| # taz.de -- Deutschkroatische Regisseurin: Durchgewalkt von Kopf bis Fuß | |
| > Anita Vulesica ist Schauspielerin, Sprachakrobatin, Komödiantin und | |
| > Regisseurin. Gerade arbeitet sie an einem Stück über Konzernchefinnen. | |
| Bild: Temperament und Rhythmus, rasantes Tempo und ein verschmitzter Witz: Das … | |
| Es gibt in der Inszenierung der [1][„Ursonate“ von Kurt Schwitters am | |
| Deutschen Theater] in Berlin, in der Regie von Claudia Bauer, eine Szene | |
| mit Anita Vulesica, in der sie einem kleinen Diktator gleicht. Wie sie das | |
| „P“ herausschleudert mit spitzen Lippen, dabei in eine Schreibmaschine | |
| hackt, mit einzelnen Buchstaben und Lauten die Richtung vorgibt, in die | |
| andere bald marschieren müssen – das ist energiegeladen mit einem komischen | |
| Überschwang. Daran muss ich wieder denken, wenn Anita Vulesica von sich als | |
| Regisseurin sagt, dass sie ihre Schauspieler:innen „durchwalkt von Kopf | |
| bis Fuß“ oder ihren „Rhythmus in sie einprügelt“. Schwitzen sollen sie, | |
| Muskelkater haben am nächsten Tag. Denn das „Publikum soll spüren, dass es | |
| etwas kostet, dann lässt es sich berühren“, meint Anita Vulesica. | |
| Temperament und Rhythmus, rasantes Tempo und ein verschmitzter Witz: Das | |
| alles zeichnet Anita Vulesica aus, als Schauspielerin und als Regisseurin. | |
| Ihr großes Talent für das Komische und das Rhythmische ist gerade in zwei | |
| Inszenierungen in Hamburg und in Berlin zu erleben. Beide Stücke sind nach | |
| erstaunlichen Texten des französischen Autors Georges Perec entstanden, | |
| geschrieben 1968. Perec war ein großer Experimentator mit der Sprache. | |
| Seine Musikalität und seine Formstrenge haben Vulesica angezogen. Mit ihm, | |
| der in Deutschland wenig bekannt ist, hat sie ein ganzes Universum | |
| entdeckt. | |
| Am [2][Deutschen Schauspielhaus in Hamburg entstand „Die Maschine oder: | |
| Über allen Gipfeln ist Ruh“]. Erstaunlich aktuell ist das Stück, das zum | |
| Theatertreffen im Mai nach Berlin eingeladen ist, weil es die Spannung | |
| zwischen künstlicher Intelligenz und Poesie verhandelt. „Künstliche | |
| Intelligenz lag extrem in der Luft Ende der 1960er Jahre“, erinnert sich | |
| Vulesica, „Kubrick hatte da gerade seinen Film „2001: Odyssee im Weltraum“ | |
| herausgebracht. Man dachte über das Träumen und Denken von Maschinen nach. | |
| Können Maschinen Kunst? Haben sie eine Seele? Wenn ja, was bedeutet das für | |
| uns?“ | |
| Goethes Gedicht wird bei Perec verschiedenen mathematischen und | |
| semantischen Operationen unterzogen, immer absurder werden die Textzeilen | |
| und behalten doch ihre poetische Struktur. Während die eine Seite der Bühne | |
| der Maschine gehört, entfalten sich auf der anderen Seite apokalyptisch | |
| gefärbte Bilder des Waldes, es regnet Fische. Der Wald, im Gedicht ein | |
| Sehnsuchtsort, wird zu einem zerstörten und unheimlichen Ort. Dann zählen | |
| die Schauspieler:innen auch schon mal die Namen von ausgestorbenen | |
| Vogelarten auf und ihre Schatten erinnern an Soldaten mit Tarnhelmen auf | |
| dem Kopf. Vulesicas Inszenierung öffnet sich für viele Assoziationen. | |
| Dass sich Georges Perec mit Goethes Gedicht gerade auch einen deutschen | |
| Mythos vornahm, ist kein Zufall. Sein Vater war im Krieg gegen die | |
| Deutschen gefallen, seine Mutter vermutlich in einem Konzentrationslager | |
| ermordet worden. Hinter dem Witz der vielen sprachlichen Manipulationen am | |
| Kunststück des Dichters liegen so auch Schmerz und Bitterkeit. Die | |
| scheinbar kalte Technik vollzieht eine Rache am deutschen Gefühlsgut | |
| Innigkeit. Und bringt dabei aber wieder eine Kunst hervor, der mit | |
| Vergnügen zu folgen eine andere Art von Trost spendet. | |
| Anita Vulesica ist in München geboren. Ihre Eltern waren als Gastarbeiter | |
| aus Kroatien nach Deutschland gekommen, sie selbst wuchs zwischen | |
| Deutschland und Kroatien auf, pendelnd zwischen unterschiedlichen | |
| Verwandten, in unterschiedlichen Schulsystemen. Wenn sie sich auf ihre | |
| biografische Geschichte bezieht, dann auf eine, die sie stark gemacht habe. | |
| Man fantasiert sich hinzu, dass ihre Ausstrahlung, ihr Charme und ihr | |
| Temperament ihr geholfen haben, in neuer Umgebung sichtbar zu werden und | |
| Kontakt herzustellen. Sie war die Erste der Familie, die studierte, | |
| Schauspiel an der Ernst-Busch-Schule in Berlin. Als eine zweite Ausbildung | |
| sieht sie ihr erstes Engagement als Schauspielerin am Theaterhaus Jena | |
| (2001–2004), damals geleitet von Claudia Bauer. „Da habe ich unfassbar viel | |
| gelernt.“ | |
| Als Regisseurin war Vulesica in Graz, Wien, Basel und Berlin engagiert. In | |
| Österreich wurde sie zweimal mit dem Nestroy-Theaterpreis ausgezeichnet. Am | |
| Deutschen Theater in Berlin ist die „Gehaltserhöhung“, eben nach Georges | |
| Perec, zu sehen, und am 14. März kommt „Der Liebling“ heraus, eine | |
| Uraufführung nach einem Text der Dramatikerin [3][Svenja Viola Bungarten]. | |
| Der Text der „Gehaltserhöhung“ ist extrem minimalistisch und von vielen | |
| Wiederholungen gezeichnet. Das Spiel aber ist sehr körperlich. Unter ihren | |
| Anzügen tragen die um eine Gehaltserhöhung vergeblich Bittenden Panzer. Sie | |
| blähen sich auf, versuchen sich zu rüsten. Ebenso wie die Choreografie sei | |
| die Rolle der Kostüme sehr wichtig, sagt Vulesica. „Man braucht eine dicke | |
| Haut, eine Panzerung auf dieser Welt. Man muss auf das Spielfeld des | |
| Lebens. Man braucht dafür Kondition und eine Ausrüstung. Hinfallen und | |
| wieder aufstehen, Verwundungen, blaue Flecke.“ | |
| Und dennoch begleitet leises Glucksen und Lachen jede Vorstellung, die das | |
| Hinfallen und Wiederaufstehen eben auch clownesk zelebriert. Anita | |
| Vulesicas Inszenierungen sind unterhaltend – auch gerade da, wo sie sich um | |
| Strukturen der Macht drehen. | |
| Für „Der Liebling“ arbeitet sie wieder mit der Bühnenbildnerin Henrike | |
| Engel, der Choreografin Mirjam Klebel und der Kostümbildnerin Janina | |
| Brinkmann zusammen. „Wir bilden eine Einheit“, sagt Vulesica zu diesem | |
| Team. „Ich starte mit einer Vision und die anderen hängen sich dran.“ | |
| Ging es in der „Gehaltserhöhung“ um den vergeblichen Kampf von Angestellten | |
| gegen eine ungreifbare, aber zunehmend wachsende Macht, dreht sich „Der | |
| Liebling“ jetzt um die Kämpfe innerhalb des Kreises der Mächtigen. | |
| Ausgetragen werden sie auf der Bühne unter fünf Frauen und einem Mann. | |
| „Welche Systeme haben uns dazu gemacht, so nach Macht zu streben, an ihr | |
| festzuhalten?“, fragt sich Vulesica und verweist auf mehr als zwei | |
| Jahrtausende Patriarchat. Da geht es auch unter Frauen hässlich zu, sie | |
| hauen sich einiges um die Ohren in den screwballartigen Dialogen. | |
| 11 Mar 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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