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# taz.de -- Demografischer Wandel in China: Erst reich werden und dann alt
> China ist nicht mehr das Land mit der größten Bevölkerung der Welt. Auch
> das Durchschnittsalter steigt. Beides bedroht das Wachstumsmodell des
> Landes.
Bild: Frauen üben mit Babypuppen aus Plastik bei Krankenpflegekurs für Pflege…
Peking taz | An diesem Freitag wird es nach den Statistiken der Vereinten
Nationen offiziell: Die Volksrepublik China ist nicht mehr das
bevölkerungsreichste Land der Welt, sondern [1][wird vom aufsteigenden
Indien] abgelöst. Wie weitreichende Konsequenzen der demografische Wandel
im Reich der Mitte hat, ist der Zentralregierung in Peking längst bewusst:
Seit Jahren bereitet sie sich darauf vor, die negativen Auswirkungen des
Bevölkerungsrückgangs abzufedern. Denn sie hat ihn als langfristig größte
Bedrohung für den wirtschaftlichen Aufstieg des Landes ausgemacht.
Dabei plagte die zentralen Planer am Regierungssitz Zhongnanhai noch vor
wenigen Jahrzehnten das entgegengesetzte Problem: Aus Angst vor
Hungersnöten führten die Behörden 1980 sogar die umstrittene
Ein-Kind-Politik ein, die erst 2016 formal aufgegeben wurde. Noch heute
sind die sozialen Folgen zu spüren – aufgrund jahrelanger selektiver
Schwangerschaftsabbrüche gibt es beispielsweise einen massiven
Männerüberschuss.
Die Bevölkerung wuchs trotzdem. Und diese vorteilhafte sogenannte
demografische Dividende sorgte maßgeblich für das rasante
Wirtschaftswachstum: Das Land verfügte im Verhältnis zur Gesamtpopulation
lange über extrem viele und auch deshalb günstige Arbeitskräfte. Nun
schlägt das Pendel wieder um. Zu Beginn dieses Jahres haben die Behörden in
China erstmals seit den großen Hungersnöten in den 1960er Jahren gemeldet,
dass die Bevölkerung wieder schrumpft. Nach Berechnungen von Forschern wie
Yi Fuxian dürfte dieser Rückgang in der Realität bereits Jahre zuvor
eingesetzt haben, da die offiziellen Statistiken manipuliert seien.
Für sich genommen ist die Entwicklung dennoch erst einmal keine schlechte
Nachricht: Allein [2][aus Gründen der Nachhaltigkeit und des geringeren
CO2-Ausstoßes sind weniger Menschen für den Planeten Erde grundsätzlich
entlastend]. Auch in den überfüllten Megastädten, wie es sie in China zu
Dutzenden gibt, dürfte eine schrumpfende Bevölkerung für Entspannung
sorgen.
## Alternde Bevölkerung
Wirtschaftlich betrachtet jedoch ist der Bevölkerungsschwund eine
Bedrohung. Das Durchschnittsalter der Chinesinnen und Chinesen betrug im
Jahr 1978 – zu Beginn der ökonomischen Reformen – 20 Jahre, derzeit liegt
es mit 39 Jahren bereits knapp doppelt so hoch. Kommt derzeit noch auf vier
Arbeiterinnen und Arbeiter nur ein Mensch in Rente, wird das Verhältnis bis
zum Ende des Jahrhunderts eins zu eins sein.
„Wei fu xian lao“ lautet die weitverbreitete Angst der Staatsführung.
Übersetzen lässt sich das in etwa mit: „Alt werden, bevor man reich wird“.
Denn trotz der massiven ökonomischen Fortschritte liegt das
Bruttoinlandsprodukt der Chinesen nach wie vor bei einem Viertel im
Vergleich zu Deutschland. Zudem ist der Wohlstand höchst ungleich verteilt:
Über 500 Millionen Menschen müssen mit einem Monatseinkommen von
umgerechnet unter 150 Euro auskommen. Anders ausgedrückt: Ehe die Alterung
das Wachstum abbremst, muss sich die Volksrepublik China ungemein beeilen,
um zu den führenden Industrienationen aufzuschließen.
## Stellschraube Rentenalter
Doch das Schicksal Chinas ist keineswegs in Stein gemeißelt. Der
Staatsführung stehen mehrere politische Werkzeuge zur Verfügung, um die
negativen Auswirkungen zumindest abzufedern. Eine Anhebung des
Pensionsalters gilt dabei als wahrscheinlicher erster Schritt. China hat
unter allen großen Volkswirtschaften das vielleicht niedrigste
Pensionsalter. Frauen gehen bereits mit 50 in Rente, Männer mit 60. Daran
wurde seit den Zeiten von Staatsgründer Mao Tsetung nicht gerüttelt. Und
das hat einen offensichtlichen Grund: Die kommunistische Parteiführung
fürchtet den Unmut innerhalb der Bevölkerung, bei der eine solche Maßnahme
soziale Unruhen auslösen könnte.
Doch es gibt noch unzählige weitere Hebel: Bei der nach wie vor niedrigen
Produktivität insbesondere bei den bürokratischen Staatsunternehmen gibt es
deutlich Luft nach oben. Vor allem aber werden die massiven Investitionen
in das Bildungssystem, die erst in den 90er Jahren so richtig begannen, die
Wirtschaftsleistung pro Kopf weiter heben. Hinzu kommt eine technologische
Wette der Staatsführung: Anstatt durch Migration möchte Peking den
künftigen Arbeitskräftemangel vor allem durch Automatisierung und Robotik
kompensieren.
Schlussendlich wären da noch die „Zuckerbrot und Peitsche“-Methoden [3][der
kommunistischen Parteiführung]: Nach der gescheiterten Ein-Kind-Politik hat
Peking nun drei Kinder pro Familie als Obergrenze festgelegt – und versucht
mit plumper Propaganda in Fernsehserien und Kinofilmen, die traditionellen
Geschlechterrollen wiederzubeleben.
Dass dies nicht funktionieren wird, liegt auf der Hand: Die Gründe, warum
sich viele Chinesinnen gegen mehr als ein Kind entscheiden, liegen nämlich
viel tiefer. Zum einen sind die Bildungs- und Wohnkosten in den großen
Städten derart hoch, dass sich junge Familien mehr Nachwuchs kaum leisten
können. [4][Vor allem aber haben sich die Lebensstile der jungen
Chinesinnen und Chinesen modernisiert]. Dieses Rad der Zeit wird selbst die
KP nicht zurückdrehen können.
14 Apr 2023
## LINKS
[1] /Olaf-Scholz-Indien-Besuch/!5915592
[2] /Ungleicher-Ausstoss-von-Treibhausgasen/!5922788
[3] /Volkskongress-in-China/!5918767
[4] /Filmfestival-fuer-jungen-Film/!5827489
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
## TAGS
China
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