei Kiel nicht vergleichbar | |
mit anderen Städten. Ulf Kämpfer erklärte, dass Kiel dank Fördermitteln des | |
Bundes bereits eine Reihe von Maßnahmen umsetzen könne, darunter ein | |
Jobticket und Zuschüsse für Fahrradkäufe. Auch habe die Stadt ein | |
Kohlekraftwerk abgeschaltet. „Bei einigen Maßnahmen können wir ausrechnen, | |
was es bringt, bei anderen nicht“, in der Summe sollten alle beitragen, die | |
Grenzwerte einzuhalten. „Wir bleiben unter 40 Mikrogramm“, sagte Kämpfer. | |
Reesch reicht das nicht: „Wir setzen uns für einen Grenzwert von 30 | |
Mikrogramm ein“, sagte er vor Verhandlungsbeginn. | |
25 Jun 2020 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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