| # taz.de -- Die AfD in Ostdeutschland: Nicht Standortrisiko. Lebensrisiko! | |
| > „Das größte Standortrisiko für Ostdeutschland ist die AfD“, sagt | |
| > Finanzminister Lindner. Das ist Hohn für alle, die unter rechter Gewalt | |
| > leiden. | |
| Bild: Die Sonneberger Firma Plüti gab schon vor dem AfD-Sieg auf | |
| Gewohnt glatt navigiert sich Christian Lindner (FDP) am Montag im | |
| thüringischen Weimar durch eine Diskussion mit Bürger*innen – erst als | |
| das Thema AfD aufploppt, gerät der Finanzminister in etwas schwierigeres | |
| Gewässer. Am Wochenende hat [1][AfD-Mann Robert Sesselmann in Sonneberg die | |
| Landratswahl in einer Stichwahl gewonnen]. Ein weiteres Bröckeln der | |
| Brandmauer. Ein junger Mann will nun von Lindner wissen, ob die | |
| Bundespolitik auch einen Anteil am Erfolg der AfD hat. | |
| Lindner kann diesem Narrativ nicht zustimmen. Er betont, dass niemand aus | |
| einer Unzufriedenheit heraus die AfD wählen müsse. [2][„Es tut mir in der | |
| Seele weh, es zu sagen, aber im Notfall könnte man noch die Linkspartei | |
| wählen“], sagt er. Ihm muss bewusst gewesen sein, welche Abwehrreflexe | |
| diese Aussage in der liberalen Wählerschaft auslöst. Auf dem letzten | |
| FDP-Parteitag hatte er ja noch versprochen, für ein [3][„nicht linkes | |
| Deutschland“] zu kämpfen. Er schiebt also noch vorsichtshalber nach: „Bitte | |
| zitieren Sie mich damit nicht, das ist keine Wahlempfehlung.“ Womit er sich | |
| eigentlich als Medienprofi sicher sein kann: Damit schafft er es in die | |
| Schlagzeilen. So kam es. | |
| Das Traurige ist: Die einen feiern Lindner nun für dieses absolute Minimum | |
| an Antifaschismus. Allein das verdeutlicht, wie rechts der Diskurs bereits | |
| ist. Im Grunde genommen hat er damit nur gesagt, dass die Linkspartei nicht | |
| mit der Höcke-AfD verglichen werden kann. Womit er absolut recht hat. Für | |
| Teile der liberal-libertären Blase war das aber offenbar schon so schwer | |
| verdaulich, dass Lindner selbst diese Aussage nachträglich noch mal | |
| einordnen musste: „Niemand muss AfD wählen, wenn er populistische | |
| Sozialpolitik will. Die gibt es auch bei der Linken.“ | |
| Das anti-linke Feindbild musste also doch noch bedient werden. Dabei sind | |
| sich die Wahlprogramme von AfD und FDP, sachlich betrachtet, viel | |
| ähnlicher. Und man kann an dieser Stelle auch kurz daran erinnern, dass | |
| [4][Höcke-Handschlag-FDP-Mann Thomas Kemmerich] immer noch Chef der | |
| Thüringer FDP ist und im kommenden Wahlkampf mit seiner Bekanntheit punkten | |
| möchte. | |
| ## Verwertung wichtiger als Betroffene | |
| Welche Aussage Lindners aber viel weniger kontrovers diskutiert wurde, ist | |
| folgende: „Das größte Standortrisiko für Ostdeutschland ist die AfD.“ | |
| Ähnlich formulierte das [5][auch Innenministerin Nancy Faeser (SPD)]. Auch | |
| sie fürchtet, dass das Hoch der AfD Fachkräfte abschreckt und die deutsche | |
| Wirtschaft schwächt. Für manche bei Lindners Auftritt in Weimar ist diese | |
| Einordnung sogar einen Applaus wert. Dabei ist sie Hohn für alle, die unter | |
| rechter Gewalt leiden. Wird Rechtsextremismus erst zum Problem, wenn die | |
| Wirtschaft und der Wohlstand gefährdet sind? Wenn kein Ausländer mehr | |
| kommt, um Koffer zu schleppen und den Pflegenotstand zu beheben? | |
| Die Aussagen von Lindner und Faeser mögen einen wahren Kern haben. Keine | |
| qualifizierte Fachkraft, die die Wahl hat, geht freiwillig in ein kaltes | |
| Land mit einer schwierigen Sprache, in dem sie auch noch Angst um ihre | |
| Sicherheit haben muss. Aber die gewählten Worte offenbaren, dass die | |
| kapitalistische Verwertungslogik für diese politischen Entscheidungsträger | |
| schwerer wiegt als die Sicherheit von Betroffenen. Rechtsextremismus ist | |
| nicht in erster Linie ein Standortrisiko für die Wirtschaft, sondern ein | |
| Lebensrisiko für alle, die nicht in das beschränkte Weltbild von Rechten | |
| passen. | |
| Und zur Wahrheit gehört auch: Dieses Risiko besteht in Deutschland nicht | |
| nur im Osten und nicht erst seit dem Aufkommen der AfD. Das Hoch dieser | |
| Partei ist nur die politisch-parlamentarische Verfestigung eines | |
| Grundproblems. Die Bundesrepublik, die sich gerne als | |
| Aufarbeitungsweltmeisterin feiert, hat eine lange Tradition rechtsextremer | |
| und rassistischer Gewalt. | |
| 27 Jun 2023 | |
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| [1] /AfD-gewinnt-Landratswahl-in-Sonneberg/!5942890 | |
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| [3] /Christian-Lindner-beim-FDP-Parteitag/!5929469 | |
| [4] /Die-FDP-in-der-Bundesregierung/!5935571 | |
| [5] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/faeser-afd-landrat-wirtschaft-100.ht… | |
| ## AUTOREN | |
| Jasmin Kalarickal | |
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