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# taz.de -- Die Kunst des Bilderverschickens: Existenzbestätigung
> Von der Postkarte zum Social-Media-Auftritt: Das Versenden und Teilen von
> Fotos ist Thema der Ausstellung „Send me an image“ in der C/O Galerie in
> Berlin.
Bild: Blick in die Ausstellung „Send me an Image“ mit Peter Millers „The …
Wer verreisenden Freund*innen hinterruft „Schreib eine Karte“, erntet
dieser Tage eher erstaunte Blicke. Stattdessen bekommt, wer bei einem
sozialen Netzwerk angemeldet ist, unweigerlich präsentiert, wie sich
Bekannte – nicht nur auf Reisen – inszenieren: beim Essen, mit Arschbomben,
vor eindrücklicher Kulisse. Wenn das Bild überhaupt Worte braucht, sind die
selten an eine Person adressiert; die Beziehung zum Empfänger spielt kaum
eine Rolle.
Was sich in der Kommunikation durch Bilder in den letzten 150 Jahren
gewandelt hat, zeigt die sehenswerte Ausstellung „Send me an Image. From
Postcards to Social Media“ in der Fotogalerie C/O Berlin. Eigentlich wollte
man mit der Schau, die ja zugleich so etwas wie ein Metakommentar zur
eigenen Arbeit ist, im vergangenen Jahr sein 20-jähriges Bestehen feiern;
pandemiebedingt findet sie erst jetzt statt.
Am Eingang erwartet einen ein chaotischer Haufen ausgedruckter Fotos. Der
niederländische Künstler Erik Kessels hat für die Installation aus dem Jahr
2004 alle Bilder ausgedruckt, die an einem Tag auf die
Fotosharing-Plattform Flickr hochgeladen wurden: Etwa 350.000 Bilder, so
trivial wie beliebig.
Aus heutiger Sicht mutet diese Schnappschusssammlung aus der
Prä-Smartphone-Ära fast übersichtlich an. Eine knappe Dekade später, im
Jahr 2013, wurden allein bei Facebook täglich 343 Millionen Bilder
hochgeladen. Aktuell werden in zwei Minuten mehr Bilder mit einer kleinen
oder großen Öffentlichkeit geteilt, als im gesamten 19. Jahrhundert
aufgenommen wurden.
Das erfährt man im Einführungstext „Vom Senden und Teilen“ des gelungenen
Ausstellungskatalogs. Felix Hoffmann und Kathrin Schönegg, die
Kurator*innen der Schau, sehen in der aktuellen, durch die
Digitalisierung und technologische Vernetzung befeuerten Kommunikation über
Fotos „keine dynamisierte Fortführung von geschichtlichen Parametern,
sondern eine Zäsur.“
## Die Feldpostkarten
Seit Bilder mit der Entwicklung der Fotografie beliebig reproduzierbar
wurden, gingen sie durch verschiedene Medien auf Reisen: als Postkarte,
später auf telegrafischem Weg, auch in Zeitschriften. Im
Deutsch-Französischen Krieg wurden – die Postkarte war gerade erfunden –
innerhalb von fünf Monaten 10 [1][Millionen Feldpostkarten] verschickt. In
den folgenden Jahrzehnten bildeten die von unterwegs verschickten Bilder
oft Unglücke, Katastrophen, aber auch spektakuläre Bauprojekte ab; private
Korrespondenz enthielt meist einen Nachrichtenwert.
Doch schon in diesen frühen Tagen stand der Austausch von Fotografien auch
für Anhäufung von sozialem Kapital. In den späten 1850er Jahren hatten sich
die sogenannten Cartes de Visites durchgesetzt. Fotoporträts wurden so
erschwinglich, dass breitere Schichten ihre Familie, aber auch Freunde und
Bekannte mit dem eigenen Bild beschenken konnten. Die wurden dann in Alben
gesammelt; der Beschenkte stellte so nicht zuletzt seine gesellschaftliche
Eingebundenheit unter Beweis. Auch diesen Vorläufer des Fotoversands
präsentiert die Ausstellung.
Rahmenbedingungen der Entwicklung dieses Mediums erschießen sich beim
Rundgang durch die Galerie durchaus. Im Fokus der Ausstellung stehen
allerdings eher die künstlerischen, kurzweiligen, oft verspielten
Annäherungen daran, was hinter dem Teilen von Fotos steckt. Wichtiger als
das Bild an sich ist schließlich der Umstand, dass man eine Botschaft in
die Welt schickt.
Es erstaunt kaum, dass das erste per Handy an Tausende von Menschen
verschickte Foto ein Neugeborenes abbildete: die Tochter des
IT-Unternehmers Philippe Kahn. Der hatte 1997 einen Computer, ein Handy und
eine Kamera so zusammengebastelt, dass er das Foto direkt nach Aufnahme
verschicken konnte. Schnell wurde daraus eine Technologie für die
Allgemeinheit. In Japan kam die erste Handykamera bereits 1999 auf den
Markt, hierzulande drei Jahre später.
## Postkarten als Kunstprojekt
Das Bedürfnis nach andauernder Bestätigung der eigenen Existenz, die durch
diese Technik möglich und durch die sozialen Netzwerke angefüttert wurde,
trieb der [2][japanische Konzeptkünstler On Kawara] bereits 1969 auf die
Spitze. Für seine Arbeit „I Got Up“, von der hier ein kleiner Ausschnitt zu
sehen ist, sollte er über die nächsten zwölf Jahre insgesamt gut 8.000
Postkarten mit klassischen Touristenmotiven verschicken – zwei am Tag, an
zwei Bekannte. Den Karten ist nur die Uhrzeit zu entnehmen, zu der On
Kawara an dem betreffenden Tag aufgestanden ist, und zudem der Ort, an dem
der vielgereiste Künstler gerade war.
Die begleitende Lektüre des Katalogs ist angesichts der eher
schlaglichtartigen Annäherungen durchaus ein Gewinn – sind die
aufgeworfenen Fragen doch voller Widersprüche. So verdeutlicht „Photo
Opportunity“ von Corinne Vionnet, wie eine Erfahrung genau dadurch
homogenisiert wird, dass sie mehr und mehr Menschen offensteht. Über die
Schlagwortsuche auf Fotosharing-Seiten hat Vionnet für diese Arbeit private
Aufnahmen touristischer Attraktionen übereinandergeblendet. Das Ergebnis
sind Bilder, denen das Diffuse, Unscharfe schon eingeschrieben ist.
Möglich wurde Vionnets Arbeit nicht zuletzt dadurch, dass das Gros der
Fotos, die mit einer großen oder kleinen Öffentlichkeit geteilt werden,
Metadaten enthalten. Die wiederum werden von Algorithmen, bisweilen auch
von Content-Moderatoren, weiterverarbeitet.
## Wem nützt es?
Auch wenn durch die Bündelung von Kamera und Handy in einem Gerät neue
Formen der Selbstdarstellung ermöglicht wurden, beim Teilen dieser Bildern
geht es nur noch am Rande um uns. „Unsere Bilder sind ein Kapital, von dem
in erster Linie die großen Internetkonzerne profitieren“, stellen auch die
beiden Kuratoren in ihrem Einführungstext fest – ein Problem, das in einem
breiteren Kontext steht und auf politischer Ebene zu lösen ist.
Warum also nicht bis dahin wieder mal eine gute alte Postkarte verschicken?
Wer davon Nutzen hat, bleibt jedenfalls übersichtlich: Der Kiosk, die Post,
der Empfänger. Der/die Empfänger*in muss Tage, vielleicht Wochen warten,
bis die Botschaft ankommt, anders als beim Instant-Digitalen. Die Freude
über eine persönlich adressierte Nachricht wird umso größer sein.
30 May 2021
## LINKS
[1] /Postkarte-in-die-Vergangenheit/!5615780
[2] /Archiv-Suche/!1259507&s=On+Kawara&SuchRahmen=Print/
## AUTOREN
Stephanie Grimm
## TAGS
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