| # taz.de -- Roman über mysteriöses Freudenschiff: Segeln gehen | |
| > Auf diesem Schiff gerät die Wirklichkeit ins Schlingern: Simone Buchholz' | |
| > „Unsterblich sind nur die anderen“. | |
| Bild: In Endlosschleife über den Atlantik | |
| Wovon träumen alleinerziehende Mütter? Vom Ausbruch aus Alltag, Arbeit und | |
| den schlechten Nachrichten in der Timeline, von einer Reise mit der besten | |
| Freundin, von Soulfood, Drinks und Räucherware ohne Reue, von Sex mit dem | |
| jungen Gitarristen, der das Spiel mit ihrem Körper so gut wie sein | |
| Instrument beherrscht, davon, selbst noch blendend und wie Anfang zwanzig | |
| auszusehen – und natürlich davon, unendlich viel Zeit zu haben. | |
| Aus diesem Wunschzettel hat die Autorin Simone Buchholz, bekannt vor allem | |
| durch ihre [1][Hamburg-Krimis rund um die Staatsanwältin Chastity Riley,] | |
| den Roman „Unsterblich sind nur die anderen“ geschrieben, der auf Twitter | |
| unter dem Hashtag #Segelsexbuch Furore macht. | |
| Es ist ein Freundschaftsdienst, der Protagonistin Iva die Autofähre | |
| „Rjúkandi“ besteigen lässt, die mit Stopps auf den Färöer Inseln zwisch… | |
| Dänemark und Island verkehrt. Denn ihre Freundin Malin, eine sensible | |
| Naturwissenschaftlerin, ist auf der Suche nach ihrem vermissten Freund, der | |
| zusammen mit zwei Kumpels mit ebenjener Fähre gen Island aufgebrochen und | |
| nicht mehr zurückgekehrt ist. Iva, die daheim als Kellnerin jobbt, | |
| begleitet sie, lässt dafür sogar die neunjährige Tochter Lilo leicht | |
| besorgt beim längst getrennt lebenden Vater zurück, anscheinend ein | |
| Problemtyp. | |
| Doch die „Rjúkandi“, stellt sich heraus, kann viel mehr, als Touristinnen | |
| und ihre Fahrzeuge auf nordische Inseln befördern, was in der Realität | |
| übrigens vier Tage und drei Nächte dauert. Sie ist reich bestückt mit | |
| Restaurants, die man sich als reinste Hyggeparadiese vorstellen muss, so | |
| viel Muschelrisotto, Apfelkuchen mit Zimtsahne und honigfarbener Whiskey | |
| wird dort in einer Tour ausgereicht. | |
| Mysteriöse Bardamen und charaktervolle Musiker sorgen dafür, dass die Gäste | |
| sich stets in einem warmen Flow aus melancholischem Indierock und stabilem | |
| Alkoholpegel befinden, wobei seekranke Passagiere Übelkeit und Kater mit an | |
| Bord erhältlichen Wunderpillen in Schach halten. | |
| ## Fantastisches an Bord | |
| Nun lässt Simone Buchholz bereits in einer knappen Rahmenerzählung | |
| durchblicken, dass sie hier nur Seefrauengarn spinnt. Da nämlich stößt eine | |
| Ich-Erzählerin am Hafen auf einen Buddelschiff-Shop und erwirbt ein | |
| Exemplar. Alles Folgende lässt sich als Geist aus der Flasche verstehen, | |
| dessen Korken die Käuferin anfangs tollkühn gezogen hat. | |
| Unter dieser Prämisse ist kaum verwunderlich, dass sich zwischen das | |
| anfangs realistische Erzählen bald schon Fantastisches mischt, etwa | |
| lyrische Anrufungen weiblicher Meeresgottheiten wie der keltischen Lí Ban, | |
| aber auch Fischschwanz und Robbenfell tragender Wasserwesen und -geister | |
| aus allen erdenklichen Kulturen, die hinter dem ganzen Zauber stecken. | |
| Auch an Bord gerät die Wirklichkeit ins Schlingern. Wirkte erst nur die | |
| Crew unter der charismatischen Führung von Kapitän Richard auffallend | |
| jugendlich, scheinen auch die wieder aufgetauchten Freunde von Malin um | |
| Jahre, wenn nicht Jahrzehnte verjüngt; nur von Bord gehen können sie nicht | |
| mehr. | |
| Denn wer sich auf der „Rjúkandi“ verzaubern lässt, wird zwar forever youn… | |
| muss aber wie der Fliegende Holländer für immer zwischen Nordsee und | |
| Atlantik kreuzen. Im Ewigkeitsdeal inbegriffen ist die Möglichkeit, | |
| permanent orgiastischen Sex zu haben, der sich hinter dem | |
| poetisch-klemmigen Codewort „Segeln gehen“ verbirgt. | |
| ## Unsterblichkeit als Horrorvision | |
| Alles klar zu schön, um wahr zu sein, doch ein Konflikt ist | |
| vorprogrammiert. Iva will ihre Tochter wiedersehen, Kapitän Richard, in den | |
| sie sich verliebt hat und vice versa, darf sowieso nicht mit ihr schlafen, | |
| weil er seit 138 Jahren für die Meeresgöttinnen reserviert ist. Und obwohl | |
| Iva den Freuden der Ewigkeit nicht abgeneigt ist, steht ihr Ziel fest: Sie | |
| muss runter vom Schiff. | |
| Unsterblichkeit als Horrorvision ist durchaus ein spannendes Konzept, das | |
| etwa die katholische Zombieserie „Midnight Mass“ auf Netflix brillant und | |
| ernsthaft diskutiert. Auch Simone Buchholz weht kurz ein | |
| gesellschaftskritischer Impuls an, wenn sie gegen Ende die Schiffsbesatzung | |
| in Form eines Dramas über Verbleib oder solidarischen Austritt aus der | |
| ewigen Regression verhandeln lässt. | |
| Und als Iva Richard einmal sturmnachts auf der Kapitänsbrücke besucht, | |
| sieht sie seine wahre Gestalt – ein Skelett, nur mit Hautfetzen bedeckt. | |
| Doch letztlich streift Buchholz philosophische Gedanken und Horrorgenre | |
| allenfalls flüchtig. Auch die Frage, ob Iva der Zombifizierung wieder | |
| entkommt, könnte durchaus mehr Spannung vertragen. | |
| Im Zentrum des Romans steht etwas Drittes: die Haltung und Sprache einer | |
| hartgesottenen Hedonistin, die Haare auf den Zähnen und das abenteuerliche | |
| Herz am rechten Fleck hat. In den zwischen Jugendslang und | |
| [2][St.-Pauli-Nighthawks abgelauschten Dialogen] sprechen sie sich mit | |
| „Alter, ey“ an und sagen „hallo“, wenn sie „spinnst du?“ meinen; sie | |
| fluchen ständig und haben stets einen derben Spruch parat. | |
| „Ihre Sprache war richtig in Partylaune“, heißt es einmal über Iva, und d… | |
| gilt auch für Simone Buchholz, gerade dann, wenn es romantisch oder | |
| poetisch wird: „Überall war Glanz, aber mit Vollgas.“ Auch eine Methode, | |
| für immer jung zu bleiben. | |
| 30 Oct 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Eva Behrendt | |
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