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# taz.de -- Theatermacherin Rebekka David: Gewalt und Widerstand
> Rebekka David schreibt Klassiker der Weltliteratur weiter und bringt sie
> auf die Bühne. Ihr „Kohlhaas“ am Theater Bonn sprengt moralische Grenzen.
Bild: Neben Theater macht Rebekka David auch erfolgreich Hörspiele
Ihre Wohnung in Berlin sieht sie kaum, aber diese Art von Nomadentum ist
wohl normal, wenn man gerade als gefragte Nachwuchsregisseurin
durchstartet. [1][Rebekka David, 31 Jahre alt], die in Leipzig geboren ist
und an der Ernst-Busch-Schule in Berlin studiert hat, ist in den letzten
Jahren zwischen Graz, Saarbrücken, Hannover, Bonn, Rostock, Braunschweig
und anderen Städten gependelt. Als ihr Markenzeichen hat sie entwickelt,
Klassiker der Weltliteratur – weiterzuschreiben.
Nicht zu überschreiben, wie es jahrelang im Theater Mode war, sondern
respektvoll weiterzudenken, im ähnlichen Sprachsound, nur zeitgenössisch
herangeholt. Die Grundlage dieser Texte entsteht während der Proben, mit
den Schauspielern zusammen. Die improvisieren, Rebekka David nimmt das auf
Video auf – und nutzt das als Material, schreibt in die Autorinnenzeile
daher auch immer „Rebekka David und Ensemble“. „Mir reicht manchmal nicht,
was der Originaltext als Geschichte hergibt für das, was ich erzählen
möchte“, sagt sie.
Deshalb schreibt sie sich in das Werk hinein – und versucht sich in Dialog
zu begeben mit dem, der da geschrieben hat. Das geschieht auf durchaus
respektvolle Weise, mit einer Liebe zur Originalsprache: „Ich nehme Teile
vom Original und setze neue Teile hinzu – denn die Sprache der Werke ist ja
schon an sich fantastisch“, sagt sie. Entstanden sind auf diese Weise
„Elektra, wir müssen reden“ in Braunschweig – eine bildstarke und lässi…
Aktualisierung von Hofmannsthals „Elektra“, in der die Atridenfamilie auf
einmal in Gesprächstherapie geht, über Traumata und Sinnsuche spricht.
Oder „Leonce und Lena – Nowhere to run“ am Schauspielhaus Graz. Büchners
gelangweilte, totalverweigernde Königskinder denken über Quiet Quitting
nach und darüber, wofür es sich in einer untergehenden Welt überhaupt noch
zu arbeiten lohnt. Oder eben jetzt, in Bonn „Kohlhaas – Can’t get no
satisfaction“: bildstark und mit sicherem Gespür für Rhythmus, Sound und
starke Effekte beleuchtet sie heutige Möglichkeiten von Widerstand. Wo
liegt die Grenze zwischen Gewalt und nötigem politischen Kampf?
Jene Pferde, die dem ehrenwerten Rosshändler Michael Kohlhaas in Kleists
Novelle vom reichen Junker willkürlich weggenommen wurden, sind da
allgegenwärtig – und eine Leerstelle zugleich. Leichtfüßig und wie Kinder,
die Reiten spielen, springen die Schauspieler mit Kastagnetten und Hand auf
dem Rücken ohne Pferde über die Bühne. Als finstere Menetekel von Macht und
Willkür ragen stattdessen zwei riesige schwarze Pferdeskulpturen auf
Podesten über die Bühne, aufgebäumt, pechschwarz: Rebekka David kann als
Regisseurin große, beeindruckende Bilder setzen.
Zum Schluss, als sich längst die Spirale der Gewalt auf Kohlhaas’
Rachefeldzug verselbständigt hat in einer Orgie aus Nebel, zuckendem Licht
und fetten Bässen, krachen die Podeste ein, werden die einzelnen Teile zu
Grabstelen – denn Kohlhaas zündet Dörfer an und tötet Menschen. Was ist
legal, was legitim – und wie soll man sich heute überhaupt noch gegen
Ungerechtigkeit auflehnen?
Im Angesicht der neoliberalen und hyperkapitalistischen Machtübernahmen
könnten diese Fragen aktueller kaum sein – und auch der Grund, warum
Rebekka David den Kleist-Stoff vorschlug, als sie ins Gespräch mit dem
Theater Bonn ging. Deshalb hat sie ihn mit dem Ensemble eben auch
weitergeschrieben und mit dem den Rolling Stones entlehnten Untertitel
„Can’t get no satisfaction“ versehen.
Und deshalb protestiert Janko Kahle, der den Kohlhaas spielt, am Ende auch:
„Nein! Wir sind hier nicht fertig. Hier ist nichts zu Ende!“ – und
diskutiert mit dem Ensemble, welches Ende besser sein könnte, als dass
Kohlhaas zu Tode verurteilt und seine Kinder zu Rittern werden, wie es bei
Kleist steht. Gemeinsam die Burg besetzen? Teilen, lernen, zusammenstehen?
„Irgendwann muss sie doch mal reifen, die Zeit“, ruft Schauspielerin Birte
Schrein. Und da beginnen die Augen der Pferdeskulptur bunt zu glühen, als
Funke einer neuen Zeit. Immerhin sind die Denkanstöße gesetzt.
Dass Theater indes wirklich Widerstand umsetzen kann – glaubt David nicht
unbedingt. „Ich glaube nicht, dass Theater die Revolution ausruft. Ich
glaube aber an ein Theater als einen der wenigen Orte für gemeinsames
Denken und Reden, den wir in der Gesellschaft noch haben“, sagt sie.
Natürlich geschehe das im kleinen Rahmen und sozial eingeschränkt – das
schafften Theater ja immer noch nicht, dass man an unterschiedliche Klassen
herankomme. Dennoch: „Ich glaube, dass es gerade im Moment wahnsinnig
wichtig ist, Orte zu haben, an denen man sich verständigt, was die
gemeinsamen Werte sind“, sagt sie.
## Hörspielpreis 2022 für „Der Termin“
David macht aber auch andere Dinge als Theater, etwa Hörspiele, mit großem
Erfolg: im Jahr 2022 hat sie sogar den ARD-Hörspielpreis erhalten für ihre
Regie von „Der Termin“, eine SWR-Produktion nach einem [2][Roman von
Katharina Volckmer], in dem eine junge Frau zu einem jüdischen Arzt geht –
und ihre Gedanken auf ihn niederprasseln lässt, während er seinen Kopf
zwischen ihren Beinen hat. Im Sprechen bricht sie viele Tabus – und das ist
ein ziemlich intensives Hörerlebnis, man kann es in der ARD-Mediathek immer
noch nachhören.
Auch [3][Thomas Melles großartigen Roman „Die Welt im Rücken“] über dess…
bipolare Störung hat David schon zu einem Hörspiel gemacht. Beide Genres
funktionieren ganz anders für sie, sind viel intimer und psychologischer,
funktionieren vor allem nur für eine einzige zuhörende Person. Ihre
Theaterarbeit dagegen sieht sie eher gesellschaftlich: gemacht und
aufrüttelnd für genau die Menschenversammlung, die sich da in Echtzeit
gerade im Raum befindet.
Und doch, denkt sie, reiche das als gesellschaftlicher Widerstand nicht
aus. Theater könne zwar im Kopf ein paar Türen aufstoßen. „Wenn man
schaffen könnte, dass nach einem Theaterabend diskutiert wird – das fände
ich schon ziemlich toll“, sagt sie. Etwa darüber, was denn nun zu weit
geht. Wann überschreitet etwa Kleists Kohlhaas eine moralische Grenze?
David selbst glaubt, dass sie weiter mitgehen würde als so manch anderer.
Wenn Kohlhaas dagegen nachts Baracken anzünden lässt, ohne zu wissen, ob
Menschen darin sind, geht er zu weit.
Und dennoch – kommt einem das ewige Diskutieren im Angesicht des aktuellen
neoliberalen Rollback ziemlich lächerlich vor. „Gewalt gegen Dinge – würde
ich nicht sofort als das Allerschlimmste auf der Welt sehen. Manchmal frage
ich mich schon, warum wir nicht mehr Luft aus SUVs lassen“, sagt sie.
18 Mar 2025
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## AUTOREN
Dorothea Marcus
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