| # taz.de -- Defizite der Wissenschaftskommunikation: Widerspruch gehört dazu | |
| > Expertise von Wissenschaftlern ist derzeit gefragt. Der Fall „Corona“ | |
| > zeigt aber, dass nicht vermittelt werden konnte, wie Wissenschaft | |
| > funktioniert. | |
| Bild: Wenn während des Podcasts von Prof. Drosten die nationale Katastrophenwa… | |
| Durch die Coronakrise hat die Wahrnehmung von Wissenschaft in der | |
| Öffentlichkeit in den letzten Wochen einen enorm positiven Schub bekommen. | |
| So sieht es auch Jens Rehländer, Kommunikationschef der | |
| [1][Volkswagenstiftung:] „Durch die Person des Virologen Christian Drosten | |
| haben wir jetzt ein omnipräsentes Gesicht der Wissenschaft. Er bringt alles | |
| mit, was für einen Wissenschaftskommunikator substanziell ist: Er hat | |
| Expertise, er ist den Menschen zugewandt, empathisch und kann die Inhalte | |
| leicht verständlich rüberbringen.“ Für Rehländer ist das ein Beispiel, wie | |
| Wissenschaftskommunikation gelingen kann. Und sie muss es auch. | |
| Denn nicht nur mit Blick auf Covid-19 erscheinen die globalen | |
| Herausforderungen für die Menschheit gigantisch: Klimawandel, Energiewende, | |
| Künstliche Intelligenz, Genforschung, die Dauerkrise des Kapitalismus und | |
| einiges mehr sind beunruhigend. In einer liberalen Demokratie sind hier | |
| Experten mehr denn je gefragt, Wissenschaftler, die zu den entsprechenden | |
| Fachgebieten über genügend Know-how verfügen, um zumindest die aktuelle | |
| Situation und deren mögliche Ursachen festzustellen. | |
| Allerdings: Versuchen interessierte Laien, sich ein Urteil zu bilden, etwa | |
| über die gängigen TV-Diskussionsrunden oder via Suchmaschine im Internet, | |
| ist in der Regel statt Erkenntnis oft noch mehr Desorientierung sowie | |
| Überforderung das Resultat. Die verschiedensten, sich widersprechenden | |
| Thesen, Dogmen oder Behauptungen von Forschern und Gelehrten stehen dort | |
| gleichwertig nebeneinander. Liegt das an den Kommunikationsmustern der | |
| Wissenschaft oder an der Inszenierung der Medien? | |
| „Es ist eine Tradition in der Wissenschaft, Hypothesen und experimentelle | |
| Befunde zu hinterfragen, im Grunde ist eine neue These implizit auch ein | |
| Call an die Wissenschaft: Prüft mich, widerlegt mich, bestätigt mich.“ Das | |
| sagt Ranga Yogeshwar. Der Wissenschaftsjournalist (TV-Reihe „Quarks“ u. a.) | |
| gilt in seinem Bereich als anerkannte Größe. „Es gibt keine Publikation, | |
| die per se den Anspruch hat, dass alles wahr und unverrückbar ist“, erklärt | |
| er den üblichen Diskurs unter Wissenschaftlern, der von unverrückbaren | |
| Wahrheiten Abstand nimmt. Die Grundidee bestehe darin, dass es irgendwann | |
| zu einem Konsens kommt. | |
| ## Nur eine Momentaufnahme | |
| Rehländer sieht dabei auch die Wissenschaft in der Pflicht und stellt fest, | |
| dass es ihr trotz gesteigerter PR-Bemühungen nur unzureichend gelungen sei, | |
| der Bevölkerung zu vermitteln, wie Erkenntnis produziert wird, dass jeder | |
| Befund nur eine Momentaufnahme sein kann: „So entsteht der Eindruck, die | |
| Wissenschaft weiß überhaupt nichts, was wiederum dazu führt, dass der | |
| Wissenschaft misstraut wird.“ | |
| Beide sehen ein Defizit bei der Wissenschaft, wenn es um Kommunikation | |
| geht, sie bleibe geschlossen in ihren jeweiligen Fachgebieten, | |
| interdisziplinäres Vorgehen finde zu selten statt, und es gebe auch keine | |
| Schulungen für einen entsprechenden Austausch. Auch ethische Erörterungen | |
| zu bestimmten Disziplinen, zum Beispiel im Bereich Künstliche Intelligenz, | |
| spielten keine Rolle. | |
| Dabei habe die Forschung mit ihren Ergebnissen eine Wirkung auf die | |
| Gesellschaft wie nie zuvor, und das nicht nur in der aktuellen Situation. | |
| Eine repräsentative Umfrage der Initiative Wissenschaft im Dialog belegte | |
| beispielsweise: Zwei Drittel der Befragten halten den Einfluss der | |
| Wirtschaft auf die Wissenschaft für zu groß und fast ebenso viele | |
| befürchten, dass mehr Zwänge auf die Menschen wirken, je weiter sich die | |
| Technik entwickelt. | |
| Die grundsätzliche, desorientierende Situation führt Yogeshwar | |
| hauptsächlich auf die Medien zurück: „Sie sind zu einer Kirmeskultur | |
| verkommen – wer am lautesten schreit, bekommt das Mikrofon, und das mit den | |
| meisten Klicks kommt bei Suchanfragen durch die Algorithmen automatisch | |
| nach oben – es sind also wirtschaftliche gewinnorientierte Prozesse, die | |
| über den Zugang zu den Informationen entscheiden; eine | |
| Erregungsbewirtschaftung, denn aus Massenmedien sind die Medien der Massen | |
| geworden.“ | |
| Dass Medien stets gern Vertretern konträrer Positionen eine Bühne bieten, | |
| das stellt auch Rehländer fest: „Das erfordert aber eine hohe | |
| Verantwortung, tatsächlich kommt es oft zu Zuspitzungen und vereinfachten | |
| Botschaften.“ | |
| ## Eliten stehen zunehmend unter Generalverdacht | |
| Auch die Auswahl in vielen Diskussionsrunden beispielsweise sehen beide | |
| kritisch: Wenn etwa 90 Prozent der Wissenschaftsgemeinde einer bestimmten | |
| Theorie zustimmen, 10 Prozent nicht, auf einem TV-Panel aber jeweils nur | |
| ein Vertreter der entsprechenden Meinung sitzen, gibt das allein schon ein | |
| verzerrtes Bild des aktuellen Standes in der Forscher-Community wieder. | |
| Ein Beispiel für das Versagen dieses Systems war ihr Umgang im letzten Jahr | |
| mit einer Erklärung von 107 Lungenärzten, die sich gegen Grenzwerte für | |
| Feinstaub und Stickoxide in Städten gestellt hatten. In Nachrichten | |
| Sendungen und Zeitungen wurden die Thesen dieser Gruppe ohne Überprüfung | |
| vorgestellt. Einzig taz-Redakteur Malte Kreutzfeldt hatte die Zahlen, mit | |
| denen diese Ärzte operiert hatten, [2][nachgerechnet: Sie stimmten nicht]. | |
| Solche und ähnliche Vorfälle führen dann zum Wissenschaft-Bashing, sind | |
| aber Teil einer umfassenden Elitenkritik, die sich einigen Jahren immer | |
| mehr ausweitet: Politik, Medien sowie andere Instanzen stehen bei immer | |
| größeren Teilen der Gesellschaft unter Generalverdacht. | |
| „Aufklärung und Dialog auf Augenhöhe sind wichtig, aber damit ist die | |
| Wissenschaft bislang nicht so weit gekommen“, kritisiert Rehländer, „der | |
| Wissenschaftsjournalismus als Vermittlungsinstanz fehlt, wir brauchen neue | |
| Impulse.“ So stellt die Volkswagenstiftung aktuell 4 Millionen Euro für | |
| Projekte zur Verfügung, bei denen Kommunikationswissenschaftler zusammen | |
| mit einer weiteren Fachdisziplin und Experten außerhalb des universitären | |
| Bereichs Projekte realisieren sollen, „um dem drohenden Vertrauensverlust“ | |
| entgegenzuwirken. | |
| Einen ungewöhnlichen Weg wollte jetzt Peter Heck gehen. Der Professor für | |
| angewandtes Stoffstrommanagement am Umwelt-Campus Birkenfeld der Hochschule | |
| Trier mit den Forschungsschwerpunkten regionale Wertschöpfung, Klimaschutz | |
| und erneuerbare Energien hatte eine Publikumsveranstaltung mit initiiert, | |
| die auch im TV übertragen werden sollte: Bei „Comedy for Future“ hätten | |
| sich im April zahlreiche bekannte deutsche Comedians, darunter | |
| beispielsweise Atze Schröder oder Michael Mittermeier, mit den | |
| Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen befasst. | |
| ## Die Menschen erreichen | |
| Die Veranstaltung wurde wegen der Corona-Pandemie verschoben und soll jetzt | |
| m Herbst stattfinden. „Wenn wir als Wissenschaftler Kanäle finden, um | |
| Menschen zu erreichen, die sich mit einem bestimmten Thema sonst nie | |
| beschäftigt hätten, dann müssen wir das nutzen“, betont der | |
| Hochschullehrer. | |
| Bereits auf der Pressekonferenz zu „Comedy for Future“ hatte Heck bemerkt, | |
| dass er so wahrscheinlich mehr Menschen mit seinen Themen erreichte als mit | |
| der kommunalen Arbeit, die er in den letzten fünf Jahren betrieben hat. Der | |
| Professor wird das Projekt inhaltlich beraten, auch was die Auswahl | |
| passender Sponsoren angeht: „Ich erwarte Kritik aus den eigenen Reihen, | |
| aber mit der klassischen Wissenschaftskommunikation, die aufwendig und | |
| kostenintensiv ist, erreichen wir höchstens fünf Prozent der Bevölkerung, | |
| die sowieso für diese Themen bereits offen ist.“ | |
| Yogeshwar schließlich, der die Medien als „Nervennetz der Gesellschaft“ | |
| beschreibt, fordert, bei ihr den treibenden Motor des Ökonomischen | |
| abzustellen, um eine ausgewogene Vermittlung zu gewährleisten. Eine | |
| Forderung, die jetzt wahr geworden ist, und, so die Hoffnung des | |
| Wissenschaftsjournalisten, nun Raum bietet, um die Sinnhaftigkeit der | |
| Mechanismen in unserer Gesellschaft neu zu sortieren. Dass der | |
| „Drosten-Effekt“ auch noch nach der Krise erhalten bleibt, das bezweifelt | |
| Rehländer: „Das gelingt nur, wenn die Wissenschaft sofort nachlegt.“ | |
| 4 Apr 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Wilfried Urbe | |
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