| # taz.de -- Heiko Maas und Vorratsdatenspeicherung: „Ja, das war ich“ | |
| > Er war harter Gegner der Vorratsdatenspeicherung – bis er Justizminister | |
| > wurde. Dann hat er ihre Umsetzung in der eigenen Partei durchgesetzt. | |
| Bild: Nicht mit Bitten und Beten hat er Erfolg gehabt, sondern mit der harten K… | |
| taz: Herr Maas, sind Sie derzeit ein skeptischer Befürworter der | |
| Vorratsdatenspeicherung oder ein konstruktiver Kritiker? | |
| Heiko Maas: Die Begriffe haben ja eine große Schnittmenge. Aber eigentlich | |
| interessieren mich solche Schubladen nicht, unter denen sich jeder etwas | |
| anderes vorstellen kann. | |
| Finden Sie Ihren Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung richtig gut? | |
| Sind Sie stolz darauf, was Sie mit Innenminister de Maizière ausverhandelt | |
| haben? | |
| Der von uns vorgelegte Gesetzentwurf hat mit dem alten Gesetz nicht viel zu | |
| tun. Es sollen weit weniger Daten für einen kürzeren Zeitraum gespeichert | |
| werden, sie sind besser gegen Missbrauch gesichert und sie können nur zur | |
| Aufklärung schwerer Straftaten abgerufen werden. Kein Gesetz in Europa ist | |
| so zurückhaltend, wie das von uns geplante. | |
| Sehen Sie sich als Erfinder einer „zurückhaltenden | |
| Vorratsdatenspeicherung“? | |
| Es gibt sicher Gesetze, denen ich emotional näher stehe. Aber ich bin mir | |
| sicher, dass es uns ganz gut gelungen ist, die grundrechtlichen | |
| Anforderungen einzuhalten und dennoch Mehrwert für die polizeilichen | |
| Ermittler zu schaffen. | |
| Ich würde gern verstehen, wie sich Ihr Verhältnis zur | |
| Vorratsdatenspeicherung verändert hat. Was ist grundlegende Überzeugung, | |
| was sind neue Einsichten und was ist politische Loyalität? | |
| Fragen Sie! | |
| Als Karlsruhe 2010 das erste Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung kippte, | |
| lobten Sie das Urteil als „klare Absage an die Ermittlungsmethode des | |
| Generalverdachts“. Damals waren Sie also Gegner der | |
| Vorratsdatenspeicherung? | |
| Meine Skepsis war und ist bekannt. Man kann das nur unter strengen | |
| Voraussetzungen machen, die ich eben skizziert habe. | |
| Dann wurden Sie Minister einer Regierung , in deren Koalitionsvertrag die | |
| Vorratsdatenspeicherung vorgesehen war. Die Methode an sich war für Sie | |
| also kein rechtsstaatliches Tabu? | |
| Das Verfassungsgericht hat 2010 klare Vorgaben gemacht, ebenso der EuGH | |
| 2014 – beide Gerichte haben aber die Vorratsdatenspeicherung nicht von | |
| vornherein ausgeschlossen. | |
| Gleich nach Amtsantritt im Januar 2014 haben Sie aber angekündigt, die | |
| Vorratsdatenspeicherung erst einmal „auf Eis“ zu legen, bis der Europäische | |
| Gerichtshof über die entsprechende EU-Richtlinie entschieden hat. | |
| Es schien mir einfach logisch, erst das Urteil abzuwarten und dann einen | |
| Gesetzentwurf vorzulegen. | |
| Sie sagten damals, wenn der EuGH die Richtlinie kippt, entfällt die | |
| „Geschäftsgrundlage“ des Koalitionsvertrags. Etwas überraschend hat der | |
| EuGH im April 2014 tatsächlich die Richtlinie für nichtig erklärt. Trotzdem | |
| soll es jetzt eine Vorratsdatenspeicherung geben. | |
| „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ hieß ja nicht: dann machen wir gar keine | |
| Vorratsdatenspeicherung, sondern nur: dann müssen wir neu reden, wie man | |
| mit dieser Situation umgeht. | |
| Was haben Sie und der Innenminister nach dem EuGH-Urteil vereinbart? | |
| Dass wir erst mal abwarten, ob die EU-Kommission einen Vorschlag für eine | |
| neue Richtlinie vorlegt. Wenn ja, wollten wir die Richtlinie mitgestalten | |
| und hätten sie anschließend auch umsetzen müssen. | |
| Dann ist aber monatelang gar nichts passiert … | |
| Wir haben gewartet, was die Kommission macht, von der aber erst mal nichts | |
| zu hören war. | |
| Im Dezember 2014 twitterten Sie: „#VDS lehne ich entschieden ab - verstößt | |
| gg Recht auf Privatheit u Datenschutz. Kein deutsches Gesetz u keine | |
| EU-RL!“ Waren das Sie oder hat ein pfiffiger Aktivist Ihren Account | |
| gehackt? | |
| Das war ich. | |
| Zu diesem Zeitpunkt sahen Sie also die Chance, ganz auf die | |
| Vorratsdatenspeicherung zu verzichten? | |
| Es ging damals um eine Vorratsdatenspeicherung, wie sie sich die | |
| Sicherheitspolitiker stets gewünscht haben – also deutlich mehr Daten | |
| speichern und längere Speicherfristen. Für eine solche sah ich keine | |
| Grundlage – und die ist auch so nicht geplant. | |
| Anfang Januar kam der Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo in | |
| Frankreich. Unions-Politiker forderten die Vorratsdatenspeicherung. Sie | |
| hielten jedoch dagegen. | |
| Ich wollte vor allem verhindern, dass nun überstürzt über ein Gesetz | |
| diskutiert wird. Die Verschärfung von Gesetzen nach Anschlägen führt selten | |
| zu guten Ergebnissen. Es ist eine Aufgabe des Justizministers, hier zur | |
| Besonnenheit aufzurufen. Der Rechtsstaat bewährt sich vor allem in der | |
| Bedrohung. | |
| Ab Mitte Januar 2015 erklärte SPD-Chef Sigmar Gabriel, die SPD sei offen, | |
| die Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen. Haben Sie versucht, in der | |
| SPD Widerstand dagegen zu organisieren? | |
| Nein. | |
| Warum nicht? | |
| Der Anschlag auf Charlie Hebdo war ein Einschnitt, weil jeder wusste: Das | |
| hätte theoretisch auch bei uns passieren können. Ich habe gemerkt – nicht | |
| nur in der Politik, auch in der Bevölkerung –, dass im Lichte eines solchen | |
| Ereignisses Sicherheitsargumente plötzlich an Schlagkraft gewinnen. Das | |
| muss nicht immer rational sein – aber es ist so. | |
| Und dann haben Sie eben mitgemacht? | |
| Ich habe die Chance gesehen, jetzt mit der Union eine | |
| grundrechtsverträgliche Form der Vorratsdatenspeicherung auszuhandeln, die | |
| den strengen Vorgaben der Gerichte gerecht wird und auch den parteiinternen | |
| Hürden auf Grundlage des SPD-Parteitagsbeschlusses. Ich finde: Das ist | |
| alles gut gelungen. | |
| Am 15. März hat Gabriel im Deutschlandfunk verkündet, „dass die Kollegen de | |
| Maizière und Heiko Maas gemeinsam einen solchen Vorschlag entwickeln | |
| müssen“. Hatte er da vorher mit Ihnen gesprochen? | |
| Die Position von Sigmar Gabriel war weder neu noch überraschend. | |
| War abgesprochen, dass Gabriel bekannt gibt, was Sie machen „müssen“? | |
| Ich hatte doch längst angefangen, mit Herrn de Maizière zu reden. | |
| Die parteiinterne Kritik an der Vorratsdatenspeicherung war dann doch viel | |
| größer, als Sie erwartet haben. Ohne Sie hätte Gabriel seinen Plan auf dem | |
| SPD-Konvent im Juni gar nicht durchsetzen können. | |
| Das ist hypothetisch. | |
| Warum haben Sie das getan? War es die Loyalität zu Sigmar Gabriel, zum | |
| SPD-Vorstand oder haben Sie aus eigener Überzeugung für das Projekt | |
| gekämpft? | |
| Es ist mir gelungen, eine vergleichsweise restriktive und vor allem | |
| grundrechtsschonende Regelung auszuhandeln. Dass ich aus einer Position der | |
| harten Ablehnung kam, hat dies vielleicht sogar erleichtert. | |
| Noch ist das Gesetz nicht verabschiedet. In der Union fordern manche | |
| Nachbesserungen zugunsten der Sicherheitsbehörden. | |
| Herr de Maizière und ich sind der Auffassung, dass wir einen guten und | |
| ausgewogenen Kompromiss vorgelegt haben. Jetzt ist der Bundestag am Zug. | |
| Gegen die neue Vorratsdatenspeicherung wurden schon viele Klagen | |
| angekündigt. Hoffen Sie insgeheim, dass die Gerichte das Gesetz kippen? | |
| Nein. Ich bin sicher, dass wir alles dafür getan haben, dass das Gesetz | |
| bestätigt wird. | |
| Haben Sie mehr Angst vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen | |
| Gerichtshof? | |
| Ich habe überhaupt keine Angst. Denn das Gesetz genügt allen Vorgaben. | |
| Im Januar haben Sie noch betont, eine Vorratsdatenspeicherung könne nicht | |
| wieder eingeführt werden, weil der EuGH darin eine Verletzung der | |
| Grundrechte sieht. War das damals etwas zu pauschal formuliert? | |
| Wie bereits gesagt: Es ging damals um eine Vorratsdatenspeicherung, wie sie | |
| sich die Sicherheitspolitiker immer gewünscht haben. Was wir nun vorgelegt | |
| haben, hat damit nicht mehr viel zu tun. Wir erfüllen die EuGH-Vorgaben – | |
| auch, weil wir den E-Mail-Verkehr komplett von der Speicherung ausnehmen | |
| und die Berufsgeheimnisträger besonders schützen. | |
| Parteichef Gabriel will die SPD zur „Partei der Sicherheit“ machen, so hört | |
| man. Sind Sie wieder mit dabei? | |
| Die SPD ist und bleibt vor allem die Partei der sozialen Sicherheit, ich | |
| nenne nur mal die Mietpreisbremse. Aber man muss auch die Sorgen und Ängste | |
| der Bürger vor Kriminalität und Bedrohung ernst nehmen. | |
| 27 Jul 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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