# taz.de -- Debütroman von Ilona Hartmann: Vertraut wie ein Spiegelbild | |
> Es geht auch ohne ihn. Ilona Hartmann erzählt in „Land in Sicht“ amüsant | |
> von einer Schifffahrt und untragisch von einer Vatersuche. | |
Bild: Roman „Land in Sicht“: Eine junge Frau ist unterwegs auf einer Flussk… | |
Woran man merkt, dass man endgültig in einer Blase lebt? Wenn in scheinbar | |
jeder [1][Instagram-Story], die man sich dieser Tage anschaut, das gleiche | |
Buch in die Kamera gehalten wird. Meist mit viel Sonnenschein und einem | |
mehr oder weniger fließenden Gewässer im Hintergrund. | |
Zugegeben, der Titel von Ilona Hartmanns Debütroman bietet sich dafür an: | |
„Land in Sicht“, das klingt erst mal nach Schifffahrt, nach Meeresbrise und | |
[2][sommerlicher Leichtigkeit]. Es klingt aber auch nach einer Suche, die | |
sich einem langersehnten Ende nähert. Zwei Ansätze, die erst mal nicht viel | |
gemein haben, die Hartmann in ihrem Roman aber zu verweben weiß. | |
Da ist zunächst die Geschichte einer jungen Frau, die ihren Vater sucht. | |
Jana Bühler ist 24 und hat ihren Erzeuger bisher noch nie gesehen. Nicht | |
einmal seinen Namen weiß sie, findet ihn aber wie selbstverständlich im | |
Adressbuch der Mutter, „ganz nüchtern eingetragen, zwischen einem | |
Hals-Nasen-Ohren-Arzt aus der Kreisstadt und dem Nachbarn gegenüber“. | |
Seinen Verbleib verrät das Internet: Kapitän auf einem | |
Flusskreuzfahrtdampfer ist der bisher Verschollene. Wobei verschollen wohl | |
ein vorheriges Vermissen impliziert, und das kann Jana nicht von sich | |
behaupten. „Ich vermisste nichts und schon gar nicht diese unkonkrete | |
Person.“ Genug Probleme habe es auch ohne ihn gegeben. Und heißt es nicht; | |
man kann nicht vermissen, was man nicht kennt? | |
Doch wie wenig allgemeingültig das ist, besonders wenn es um menschliche | |
Bedürfnisse geht, lernt Jana durch einen Freund. Nachdem dieser von der | |
ersten Begegnung mit seinem Erzeuger und der damit verbundenen seelischen | |
Wundheilung berichtet, erwacht in der jungen Frau eine nicht gekannte | |
Sehnsucht. Bis dahin war die Nichtexistenz einer Vaterrolle, was ihre | |
Normalität ausmachte. Plötzlich tauchen sie aber überall auf; Väter in | |
ihren unterschiedlichsten Facetten. | |
Hartmann, 1990 bei Stuttgart geboren und heute in Berlin lebend, | |
verarbeitet in ihrem Debüt zu Teilen ihre eigene Geschichte. Wie Jana | |
lernte sie ihren Vater erst in späteren Jahren kennen – ist sogar mit ihm | |
auf einem Flussdampfer gereist, wie sie bei Deutschlandfunk Kultur erzählt. | |
Anders als ihre Protagonistin kannte sie ihn zu diesem Zeitpunkt allerdings | |
schon. | |
Auf Instagram zeugt ein Foto von der Donaufahrt vor zwei Jahren mit | |
Hartmann im Schaltraum. Durchs Fenster ist eines von zwei Ufern zu sehen, | |
deren räumliche Begrenzung sie in ihrem Roman als maßgebliches Merkmal | |
einer Flusskreuzfahrt beschreibt: „[dadurch] entsteht hier gar nicht erst | |
der Eindruck unbegrenzter Freiheit.“ | |
Das titelgebende Gefühl wird dadurch zwar etwas entzaubert – die | |
Meeresbrise bleibt reine Wunschvorstellung –, doch über eine Schiffsreise | |
von Passau nach Wien und zurück hat sonst sicher noch niemand so amüsant | |
geschrieben. | |
## Pragmatismus auf der MS Mozart | |
Statt den, wie von Jana vorab erdacht, Tausenden Gästen, | |
Kristallkronleuchtern, Casinos, diversen Pools, fantastischen Exzessen und | |
Cocktails mit Schirmchen erwartet sie und den*die Leser*in purer | |
Pragmatismus auf der MS Mozart. „Es ist die ideale Art zu Reisen für | |
Menschen, die noch ein bisschen von der Welt sehen wollen, aber bitte nicht | |
zu viel“, schreibt Hartmann. | |
Und so befinden sich neben der 24-jährigen Jana vor allem Rentner*innen an | |
Bord. Und natürlich der gesuchte und gefundene Vater Milan, dem sich Jana | |
erst mal als normale, wenn auch unterdurchschnittlich junge Gästin zu | |
erkennen gibt. | |
Etwas abgeschmackt in rotem Sakko und Schuhen aus Krokodillederimitat kommt | |
er daher und doch, eine Ähnlichkeit fällt Jana sofort auf: „Etwas in der | |
Art, wie er dasteht und die Umgebung sich um ihn herumlegt, ist vertraut | |
wie ein Spiegelbild.“ Obwohl das Aufwachsen ohne Vater einschneidend sein | |
mag, verliert sich Hartmann sprachlich nie in Schwermut. | |
Fast schon nüchtern stellt sie Janas anfängliche Erwartungshaltung an den | |
Unbekannten der Realität gegenüber: „Das Gefühl für den Vater ist flücht… | |
Wenn er etwas tut, das ich ablehne, ist er schnell nicht mehr mein Vater, | |
sondern nur noch ein fremder Mann.“ Statt sich erwartbarerweise stark auf | |
das Fehlen eines Elternteils in der Kindheit zu versteifen, hebt Jana | |
erfreulicherweise ganz deutlich die großartige Leistung der | |
alleinerziehenden Mutter hervor, die sich immer „breitbeinig“ in eine | |
vermeintliche Lücke stellte. | |
## Instagram trifft Roman | |
Mit den knapp 160 Seiten ist „Land in Sicht“ zwar recht kurzgehalten – f�… | |
Hartmann, die sonst für ihre pointierten Tweets und Posts bekannt ist, aber | |
doch ein Meilenstein. Ihrem Wortwitz, mit dem sie als [3][@zirkuspony auf | |
Twitter] und [4][STABILO BOSS auf Instagram] aktiv ist, verdankt Hartmann | |
überhaupt erst ihr Debüt. In einem Interview verriet sie, dass ihre | |
Lektorin sie über Instagram angeschrieben und gefragt habe, ob sie sich | |
nicht auch vorstellen könnte, einen Roman zu schreiben. | |
Abschreckend bleibt einzig eine verlagsinterne Entscheidung, den hinteren | |
Buchdeckel statt mit einer Zusammenfassung von Zitaten vermeintlich | |
wichtiger Stimmen zu zieren. Diese Lobhudelei schreit so sehr „kauf mich!“, | |
dass einem beinah die Lust daran vergeht. Das ist ein bisschen schade, denn | |
Ilona Hartmanns Debüt lohnt auch ohne Werbung durch die Roches und Rönnes | |
dieser Welt. | |
26 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Rollschuhlaeuferin-auf-Instagram/!5718554 | |
[2] /Roman-Die-Sommer-von-Ronya-Othmann/!5709267 | |
[3] https://twitter.com/zirkuspony?ref_src=twsrc%5Egoogle%7Ctwcamp%5Eserp%7Ctwg… | |
[4] https://www.instagram.com/ilona_hartmann/?hl=de | |
## AUTOREN | |
Sophia Zessnik | |
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Stefanie Sargnagel | |
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