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# taz.de -- Die Erklärung: Datenhunger ohne Ende?
> Der Europäische Gerichtshof hat die deutsche Vorratsdatenspeicherung
> gekippt, erlaubt aber Ausnahmen. Die Ampel ist am Zug.
Bild: Die Innenministerin Nancy Faeser und der Justizminister Marco Buschmann i…
1. Was ist eigentlich eine Vorratsdatenspeicherung?
Normalerweise greift die Polizei auf Beweismittel zu, die zufällig
vorhanden sind. Mit der Vorratsdatenspeicherung will der Staat jedoch
sicherstellen, dass immer Beweismittel vorhanden sind. Die Telefonfirmen
sollten deshalb vorsorglich speichern, wer wann wen angerufen oder
angesimst hat. Die Internetfirmen sollten festhalten, wer sich wann wo mit
welcher IP-Adresse ins Internet eingeloggt hat. Bei Mobiltelefonen sollte
auch der Standort gespeichert werden, so dass Bewegungsbilder angefertigt
werden können. Nur Inhalte sollten nicht gespeichert werden. So wäre bei
den Providern ein gewaltiger Datenfundus entstanden, auf den die Polizei
bei Bedarf zugegriffen hätte.
In Deutschland wurde die Vorratsdatenspeicherung 2007 eingeführt, dann aber
2010 nach Protesten vom Bundesverfassungsgericht gekippt, weil die Daten
nicht gut genug geschützt waren. 2015 wurde die Vorratsdatenspeicherung
erneut eingeführt, aber nie praktiziert. Das Gesetz wurde 2017 wieder
ausgesetzt, weil es absehbar gegen die Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs verstoße.
2. Was hat der EuGH gegen die Vorratsdatenspeicherung?
Seit 2014 entscheidet der EuGH immer wieder, dass eine anlasslose und
vorsorgliche Speicherung der Telefon- und Internetverbindungsdaten der
gesamten Bevölkerung unverhältnismäßig und damit rechtswidrig ist. Die
Verbindungs- und Standortdaten seien sensibel, weil sie auch Aufschlüsse
über Verhalten, Vorlieben und Beziehungen der Nutzer geben können. Mit den
Daten könnte der Staat Persönlichkeitsprofile erstellen. Dies sei auch bei
den relativ kurzen Speicherfristen in Deutschland – vier bis zehn Wochen –
möglich.
3. Wie geht es jetzt weiter?
Wenn der EuGH Vorratsdatenspeicherungen ausnahmslos für unzulässig erklärt
hätte, wäre es einfach. Dann müsste der rechtswidrige Paragraf aus dem
Telekommunikationsgesetz gestrichen werden und die Polizei könnte sich
weiter auf klassische Polizeimethoden konzentrieren.
Allerdings hat der EuGH Ausnahmen zugelassen. Manche Formen der
Vorratsdatenspeicherung sollen doch zulässig sein. So erlaubt der EuGH etwa
die vorsorgliche Speicherung der IP-Adressen, weil diese oft der einzige
Ermittlungsansatz sind. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) will eine
derartige IP-Adressen-Speicherung einführen. Sicherheitsbehörden wie etwa
das Bundeskriminalamt machen entsprechend Druck. Doch Justizminister Marco
Buschmann (FDP) ist dagegen. Er will keine abgespeckte Version, sondern gar
keine Vorratsdatenspeicherung, die er als Generalverdacht gegen die
Bevölkerung bezeichnet. Die Grünen stehen an der Seite der FDP. Die SPD ist
gespalten.
4. Was sagt der Koalitionsvertrag?
Der Umgang mit der Vorratsdatenspeicherung war eines der umstrittensten
Themen bei den Koalitionsverhandlungen der Ampel. Die SPD hätte am liebsten
auf eine Festlegung verzichtet, doch die FDP bestand auf einer Festlegung.
Nun heißt es im Koalitionsvertrag: „Angesichts der gegenwärtigen
rechtlichen Unsicherheit, des bevorstehenden Urteils des Europäischen
Gerichtshofs und der daraus resultierenden sicherheitspolitischen
Herausforderungen werden wir die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so
ausgestalten, dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch
richterlichen Beschluss gespeichert werden können.“
Innenministerin Faeser schließt daraus, dass es auch nach dem EuGH-Urteil
noch eine Vorratsdatenspeicherung geben soll. Justizminister Buschmann hält
dagegen, dass eine IP-Adressen-Speicherung der gesamten Bevölkerung nicht
„anlassbezogen“, sondern anlasslos sei und daher gegen den
Koalitionsvertrag verstoße. Insofern ist der Koalitionsvertrag sogar
strenger als der EuGH.
5. Wie funktioniert eine IP-Adressen-Speicherung?
Die IP-Adresse (zum Beispiel 91.18.254.206) wird bei Privatleuten jeweils
neu vergeben, wenn sie sich ins Internet einwählen. Bei jeder Einwahl
bekommt man also eine neue IP-Adresse. Deshalb heißt es, die IP-Adresse sei
dynamisch. Wenn im Zusammenhang mit Kinderpornografie eine bestimmte
IP-Adresse auftaucht, dann sieht die Polizei erst mal nicht, wer der Nutzer
ist. Die Ermittler müssen dann herausfinden, welcher Provider zu diesem
Zeitpunkt die IP-Adresse an welchen Nutzer vergeben hat.
Früher haben die Provider die IP-Adressen zu Abrechnungszwecken meist
wochenlang gespeichert. Doch seit Einführung von Flatrate-Tarifen ist dies
nicht mehr nötig. Die Provider speichern die vergebenen IP-Adressen nur
noch maximal sieben Tage, manche Provider speichern sie gar nicht mehr.
Hier soll die Vorratsdatenspeicherung die Lösung bringen. Wenn die
Internetfirmen die IP-Adressen mindestens zehn Wochen speichern müssen,
dann sind sie in der Regel vorhanden, wenn die Polizei sie braucht.
6. Wie ist die Aufklärungsquote bei Kinderpornografie?
Ermittlungen wegen Missbrauchsdarstellungen im Internet werden häufig durch
IP-Adressen ausgelöst, die die US-Organisation National Center for Missing
and Exploited Children (NCMEC) von großen sozialen Netzwerken erhält und an
die zuständigen Polizeidienststellen in aller Welt weiterleitet. Früher
kamen die Daten oft zu spät, doch der Prozess hat sich massiv beschleunigt,
auch wegen der fehlenden Vorratsdatenspeicherung.
Auch das Bundeskriminalamt (BKA) hat seine Prozesse optimiert und schafft
heute eine Aufklärungsquote von beeindruckenden 75 Prozent. Mit
Vorratsdatenspeicherung wären aber über 90 Prozent möglich, gibt BKA-Chef
Holger Münch zu bedenken.
7. Wie funktioniert das alternative Quick-Freeze-Konzept?
Justizminister Marco Buschmann schlägt als Alternative zur
IP-Vorratsdatenspeicherung das Quick-Freeze-Verfahren vor. Hier ordnet die
Polizei das Einfrieren (also Speichern) von Daten erst dann an, wenn zum
Beispiel ein Mord passiert ist. Dann könnten alle Daten von Personen
gespeichert werden, die in der Nähe des Tatorts waren, ohne dass es gegen
diese bereits einen konkreten Verdacht gibt.
Hauptargument gegen Quick Freeze ist, dass nur solche Daten eingefroren
werden können, die noch vorhanden sind. Insofern kann Quick Freeze nie so
effektiv sein, wie eine Vorratsdatenspeicherung. Allerdings wäre auch eine
Quick Freeze-Lösung eine Verbesserung für die Polizei.
Insofern sitzt Justizminister Buschmann dann doch am längeren Hebel. Wenn
es in der Koalition keine Einigung gibt, wird es keinerlei
Vorratsdatenspeicherung in Deutschland geben – wie derzeit. Schon in Kürze
will der Justizminister einen Referentenentwurf vorlegen. Aus seiner Sicht
trifft es sich gut, dass er im Kabinett für das Thema zuständig ist, nicht
die Innenministerin.
24 Sep 2022
## AUTOREN
Christian Rath
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