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# taz.de -- Demokratiebewegung in Hongkong: Haftstrafe für Joshua Wong
> Prominente Aktivisten der Hongkonger Protestbewegung werden zu
> mehrmonatigen Gefängnisstrafen verurteilt. Sie wollen hinter Gittern
> weiterkämpfen.
Bild: Gefangenentransport: Die Aktivisten Joshua Wong (r) und Ivan Lam (l)
Peking taz | Kurzvideos in den sozialen Medien zeigten Joshua Wong am
Mittwochmorgen auf dem Weg [1][vom Gefängnis ins Gerichtsgebäude]: ein
schmächtiger junger Mann mit Strubbelfrisur und einem Stapel Bücher unterm
Arm, abgeführt in Handschellen. Am Nachmittag, Ortszeit, wurde der
24-Jährige zu dreizehneinhalb Monaten Haft verurteilt. Der Aktivist hatte
sich dazu bekannt, im Juni 2019 eine nicht genehmigte Versammlung vor dem
Polizeipräsidium organisiert zu haben.
Damit muss das international [2][bekannteste Gesicht der Protestbewegung]
nun bereits [3][zum dritten Mal] aufgrund seines Aktivismus gegen Peking
ins Gefängnis. Für seine Mitstreiterin Agnes Chow, die vor allem in Japan
Hunderttausende Follower in den sozialen Medien hat und morgen ihren 24.
Geburtstag feiert, ist es die erste Haftstrafe: Sie wurde zu zehn Monaten
verurteilt. Der 26-jährige Ivan Lam muss sieben Monate hinter Gitter.
„Indem direkt auf bekannte Aktivisten der führungslosen Protestbewegung
Hongkongs gezielt wird, senden die Autoritäten eine Warnung an jeden, der
es wagt, die Regierung zu kritisieren“, sagt Yamini Mishra von Amnesty
International. Sie forderte die Freilassung der drei Inhaftierten.
Die Urteile sind im Hinblick auf die mögliche Höchststrafe von drei Jahren
dennoch als milde zu betrachten. Die Demonstration vor dem
Polizeipräsidium, die Gegenstand des Prozesses war, hatte im Juni 2019 zu
Dutzenden Straßenblockaden, Sachbeschädigungen und gewalttätigen
Ausschreitungen geführt. Im Rückblick war jene Nacht ein Wendepunkt, an dem
eine bis dahin weitgehend friedliche Volksbewegung sich zunehmend
radikalisierte.
## Schwerer Schlag für die Zivilgesellschaft
Für die Zivilgesellschaft der einstigen britischen Kronkolonie ist die
Verurteilung von Wong, Chow und Lam ein schwerer Schlag. Schließlich sind
sie in der medialen Wahrnehmung im Ausland die populärsten Mitglieder der
jungen Generation der [4][Hongkonger Demokratiebewegung].
Das allmähliche Fallen jenes Widerstands gegen Pekings Interventionen
begann vor genau einem Jahr. Damals besetzten Tausende Aktivisten die
Polytechnische Universität Hongkong und lieferten sich ausufernde
Straßenschlachten mit den Polizeikräften. Damals genoss die Protestbewegung
nicht nur breite Unterstützung innerhalb der Bevölkerung, sondern hatte
auch gute Aussichten, politische Reformen zu erreichen. Seitdem jedoch hat
sich das Blatt grundlegend gewandelt.
[5][Mit dem Ausbruch der Coronapandemie] kamen zunächst die Demonstrationen
in der Finanzmetropole zum Erliegen. Chinas Führung nutzte den
Ausnahmezustand dann zu einer einmaligen Machtdemonstration: Im Juni zwang
die Kommunistische Partei den Hongkongern ein [6][nationales
Sicherheitsgesetz] auf, das jede politische Opposition mit Gefängnis
bedroht. Angeklagte können seitdem an die Gerichte Festlandchinas
ausgeliefert werden, die nicht rechtsstaatlich urteilen, sondern nach
Vorgaben der KP.
Seitdem wurden in Hongkong viele Aktivist*innen festgenommen, Bibliotheken
von kritischen Büchern gesäubert und mehreren Abgeordneten das Mandat
entzogen. Zuletzt sind die verbliebenen Oppositionsabgeordneten [7][aus
Protest gemeinsam zurückgetreten], da ihre Arbeit zur Farce wurde.
## Paranoia und Stasi-Methoden
Vor allem ist die Stimmung innerhalb weiter Teile der Gesellschaft von
Euphorie in Resignation umgeschlagen. Die Polizei hat vor Kurzem eine
Hotline eingerichtet, bei der Bürger Vergehen gegen das nationale
Sicherheitsgesetz melden können – eine Taktik, die nicht nur Paranoia
verbreitet, sondern auch an Stasi-Methoden erinnert.
„Die Atmosphäre ist sehr pessimistisch, wir fühlen uns wie Fleisch auf
einem Schneidebrett“, sagt der 36-jährige Leo Wong, der sich selbst als
moderaten Anhänger der Demokratiebewegung bezeichnet. Der Informatiker lebt
bereits seit einigen Jahren in Österreich. Als er kürzlich seine
Heimatstadt besuchte, hatte sich das Straßenbild von Grund auf verändert:
Die Protest-Graffiti sind übermalt, Banner von den Wänden gerissen und die
gelben Schleifen, die Anhänger der Protestbewegung als Erkennungszeichen
trugen, von der Kleidung verschwunden.
„Ich erinnere mich noch, dass meine Eltern stets ein oder zwei Bücher über
Pekings blutige Niederschlagung der Tiananmen-Bewegung im Schrank hatten,
um die Erinnerung weiterzugeben“, sagt der Hongkonger. Im selben
Bewusstsein habe er sich nun einen Fotoband der Hongkonger Proteste gekauft
– mit Bargeld, um keine Spuren zu hinterlassen: „Weil ich weiß, dass solche
Publikationen – wie auch die restlichen Zeugnisse im Internet – hier früher
oder später verboten und zensiert werden.“
Für viele junge Leute wie Leo ist Hongkongs Schicksal besiegelt. Die Stadt
trete für „viele Jahre in ein dunkles Zeitalter“ ein.
## EU scheut vor wirtschaftlichen Sanktionen zurück
Die EU-Regierungschefs verfolgen die Entwicklung mit Argusaugen. Zwar
herrscht weitgehend Konsens, dass Chinas repressives Vorgehen eindeutig
gegen internationale Verträge verstößt. Doch bislang äußerte sich der Unmut
gegen Peking vor allem in entrüsteten Stellungnahmen. Dass die EU ihre
wirtschaftlichen Beziehungen zu China riskieren würde, um Hongkongs
Zivilgesellschaft beizustehen, ist nicht zu erwarten.
Bereits zu Beginn der Woche hatte sich Joshua Wong aus der
Untersuchungshaft mit einem offenen Brief zu Wort gemeldet. „Ich werde
behandelt wie ein Dissident in China“, schreibt der Aktivist, gegen den
Einzelhaft verhängt wurde. Nur 15 Minuten Hofgang wird ihm täglich
zugestanden. Wenn Wong schlafen möchte, muss er seine Gesichtsmaske als
Augenblende gegen die 24 Stunden brennende Zellenbeleuchtung nutzen.
Zumindest nach außen hin gibt sich Wong nicht geschlagen: „Lassen Sie sich
nicht täuschen, meine Inhaftierung ist nicht das Ende der Hongkonger
Demokratiebewegung“, schreibt er: „Ich kämpfe im Gefängnis zusammen mit
anderen verurteilten Aktivisten – viel weniger sichtbar, aber trotzdem
wesentlich im Kampf für Demokratie und Freiheit in Hongkong“.
2 Dec 2020
## LINKS
[1] /Eingeschraenkter-Rechtsstaat-Hongkong/!5730918
[2] /Joshua-Wong-ueber-Proteste-in-Hongkong/!5625478
[3] /Hongkongs-bekannter-Demokratie-Aktivist/!5716401
[4] /Proteste-gegen-Chinas-Sicherheitsgesetz/!5700680
[5] /Hongkongs-Polizei-macht-Druck/!5676952
[6] /Einfluss-Pekings-auf-Sonderverwaltungszone/!5693318
[7] /Chinas-Einfluss-auf-Hongkong/!5728181
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
## TAGS
Hongkong
China
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Demokratiebewegung
Menschenrechte
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