# taz.de -- EuGH und die Vorratsdatenspeicherung: Neuauflage oder Begräbnis | |
> Seit 20 Jahren streitet Deutschland über die Vorratsdatenspeicherung. Am | |
> Dienstag entscheidet nun der EuGH darüber. Kassiert er das Gesetz? | |
Bild: Der Widerstand währt schon lange: Demo gegen die Vorratsdatenspeicherung… | |
BERLIN taz | An diesem Dienstag wird der [1][Europäische Gerichtshof | |
(EuGH)] voraussichtlich das deutsche Gesetz zur | |
[2][Vorratsdatenspeicherung] beanstanden. Und er wird damit eine zentrale | |
Debatte der deutschen Innenpolitik neu befeuern. | |
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) setzt sich bereits für eine | |
[3][Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung] ein, vor allem um besser gegen | |
Missbrauchsdarstellungen von Kindern vorgehen zu können. Sie will alles | |
einführen, was nach dem EuGH-Urteil noch möglich ist. Justizminister Marco | |
Buschmann (FDP) hält das Instrument dagegen für „tot“. Er pocht auf den | |
Koalitionsvertrag, der anlasslose Vorratsdatenspeicherungen ausschließt. | |
Die Grünen stehen bisher hinter der FDP, äußern sich aber wenig. | |
Als Vorratsdatenspeicherung bezeichnet man die anlasslose Speicherung aller | |
Telefon- und Internetverbindungsdaten der gesamten Bevölkerung. Provider | |
wie die Telekom müssen dabei festhalten, wer wann wen angerufen, | |
angechattet oder angesimst hat und wer wann wo sich mit welcher IP-Adresse | |
ins Internet einloggte. | |
Bei Mobiltelefonen wird auch der Standort gespeichert. Inhalte werden | |
jedoch nicht erfasst. So soll ein riesiger Datenfundus entstehen, auf den | |
die Polizei bei Bedarf zugreifen kann. | |
## 2007 eingeführt, drei Jahre später gekippt | |
Erstmals wurde die Vorratsdatenspeicherung 2007 in Deutschland eingeführt. | |
Die damalige Große Koalition setzte damit eine EU-Richtlinie um. Die Daten | |
wurden aber nur von 2008 bis 2010 gespeichert. 2010 erklärte das | |
Bundesverfassungsgericht das [4][Gesetz für nichtig]. Geklagt hatten unter | |
anderem FDP-Politiker um Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Sie sorgte als | |
Justizministerin dafür, dass in den nächsten Jahren kein neuer Anlauf | |
unternommen wurde. | |
Das heute geltende Gesetz wurde erst 2015 in der nächsten Großen Koalition | |
beschlossen. Justizminister war damals Heiko Maas (SPD). [5][Der | |
seinerzeitige Kompromiss]: Statt sechs Monaten würden die Verbindungsdaten | |
und IP-Adressen nur noch zehn Wochen gespeichert, die Standortdaten der | |
Mobiltelefone nur noch vier Wochen. E-Mail-Verbindungsdaten sollten gar | |
nicht mehr gespeichert werden. | |
Doch 2017 – kurz vor Beginn der Speicherpflicht – setzte das | |
[6][Oberverwaltungsgericht Münster] das Gesetz im Fall einzelner Provider | |
aus, weil es vermutlich gegen EU-Grundrechte verstoße. Die | |
Bundesnetzagentur verzichtet deshalb seit Jahren auf die Durchsetzung. Das | |
aktuelle Gesetz wurde also keinen einzigen Tag angewandt. | |
## Strenge Rechtsprechung des EuGH | |
Rechtliche Probleme macht nicht das Bundesverfassungsgericht. In Karlsruhe | |
wird die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich akzeptiert, wenn bestimmte | |
Anforderungen berücksichtigt sind, insbesondere zur Sicherung der Daten. | |
Der gerichtliche Widerstand kommt vom EuGH, der anfangs jede Form | |
anlassloser Massenspeicherung für unverhältnismäßig hielt. [7][2014 | |
beseitigte der EuGH] deshalb die EU-Richtlinie. 2016 beanstandete er auch | |
nationale Regelungen in Schweden und Großbritannien. | |
Wegen der wütenden Reaktionen der EU-Staaten [8][ruderte der EuGH 2020 | |
deutlich zurück]. Er lässt nun die anlasslose Vorratsdatenspeicherung von | |
IP-Adressen zu. Bei Verbindungs- und Standortdaten sind „gezielte“ | |
Vorratsdatenspeicherungen bei bestimmten Personengruppen und in bestimmten | |
Gegenden möglich. Auch bei einer Bedrohung der nationalen Sicherheit sollen | |
Ausnahmen möglich sein. Doch auch mit diesen abgeschwächten Vorgaben ist | |
das deutsche Gesetz eindeutig nicht zu vereinbaren, weil es auch eine | |
anlasslose Speicherung aller Verbindungs- und Standortdaten vorsieht. | |
Das Bundesverwaltungsgericht hat das deutsche Gesetz dem EuGH dennoch 2019 | |
[9][zur Prüfung vorgelegt]. Die Leipziger Richter hoffen, dass der EuGH | |
seine strengen Vorgaben weiter aufweicht. Dafür gibt es bisher aber keine | |
Anzeichen. Der unabhängige Generalanwalt [10][Manuel Campos | |
Sanchez-Bordona] empfahl dem EuGH im November 2021, an seiner | |
Rechtsprechung festzuhalten. | |
19 Sep 2022 | |
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[1] /Europaeischer-Gerichtshof/!t5009204 | |
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[5] /Heiko-Maas-und-Vorratsdatenspeicherung/!5215559 | |
[6] /!5420107/ | |
[7] /EuGH-Urteil-zur-Vorratsdatenspeicherung/!5044668 | |
[8] /Urteil-zur-Vorratsdatenspeicherung/!5718766 | |
[9] /Bundesverwaltungsgericht-zu-Datenschutz/!5630121 | |
[10] /EuGH-und-Vorratsdatenspeicherung/!5816482 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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