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# taz.de -- Nach dem EuGH-Urteil: Der Vorratsdatenstreit ist wieder da
> Nach dem EuGH-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung entbrennt wieder der
> Streit über das anlasslose Datenspeichern – diesmal in der Ampel und
> innerhalb der SPD.
Bild: Das klassische Symbolbild zur Vorratsdatenspeicherung: Zahlen, Zahlen, Za…
BERLIN taz | Kaum hatte der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) die
deutsche [1][Vorratsdatenspeicherung] für rechtswidrig erklärt, da
entbrannte hierzulande der politische Streit um das Instrument – mal
wieder. Man werde die Vorratsdatenspeicherung nun „zügig und endgültig aus
dem Gesetz streichen“, verkündete Justizminister Marco Buschmann (FDP)
sofort. Die Grünen forderten, das Instrument „auf die Müllhalde der
Geschichte“ zu verfrachten. [2][Bundesinnenministerin Nancy Faeser] (SPD)
dagegen betonte, sie wolle die vom EuGH offengehaltenen Möglichkeiten
„nutzen“ und die Vorratsdatenspeicherung in engem Rahmen wiedereinführen.
Es ist ein Streit, der seit 15 Jahren um die Vorratsdatenspeicherung
geführt wird. Diesmal zieht er sich quer durch die Ampel – und die SPD.
Schon 2010 hatte die FDP vor dem Bundesverfassungsgericht erreicht, dass
die drei Jahre zuvor eingeführte Vorratsdatenspeicherung als rechtswidrig
erklärt wurde. Auch eine Neuauflage mit verkürzten Speicherfristen von zehn
Wochen statt sechs Monaten, 2015 von der SPD angeschoben, wurde gerichtlich
gestoppt und lag seitdem auf Eis. Bis nun auch der EuGH erklärte, dass eine
[3][anlasslose Speicherung] von Verkehrs- und Standortdaten in Deutschland
mit dem EU-Recht unvereinbar ist. Nur in Fällen einer ernsten Bedrohung für
die nationale Sicherheit sei eine „gezielte“ Erfassung von IP-Adressen
möglich.
Schon vor dem Urteil hatte Innenministerin Faeser klargemacht, dass sie
dafür eintritt, diese absehbare rechtliche Option zu nutzen, um die
Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen, insbesondere um sexualisierte
Gewalt gegen Kinder zu bekämpfen. Sie weiß die Sicherheitsbehörden dabei
hinter sich. Und Faeser betonte dies auch am Dienstag. Das EuGH-Urteil
enthalte „sehr wichtige Aussagen“, lobte die Sozialdemokratin. Man könne
und sollte nun IP-Adressen speichern, um schwere Kriminalität zu bekämpfen.
Dies sei „zulässig und dringend notwendig“, um Täter identifizieren zu
können. Und es sei für sie auch keine ideologische Frage, so Faeser. „Ich
will keine alten Debatten führen, sondern pragmatisch handeln.“
## Widerspruch erntet Faeser auch aus der eigenen Partei
Da aber hatte Justizminister Buschmann das EuGH-Urteil bereits als
„historisch“ bejubelt – mit ganz anderer Interpretation. Es sei ein „gu…
Tag für die Bürgerrechte und den Rechtsstaat“, erklärte der FDP-Mann. Die
Vorratsdatenspeicherung verstoße gegen die Grundrechte, stelle die
Bürger:innen unter Generalverdacht, sei „totes Recht“ und leiste keinen
messbaren Effekt bei der Aufklärung von Straftaten. Er werde sie deshalb
abschaffen – und stattdessen „in Kürze“ das Quick-Freeze-Verfahren
einführen. Mit diesem sollen Daten nicht anlasslos, sondern erst nach einem
Anfangsverdacht auf eine schwere Straftat und nur von konkret verdächtigten
Nutzer:innen erfasst werden.
Die Grünen sekundierten: Das EuGH-Urteil sei eine „herbe Klatsche“ für die
Befürworter der Vorratsdatenspeicherung, erklärten dort Fraktionsvize
Konstantin von Notz und Rechtsexperte Helge Limburg. Auch sie betonten den
Generalverdacht und dass konkrete Gefahren nicht zielgerichtet abgewehrt
würden. „Für eine wie auch immer geartete Neuauflage der
Vorratsdatenspeicherung sehen wir weder rechtlichen noch politischen
Spielraum.“ Stattdessen stellten sich die Grünen hinter Buschmanns
Quick-Freeze-Vorstoß.
Und Widerspruch erntete Faeser auch aus der eigenen Partei. Sie sei „froh“
über das EuGH-Urteil, sagte SPD-Chefin Saskia Esken der taz, langjährige
Gegnerin der Vorratsdatenspeicherung. „Das Urteil bestätigt meine
Einschätzung erneut: Eine präventive, allgemeine und anlasslose
Vorratsdatenspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten ist mit dem
Europarecht unvereinbar.“ Auch sie wolle, dass schwere Straftaten im
Internet aufgeklärt würden. Dafür gelte es nun den Koalitionsvertrag
umzusetzen.
Das Problem ist nur: Der ist nicht so eindeutig. Schon in den
Koalitionsverhandlungen hatten SPD, FDP und Grüne hart um die
Vorratsdatenspeicherung gerungen. Am Ende stand keine definitive Absage.
Festgehalten aber wurde, dass diese „rechtssicher anlassbezogen und durch
richterlichen Beschluss“ ausgestattet werden soll. Was aus Sicht von Grünen
und FDP ein Massenspeichern ausschließt – aus Sicht von Faeser aber
Spielräume offenlässt.
Sie werde nun zeitnah mit Buschmann in Gespräche gehen, erklärte Faeser,
und sei sicher, gute Lösungen zu finden. Der indes will nur über Quick
Freeze reden, zu dem er bereits seit Monaten einen Gesetzentwurf
vorbereitet. Diese Variante bedeute „effektive Strafverfolgung und
Grundrechtsschutz“, so der FDP-Mann. Der dabei Schützenhilfe von SPD-Chefin
Esken bekommt. „Ich erwarte, dass die Bundesregierung zeitnah ein
Quick-Freeze-Gesetz vorlegen wird“, sagte auch sie der taz. Esken plädiert
zudem für die sogenannte Login-Falle, die ebenso im Koalitionsvertrag steht
und bei der die IP-Adresse von Nutzer:innen erst gespeichert wird, wenn
diese straffällig wurden und sich erneut einloggen. Beides allerdings wird
in Faesers Ministerium und den Sicherheitsbehörden eher als Placebo
gesehen.
Die Frage ist nun, wem der Rest der SPD folgt. Deren Innen- und
Rechtspolitiker:innen erteilten der Vorratsdatenspeicherung am
Dienstag jedenfalls keine Absage. Klar sei, dass diese nur anlassbezogen
zur Aufklärung schwerer Straftaten erfolgen dürfe, erklärten die
SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese und Detlef Müller. Man wolle aber die
rechtlichen Möglichkeiten nutzen, um schwere Straftaten aufzuklären,
betonten auch sie. Gleichzeitig unterstützten beiden auch den
Quick-Freeze-Vorstoß von Buschmann und die Login-Falle. Die Debatte um das
Massenspeichern, sie ist wieder eröffnet.
20 Sep 2022
## LINKS
[1] /EuGH-zur-Vorratsdatenspeicherung/!5812668
[2] /Ampel-streitet-ueber-Massenspeicherung/!5876702
[3] /Urteil-zu-Vorratsdatenspeicherung/!5716106
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
EuGH
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