Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Urteil zur Vorratsdatenspeicherung: Schnüffeln nur ausnahmsweise
> Der Europäische Gerichtshof erklärt die anlasslose
> Vorratsdatenspeicherung in Deutschland für rechtswidrig, lässt aber
> Ausnahmen zu.
Bild: Urteil mit Weitblick: Deutsche Vorratsdatenspeicherung ist unverhältnism…
Freiburg taz | Die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland verstößt gegen
EU-Recht. Das stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) jetzt nach einem
mehrjährigen Gerichtsverfahren fest. Der Bundestag muss das (nie
angewandte) Gesetz nun entweder abschaffen oder nach den Vorgaben des EuGH
reformieren. Der EuGH ließ mehrere Formen der Vorratsdatenspeicherung zu.
Das aktuelle deutsche Gesetz ist seit 2015 in Kraft. Es sieht die
zehnwöchige anlasslose Speicherung der Telefon- und
Internetverbindungsdaten der gesamten Bevölkerung vor. Die Provider müssen
dabei zum Beispiel festhalten, wer wann wen angerufen, angechattet oder
angesimst hat und wer sich wann wo mit welcher IP-Adresse ins Internet
eingeloggt hat. Bei Mobiltelefonen soll auch der Standort gespeichert
werden, jedoch nur vier Wochen lang. Inhalte werden aber nicht erfasst. So
sollte ein riesiger Datenfundus entstehen, auf den die Polizei bei Bedarf
zugreifen kann.
Gegen die Speicherpflicht hatten die Provider SpaceNet und Deutsche Telekom
geklagt. Doch alle Provider wurden schon 2017 von der Speicherpflicht
befreit, weil das Gesetz absehbar gegen die Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs verstieß. Faktisch wurde das umstrittene Gesetz bisher also
überhaupt nicht angewandt.
Doch wollte das Bundesverwaltungsgericht das Gesetz retten und fragte 2019
beim EuGH an, ob die deutsche Vorratsdatenspeicherung wirklich gegen
EU-Recht verstößt. Schließlich seien die Speicherfristen in Deutschland mit
4 und 10 Wochen deutlich kürzer als in anderen Staaten, wo sie meist ein
halbes Jahr betragen. Außerdem sollen in Deutschland – anders als in
anderen Staaten – die E-Mail-Verbindungsdaten nicht gespeichert werden.
## Gezielte Speicherungen von Daten erlaubt
Der EuGH entschied nun, dass auch die deutsche Vorratsdatenspeicherung
unverhältnismäßig ist und gegen die E-Privacy-Richtlinie der EU verstößt.
Auch binnen zehn Wochen und ohne E-Mail-Verkehr könne mithilfe der
Verbindungsdaten ein „detailliertes Profil“ der Nutzer:innen erstellt
werden, mit Rückschlüssen auf Gewohnheiten des täglichen Lebens, ausgeübte
Tätigkeiten, Aufenthaltsorte und soziale Beziehungen. Schon die Möglichkeit
zur Profilbildung könne von der Ausübung der Meinungsfreiheit abhalten,
argumentierte der EuGH. Außerdem bestehe die Gefahr eines illegalen
Zugriffs auf die Daten durch Hacker.
Wie in früheren Urteilen verbietet der EuGH anlasslose
Vorratsdatenspeicherungen nicht generell. Er lässt sie vielmehr in vier
Konstellationen zu. Über diese Ausnahmen wird die deutsche Politik in den
kommenden Wochen intensiv diskutieren.
So erlaubt der EuGH bundesweite anlasslose Vorratsdatenspeicherungen, wenn
die nationale Sicherheit bedroht ist. Gemeint ist, dass es konkrete
Hinweise auf Terroranschläge gibt. Hinweise auf unpolitische Kriminalität,
die den Staat nicht gefährdet, genügen nicht.
Die zweite Ausnahme ist eine „gezielte“ Vorratsdatenspeicherung gegen
bestimmte Personengruppen. Dies könnten zum Beispiel terroristische
Gefährder sein oder entlassene [1][Sexualstraftäter] mit erhöhter
Rückfallgefahr.
## Die deutsche Politik muss jetzt entscheiden
Die dritte Ausnahme ist eine „gezielte“ Vorratsdatenspeicherung anhand
geografischer Kriterien. Damit sind zum Beispiel Orte gemeint, die von der
Polizei als Kriminalitätsschwerpunkte eingestuft werden, etwa weil dort mit
Drogen gehandelt wird. Auch an Bahnhöfen, Flughäfen oder Mautstellen
dürften vorsorglich alle Verbindungs- und Standortdaten gespeichert werden,
so der EuGH.
Die vierte Ausnahme ist die wichtigste: Bei IP-Adressen darf eine
Vorratsdatenspeicherung für die gesamte Bevölkerung eingeführt werden, weil
bei vielen Straftaten im Internet die IP-Adresse der einzige
Ermittlungsansatz ist. Internetprovider könnten also verpflichtet werden zu
speichern, wann sie welchen Kund:innen welche IP-Adresse zum Surfen im
Netz zugewiesen haben. Die Polizei könnte so herausfinden, welche Person
hinter einer IP-Adresse steckt, die zum Beispiel im Zusammenhang mit
Missbrauchsdarstellungen oder Internethetze festgestellt wurde. Laut BKA
beziehen sich mehr als 90 Prozent aller Polizeianfragen an Provider auf
IP-Adressen. Diese werden dort maximal sieben Tage lang, manchmal aber auch
gar nicht gespeichert.
Als zulässig wird in der EuGH-Entscheidung auch noch die
Quick-Freeze-Methode erwähnt. Sie ist aber keine klassische
Vorratsdatenspeicherung, da die Daten gerade nicht auf Vorrat gespeichert
werden, sondern zum Beispiel erst nach einem Mord. Bei Quick Freeze können
etwa die Daten von Personen „eingefroren“, das heißt gespeichert werden,
die in der Nähe des Tatortes waren, ohne dass es bereits einen konkreten
Verdacht gibt. Oft sind diese Daten allerdings bereits gelöscht, sodass
auch nichts eingefroren werden kann.
[2][Die deutsche Politik muss jetzt entscheiden], ob und welche Ausnahmen
sie vom Verbot der Vorratsdatenspeicherung zulassen will. Sie ist weder
verpflichtet, alle Ausnahmen einzuführen noch ist sie verpflichtet,
mindestens eine Ausnahme zuzulassen. Wenn sich die Ampel-Koalition nicht
einigen kann, gibt es keinerlei Vorratsdatenspeicherung in Deutschland –
wie schon derzeit.
20 Sep 2022
## LINKS
[1] /Datenschutz-bei-sexualisierter-Gewalt/!5855057
[2] /Nach-dem-EuGH-Urteil/!5882948
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Datenschutz
Vorratsdatenspeicherung
Europäischer Gerichtshof
Privatsphäre
Vorratsdatenspeicherung
Vorratsdatenspeicherung
Nancy Faeser
EuGH
Vorratsdatenspeicherung
Ampel-Koalition
## ARTIKEL ZUM THEMA
Vorratsdatenspeicherung in Deutschland: Buschmann präsentiert Quick Freeze
Der Justizminister präsentiert einen alternativen Gesetzentwurf zur
Vorratsdatenspeicherung. Daten sollen „eingefroren“ und „aufgetaut“ wer…
Die Erklärung: Datenhunger ohne Ende?
Der Europäische Gerichtshof hat die deutsche Vorratsdatenspeicherung
gekippt, erlaubt aber Ausnahmen. Die Ampel ist am Zug.
Zukunft von Bundesinnenministerin Faeser: Herz in Hessen, Amt in Berlin
Im Bund hat die Innenministerin viel zu tun. In Hessen rechnet kaum einer
damit, dass die SPD-Landeschefin zur Landtagswahl 2023 antritt.
Nach dem EuGH-Urteil: Der Vorratsdatenstreit ist wieder da
Nach dem EuGH-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung entbrennt wieder der
Streit über das anlasslose Datenspeichern – diesmal in der Ampel und
innerhalb der SPD.
EuGH und die Vorratsdatenspeicherung: Neuauflage oder Begräbnis
Seit 20 Jahren streitet Deutschland über die Vorratsdatenspeicherung. Am
Dienstag entscheidet nun der EuGH darüber. Kassiert er das Gesetz?
Pläne der Ampelkoalition: Die neue Digital-Begeisterung
Für die neue Ampelkoalition ist es einfach, mit Digitalthemen zu punkten.
Aber in manchen Stellen im Koalitionsvertrag steckt Gruseliges.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.