| # taz.de -- Annalena Baerbock besucht China: Auf konfliktträchtiger Mission | |
| > Auf offener Bühne liefert sich die deutsche Außenministerin in Peking | |
| > einen Schlagabtausch mit ihrem chinesischen Amtskollegen. | |
| Bild: Kein Herz und eine Seele: Annalena Baerbock und ihr chinesischer Amtskoll… | |
| Tianjin/Peking taz | Ein Glück, dass diese Bahnfahrt auf dem Programm | |
| steht. Um 9:48 Uhr fährt am Freitag der Schnellzug am Hauptbahnhof der | |
| Hafenstadt Tianjin ab. Hinter der Stadtgrenze beschleunigt er wenig später | |
| auf seine beeindruckenden 349 Stundenkilometer, erstaunlich sanft gleitet | |
| er trotzdem über die Gleise. | |
| Nur 30 Minuten braucht die Bahn für die 117 Kilometer Strecke, gerade genug | |
| Zeit für einen übersüßten Kaffee vom Bord-Service also. Dann ist der | |
| Südbahnhof von Peking auch schon erreicht. Der chinesische Außenminister | |
| Qin Gang und seine deutsche Amtskollegin Annalena Baerbock steigen zusammen | |
| aus dem ersten Waggon. | |
| Tolle Sache: So hat Baerbock drei Stunden später, am Ende der Beratungen | |
| mit ihrem Amtskollegen, noch etwas Nettes zu sagen. Die gemeinsame Zugfahrt | |
| habe den gemeinsamen Morgen geprägt, sagt sie auf der gemeinsamen | |
| Pressekonferenz in einem Pekinger Gästehaus der Regierung. „Es war für mich | |
| wirklich besonders, dass Sie sich extra die Zeit genommen haben“, | |
| schmeichelt sie Qin. Danach erwähnt sie die lange gemeinsame Geschichte | |
| beider Länder und spricht später auch noch über Kooperationsmöglichkeiten | |
| bei den Erneuerbaren Energien. | |
| Soll keiner sagen, sie haue immer nur drauf. Eine Mischung aus Dialog und | |
| Härte: Das hat sich Baerbock vorgenommen für ihren Antrittsbesuch in China, | |
| das auf dem Weg zur Supermacht weit fortgeschritten ist, stetig | |
| selbstbewusster auftritt und damit den Westen auf die schwierige Suche nach | |
| der passenden Antwort schickt. | |
| ## Überbordernde chinesische Höflichkeit zum Auftakt | |
| Baerbock hat sich Zeit gelassen für diese Reise. Zunächst lag das vor allem | |
| an den harten Corona-Maßnahmen. Aber auch als Besuche wieder möglich | |
| wurden, wollte sie sich nicht so rasch auf den Weg machen wie Bundeskanzler | |
| Olaf Scholz, der schon im Herbst nach China flog. | |
| Stattdessen kommentierte Baerbock die chinesische Politik seit ihrem | |
| Amtsantritt immer wieder aus der Ferne – was vor ihrem Abflug am Mittwoch | |
| wiederum SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zu einer Prophezeiung | |
| veranlasste: Die Chinesen hätten die Grünen-Politikerin bislang als „sehr | |
| undifferenziert“ wahrgenommen, sie könne sich auf einen Empfang „mit einer | |
| gewissen Skepsis“ gefasst machen. | |
| Tatsächlich? Fast schon überbordend höflich fallen die Begegnungen am | |
| ersten Tag des Besuchs aus, an dem Baerbock in Tianjin jenseits politischer | |
| Gespräche auf Tuchfühlung mit dem Land geht. Während einer | |
| Werksbesichtigung bei einem Windturbinenhersteller stehen Arbeiter mit | |
| Deutschland-Fähnchen Spalier. In einer Oberschule präsentiert ein | |
| Schüler-Chor der Delegation einen Song des Ex-Kinderstars Heintje, der in | |
| China außerordentlich beliebt ist. | |
| Und als es am Freitagmorgen, noch vor der Bahnfahrt, mit dem nächsten | |
| Fabrik-Rundgang weitergeht, steht vor der Halle schon Außenminister Qin | |
| parat. Obwohl der gerade erst von einer eigenen Auslandsreise zurückgekehrt | |
| ist und noch nicht ganz wach wirkt. | |
| ## Baerbocks Vorsatz: Dialog und Härte | |
| Richtig ernst wird es allerdings auch erst später bei den politischen | |
| Beratungen im Pekinger Gästehaus, idyllisch in einem weitläufigen Park im | |
| Stadtzentrum gelegen. Und so sehr sich Baerbock im Anschluss auch um | |
| Nettigkeiten bemüht, so korrekt und höflich Qin seinerseits einsteigt: Die | |
| erwarteten Reibungen bleiben nicht aus. Im Gegenteil: Wie schon bei | |
| Baerbocks Besuchen in Russland und der Türkei im vergangenen Jahr ist auch | |
| in China eine bemerkenswerte Pressekonferenz zu erleben. | |
| Zum Vorsatz von Dialog und Härte gehören nun mal auch die offenen Worte. | |
| Vielleicht spricht die deutsche Außenministerin die kritischen Punkte sogar | |
| deutlicher als geplant an, weil der jüngste Besuch von Emanuel Macron noch | |
| nachwirkt: Der französische Präsident hat sich gerade erst nach einem | |
| Peking-Besuch für eine entspanntere China-Politik ausgesprochen. | |
| Baerbock setzt auf jeden Fall einen Gegenpunkt: Nach den einführenden | |
| Nettigkeiten listet sie vor den Kameras knapp zehn Minuten lang ein | |
| Streitthema nach dem anderen auf. Ihr Amtskollege Qin wiederum reagiert mit | |
| einem sogar doppelt so langen Vortrag, lässt keinen der Punkte | |
| unkommentiert und hält sich in seiner Wortwahl ebenfalls nicht zurück. „Xie | |
| xie, danke“, wird er zum Abschluss zwar sehr freundlich sagen. In der Zeit | |
| bis dahin werden die Differenzen aber deutlich. | |
| ## Ein Streitthema nach dem anderen | |
| Wesentlich sind dabei vier Themefelder. Das erste: die Menschenrechte. | |
| Baerbock spricht unter anderem die Lage der unterdrückten uigurischen | |
| Minderheit an. Qin entgegnet, dass China keinen Lehrmeister brauche. Jedes | |
| Land habe seine eigenen Begebenheiten und für den Schutz der Menschenrechte | |
| gebe es „keine allgemein gültigen Standards auf der Welt“. | |
| „Doch“, murmelt einer der deutschen Journalisten in den Zuhörerreihen. Und | |
| auch Baerbock legt später noch mal nach. Es gebe da die Charta der | |
| Vereinten Nationen und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die | |
| bindend für alle seien. | |
| So weit, so erwartbar. Erstaunlich ist aber, wie die Grünen-Politikerin | |
| ihre Kritik begründet: mit den Interessen der deutschen Wirtschaft. „Wo | |
| Firmen sich Vorteile auf Kosten der Menschenrechte verschaffen, gibt es | |
| keinen fairen Wettbewerb“, sagt sie. Zwangsarbeit sei ein Problem, weil sie | |
| den Markt verzerre. | |
| Inhaltlich ist das zwar abenteuerlich, kommunikativ aber geschickt – nicht | |
| zuletzt mit Blick auf Vorwürfe in Deutschland, Baerbock würde ihre | |
| Außenpolitik moralisch überladen. | |
| ## Partner oder Gegner? | |
| Ähnlich hält sie es mit dem zweiten Thema: dem Konflikt um Taiwan. Gerade | |
| erst hat das chinesische Militär ein Manöver rund um die Insel abgehalten, | |
| ein Angriff in den nächsten Jahren ist denkbar. Das sei nicht Europas | |
| Konflikt, hat Macron dazu sinngemäß gesagt. Von einer innerchinesischen | |
| Angelegenheit spricht Qin, und fügt an: Deutschland und China sollten sich | |
| in ihren Beziehungen von den „ureigenen Interessen beider Länder“ leiten | |
| lassen – und nicht von den USA, so die implizite Botschaft dahinter, die | |
| stünden nur aus Gründen der Großmachtsrivalität auf der Seite Taiwans. | |
| Baerbock hält auch hier nicht mit Moral und Werten dagegen. Stattdessen | |
| sagt sie, Deutschland habe „Interesse am Erhalt der Friedensordnung nicht | |
| nur vor der eigenen Haustür“. Durch die Straße von Taiwan führe schließli… | |
| ein so großer Teil des internationalen Frachtschiffverkehrs, dass auch | |
| Deutschland von einem Krieg empfindlich getroffen würde. | |
| Wie genau die deutsche Reaktion in einem solchen Falle aussehen würde, | |
| lässt sie auf Nachfrage offen. Der Punkt führt aber direkt zum dritten | |
| Konfliktfeld: den gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen. Die Abhängigkeit | |
| von Russland habe Deutschland teuer bezahlt, sagt Baerbock. Und Fehler | |
| solle man nicht wiederholen. Als Forderung nach einem Abbruch der | |
| Handelsbeziehungen zu China will sie das einerseits nicht verstanden | |
| wissen. Andererseits würde sie aber auch die Formulierung Qins nicht | |
| unterschreiben, der einwirft: „Wir sind Partner, keine Gegner.“ | |
| Eher schon: Mal Partner und mal Gegner, wie es die EU in ihren Strategien | |
| sinngemäß formuliert. Von „Risikominimierung“ spricht Baerbock wörtlich. | |
| „So wie auch China seit vielen Jahren systematisch daran arbeitetet, eigene | |
| Abhängigkeiten zu verringern.“ Eine Wirtschaftsdelegation hat sie, anders | |
| als Scholz im Herbst, schon mal nicht mit auf ihre Reise genommen. | |
| ## Undurchsichtige Rolle Chinas im Ukraine-Krieg | |
| Bleibt schließlich noch der vierte Streitpunkt: Der Umgang mit Russland und | |
| dem Krieg gegen die Ukraine. Die Volksrepublik gibt sich als potentielle | |
| Friedensmaklerin und stellt sich in einem Positionspapier zum Krieg hinter | |
| das Prinzip der territorialen Integrität von Staaten. Baerbock glaubt | |
| trotzdem nicht an konstruktive Beiträge Chinas. | |
| Sie frage sich, warum die „chinesische Positionierung bisher nicht die | |
| Aufforderung an den Aggressor Russland beinhaltet, den Krieg zu stoppen“, | |
| sagt sie, und appelliert an die „besondere Verantwortung“ Chinas als | |
| Mitglied des UN-Sicherheitsrats. Qin bleibt in seiner Antwort unkonkret. | |
| „Wir werden nicht weiter Öl ins Feuer gießen“, bekundet er. Immerhin | |
| kündigt er dann noch an, keine Waffen an Russland zu liefern. Diese Aussage | |
| ist aber nicht neu und auch nicht zu hundert Prozent belastbar. | |
| Und so stellt sich nach 50 Minuten, als die Pressekonferenz mit großer | |
| Verspätung endet und die Luft im Raum schon lange nicht mehr die beste ist, | |
| die Frage: Hat es was gebracht? Wer ernst genommen will, muss auch Klartext | |
| sprechen, glaubt Baerbock. Das klingt schlüssig. Mit Resultaten kann sie es | |
| bislang aber nicht belegen. | |
| Dabei wäre das auch für die Debatte hilfreich, die während ihrer | |
| China-Reise zuhause weiterläuft. Schon seit Monaten bereitet die | |
| Bundesregierung unter Federführung des Außenministeriums eine gemeinsame | |
| China-Strategie vor. Das Ergebnis wurde mehrmals verschoben. Die Tendenz – | |
| mehr Vorsicht im Umgang mit Peking – ist zwar Konsens. Wie weit man gehen | |
| soll, ist in der Ampel jedoch strittig. | |
| ## Größeres Interesse Chinas an Brasiliens Präsident Lula | |
| Während sich Baerbock noch in China müht, streut am Freitag in Berlin der | |
| konservative Seeheimer Kreis der SPD ein Positionspapier an Medien. Die | |
| Gruppe kritisiert darin den Kurs der Grünen und warnt wörtlich vor einer | |
| „Anti-China-Strategie“. | |
| Und selbst wenn sich die Bundesregierung demnächst geeinigt haben sollte; | |
| selbst wenn die EU-Staaten in der Frage künftig ebenfalls geschlossener | |
| auftreten als in den letzten Tagen: Fraglich bleibt dann noch, wie sehr | |
| sich das Regime in Peking davon beeindrucken lässt. Europa ist für China | |
| zwar ein wichtiger Handelspartner. Längst stärkt die chinesische Regierung | |
| aber auch andere Beziehungen. | |
| Der Weg von der Pressekonferenz im Gästehaus zum Hotel der deutschen | |
| Delegation führt am Nachmittag am Tor der Verbotenen Stadt vorbei. Nicht | |
| die deutsche Fahne hängt dort an einem Mast, sondern die brasilianische. | |
| Präsident Lula ist gleichzeitig mit Baerbock in Peking zu Gast. Das | |
| Interesse an dem Brasilianer: noch deutlich größer als das an der | |
| Deutschen. | |
| 14 Apr 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Tobias Schulze | |
| ## TAGS | |
| Annalena Baerbock | |
| Reiseland China | |
| China | |
| Bundesregierung | |
| Taiwan | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| GNS | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Annalena Baerbock | |
| Hamburg | |
| China | |
| China | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Baerbock in Ostasien: Hier Klartext, dort Kuscheln | |
| Außenministerin Baerbock spart in China nicht mit Kritik. Südkorea lobt sie | |
| dagegen sehr – und verspricht deutsche Militärpräsenz im Indopazifik. | |
| Deutsche China-Strategie: Blick nach Osten | |
| Das Gezänk zwischen SPD und Grünen über Baerbocks Asienreise war unwürdig. | |
| Immerhin erhöhte es die öffentliche Aufmerksamkeit für die Krisen in Asien. | |
| Einstieg im Hamburger Hafen: China-Beteiligung auf der Kippe | |
| Weil ein Hamburger Hafenterminal nun als kritische Infrastruktur gilt, | |
| könnte sein Teilverkauf platzen. Doch nun kommt Kritik aus China. | |
| Demografischer Wandel in China: Erst reich werden und dann alt | |
| China ist nicht mehr das Land mit der größten Bevölkerung der Welt. Auch | |
| das Durchschnittsalter steigt. Beides bedroht das Wachstumsmodell des | |
| Landes. | |
| Brasiliens Präsident auf China-Reise: Lulas Drahtseilakt in Peking | |
| Beim Staatsbesuch von Brasiliens Präsidenten in China geht es um Geschäfte | |
| – aber auch um die Verschiebung der globalen Machtverhältnisse. |