# taz.de -- Die 6. Athen-Biennale: Die schwarzen Bilder von Athen | |
> Was bleibt von der Documenta? Die 6. Athen-Biennale „Anti“ zeigt: die | |
> befürchtete Post-Documenta-Depression bleibt aus. | |
Bild: Der Berliner Künstler Johannes Paul Raether bei seiner Performance | |
„Stehen bleiben. Sie sind verhaftet. Schalten Sie die Kameras aus.“ Die | |
Athener Polizei fackelte vergangene Woche nicht lange. Kaum hatte das | |
bizarre Schwarmwesen in schrillen Neonfarben und Teleskop-Hörnern die | |
Absperrung vor der alten Römischen Agora im Schatten der Athener Akropolis | |
durchbrochen, schritten die Ordnungshüter ein. | |
Mit Grenzüberschreitungen hat Johannes Paul Raether seine Erfahrung. Als | |
der Berliner Kunstaktivist vor ein paar Jahren in einem Apple-Store auf dem | |
Ku’damm eine verdächtige silberne Flüssigkeit versprühte, wurde der Laden | |
sofort geräumt. Und wenn es um den Mythos geht, kennt auch die griechische | |
Hauptstadt keinen Spaß. | |
Nur nach dem guten Zureden von Raethers „Followern“ erkannten die | |
griechischen Polizisten auf „Kunstaktion“. Wenige Minuten gelang dem | |
Künstler dann doch seine okkulte Fetischkritik: Mit einem Bohrer fräste er | |
in Sichtweite der „Wiege der Demokratie“ die bronzierte Nippes-Statue eines | |
griechischen Helden in Stücke. | |
Raethers Aktion hätte gut zu „Destroy Athens – Zerstört Athen“ gepasst.… | |
dem ikonoklastischen Kampfruf hatten vor elf Jahren ein paar wild | |
entschlossene Kunstschaffende die griechische Metropole gleichsam | |
handstreichartig auf die Landkarte der Weltkunst gesetzt. Zerstört das | |
Klischeebild aus Antike und Urlaub! Das war die Idee hinter dem Motto der | |
1. Athen-Biennale 2007. Sechs Jahre später verwandelten sie sie unter dem | |
Titel „Agora“ zu einem kollektiven Happening, das die kurz zuvor | |
ausgebrochene Finanzkrise auf eigene Faust lösen wollte. | |
[1][„Anti“ – der Titel der jüngsten, mittlerweile sechsten Ausgabe der | |
Biennale], klingt wieder ziemlich aufrührerisch. Doch die Schau ist kein | |
Fanal zum Widerstand. Denn für Poka-Yio, Kostis Stafylakis und Stefanie | |
Hessler, die drei Kurator*innen der Schau, ist das große Anti, das sie | |
treibt, eine verblasste Größe – weil es längst Mainstream geworden ist. | |
## Apokalypse ist unausweichlich | |
Kaum eine Protestgeste, argumentieren sie, die nicht sofort von Kommerz und | |
Design gekapert wird. Und sind nicht Alexis Tsipras und Donald Trump | |
tatsächlich das lebende Beispiel dafür, wie schnell ein lautstarkes Anti | |
auf das Siegerpodest der Geschichte führt? | |
Wenn sich niemand mehr gegen den Wahnsinn stellt, ist die Apokalypse | |
unausweichlich. Vielleicht strotzt diese bunte Schau deshalb so von ihren | |
ästhetischen Verkörperungen. In „Rumba Nomad“, dem Video der chinesischen | |
Künstlerin Cao Fei, schnurren zwei kreisrunde Roboter-Staubsauger durch die | |
Trümmerlandschaft einer zerstörten Stadt bei Peking. | |
„Stay inside or perish“ hat die amerikanische Künstlerin Ivana Bašić ihre | |
Arbeit genannt. Bei dem über eine Schlinge gehängten menschlichen Torso aus | |
Wachs, Stahl und Plastikbändern lösen sich die Grenzen zwischen Kultur, | |
Technik und Natur auf. | |
Mit leichtem Zynismus arbeitet der niederländische Künstler und | |
Amateurdetektiv Quenton Miller. Unter dem Schlagwort „Dying Marxists“ hatte | |
er per Anzeige in der London Review of Books Leser, die sich selbst als | |
Marxisten bezeichnen, für ein Filmprojekt gesucht. In Athen soll es für die | |
aussterbende Spezies ein Dinner geben. | |
Dass das Ende nah ist, wird in der griechischen Hauptstadt noch immer | |
sinnfällig. Die Ausstellungsorte der Biennale spiegeln das Waste Land, | |
[2][in das Finanzkrise und Spardiktat das Land verwandelt haben]: das seit | |
acht Jahren geschlossene, ehemalige Luxushotel Esperia Palace an der | |
abgewrackten Einkaufsmeile Stadiou, das leerstehende | |
Telekommunikationsgebäude OTE, Symbol des Übergangs vom analogen zum | |
digitalen Zeitalter, und die alte Zentrale der bankrotten griechischen | |
Techniker-Krankenkasse. | |
Das Biennale-„Anti“ blendet ein bisschen aus, dass es durchaus Formen davon | |
gibt, die noch nicht neoliberal gewendet und korrumpiert wurden: | |
Gewerkschaftskämpfe, Umweltaktivismus. Kaum verwunderlich insofern, dass | |
man in Athen Auswege aus diesem posthumanen Desaster vergebens sucht. | |
## Von Post-Documenta-Depression nichts zu spüren | |
Auf die Frage nach dem eigenen „Anti“ zuckt Kurator Poka-Yio mit den | |
Schultern. „Goya hat ja auch seine schwarzen Bilder gemalt“, verteidigt er | |
die Haltung der Kuratoren, dass die Kunst nicht zwingend zu einer | |
Alternative verpflichtet ist. So apokalyptisch die Aussichten, so gelassen | |
gibt sich die Szene, die produziert. [3][Von einer | |
Post-Documenta-Depression], wie sie viele im letzten Jahr für den Zeitpunkt | |
befürchtet hatten, dass die Weltkunstschau aus Athen abzieht, ist nichts zu | |
spüren. | |
Am Vorabend der Documenta-Eröffnung im Frühjahr letzten Jahres hatten die | |
Macher der Athen-Biennale noch mit einer bizarren Performance kritisiert, | |
dass sie die Energien der Stadt für ihre Zwecke kolonisiere. Heute gibt | |
sich einer ihrer Köpfe versöhnlich. | |
„Die Documenta ist das Beste, was Athen je passieren konnte. Punkt,“ sagt | |
Poka-Yio, der die Biennale 2007 mit begründete. „Sie hat nicht unbedingt | |
das Geschäft hierher gebracht“, sagt Roupen Kalfayan, Gründer einer der | |
führenden Galerien Athens, „aber sie hat Energie und Hoffnung in einem sehr | |
dunklen Moment unserer Geschichte kreiert“. | |
Auch Marina Fokidis räumt ein, dass South, die Kunstzeitschrift, die sie | |
2012 gründete und die Adam Szymczyk als Hausorgan der Documenta kaperte, an | |
internationaler Aufmerksamkeit gewonnen hat. Den eigentlichen Wert der | |
Documenta sieht die ehemalige Bürochefin der Documenta in Athen aber darin, | |
dass sie die internationale und die lokale Kunstszene vernetzt hat. | |
Die zuvor unbekannte Athener Kunsthochschule, Kooperationspartner der | |
Documenta, ist heute ein respektierter Teil von deren internationalem | |
Netzwerk. „Ich bin so glücklich darüber, wie sich das Modell einer | |
stärkeren Stadt im Norden, die sich mit einer schwächeren Stadt im Süden | |
verbündet, weiter wirkt und die Zivilgesellschaften verknüpft“, | |
argumentiert die temperamentvolle Kunstwissenschaftlerin. | |
## Die neue Attraktivität Athens | |
Die Zahl der in Nord-Süd-Kooperation betriebenen Artspaces habe sich | |
vervielfacht. Gab es vor der Documenta um die zehn von ihnen, zählt Fokidis | |
nun mehr als hundert. „Du kannst jetzt hier jeden Abend zu irgendeiner | |
Eröffnung gehen.“ Jetzt plant sie ein Ausstellungsprojekt, das die neue | |
Landkarte der Athener Kunst „mappt“. | |
Auch Stefanie Hessler bestätigt das plötzliche Verschwinden der | |
Documenta-„Anti“-Pathien. „Hab ich nichts von gespürt“, resümiert die | |
deutsche Kuratorin und Autorin, die an der Universität Stockholm | |
unterrichtet und in der Stadt selbst einen Artspace gegründet hat, ihre | |
Arbeit in Griechenland. | |
Zu den neuen Räumen gehören Iliana Fokianakis „State of Concept“ und die | |
Initiative „Artworks“. Im historischen Stadtzentrum kümmert sich die | |
ehemalige Journalistin um die ästhetische Kritik des Nationalstaats. | |
Marilyn Konstantinopoulou und Dimitra Nikolou organisieren im alternativen | |
Stadtteil Exarcheia ein Stipendienprogramm für junge Künstler*innen. | |
Die neue Attraktivität Athens zeigt sich am jungen Kurator Christian | |
Oxenius. Vor Kurzem zog der deutschitalienische Stadtsoziologe, der in | |
Liverpool studierte, von Istanbul nach Athen. Die Stimmung dort reizte ihn | |
mehr als das Angstklima am Bosporus. | |
Kurz vor der Athen-Biennale lud er vier Künstler*innen zu einer | |
Ausstellungsreihe ein. Den Raum hatte ihm ein befreundeter griechischer | |
Fotograf besorgt, der wegen des Brexits von London nach Athen zurückkehren | |
will. Alle mussten die kleine Höhle bespielen, die sich unter dem Hof eines | |
Wohnhauses aus den Zeiten erhalten hat, als sich Migranten in dem kleinen | |
Stadtviertel zu Füßen der Akropolis niederließen – eine Erinnerung an den | |
Ursprungsort der Zivilisation. | |
Eigentlich geht es in dem Beitrag der Berliner Künstlerin Jeanno Gaussi zu | |
der Ausstellungsreihe um die Verunsicherung in einem neuen Kontext. Man | |
kann den Fußweg durch einen hölzernen Tunnel, an dessen Ende der Besucher | |
plötzlich in Strümpfen in dem dunklen, unterirdischen Raum stand, aber auch | |
als Metapher auf den Krebsgang zurück in der Geschichte sehen, in dem sich | |
die Welt derzeit bewegt. Sind wir auf dem Weg zurück in das „neue | |
Mittelalter“, das Kurator Poka-Yio beschwört? Löst sich die Welt in ein | |
Dunkelreich aus Faschismus, Ökozid und Cyborgs auf? | |
Womöglich bleibt als einzige Überlebende des drohenden Kollapses die gelbe | |
„Super-Rat“ des japanischen Künstlerkollektivs Chim↑Pom übrig, die dem | |
Pokémon-Charakter Pinachu ähnelt. Es ist gegen jedes Gift und Unheil immun. | |
Fröhlicher Bewohner der Post-Fukushima-Welt, die wir in Zukunft mit ihr | |
teilen. | |
31 Oct 2018 | |
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[1] http://www.athensbiennale.org | |
[2] /Debatte-Finanzkrise-in-Griechenland/!5519997 | |
[3] /Documenta-in-den-Miesen/!5447357 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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Sidney gewirkt. |