# taz.de -- Buch „Zwischen Himmel und Elbe“: Wo die Kaufleute träumen | |
> Jan Bürger hat zwölf Streifzüge durch Hamburg unternommen und zu einer so | |
> unaufgeregten wie souveränen Hamburger Kulturgeschichte zusammengeführt. | |
Bild: Ausgangspunkt für kulturelle Entdeckungen: Der Baumwall, wie er früher … | |
HAMBURG taz | Hamburg hat vieles: hanseatischen Stolz, beträchtlichen | |
Wohlstand mit 2.160 Einkommensmillionären, eine beachtliche Cabrio-Dichte, | |
die unvergleichliche Lage der „Big Blue City“ (so der in Stade geborene | |
Schriftsteller Frank Schulz) am weiten Elbestrom, der unmittelbar ins Meer | |
führt, überhaupt das viele Wasser und die zahlreichen Parks und | |
Grünflächen. Aber hat Hamburg, diese „Banausenmetropole“ (Eckart Kleßman… | |
auch Kultur? | |
Sicher, der Mond wurde in Hamburg erfunden, Matthias Claudius hat ihn | |
unvergleichlich besungen in seinem „Wandsbecker Bothen“, auch die | |
Currywurst wurde hier entdeckt, wie Uwe Timm literarisch bewiesen hat. Und | |
die Büchner-Preisträgerin Brigitte Kronauer adelt in ihrem Roman | |
„Teufelsbrück“ das Elbe-Einkaufszentrum: Die Antwort auf die Frage nach der | |
Kulturstadt Hamburg variiert je nach Standpunkt des Betrachters und | |
Zeitpunkt der Betrachtung. | |
Jan Bürger, 1968 in Braunschweig geboren, hat in der Hansestadt studiert | |
und ist stellvertretender Archivleiter im Deutschen Literaturarchiv in | |
Marbach. Seine Biografie „Der gestrandete Wal“ des Hamburger | |
Schriftstellers Hans Henny Jahnn ist unbedingt zu empfehlen. Das aktuelle | |
Buch des Literaturkenners – „Zwischen Himmel und Elbe. Eine Hamburger | |
Kulturgeschichte“ – kommt mit hanseatischem Understatement daher. Es spielt | |
auf Gustav Schieflers „Hamburgische Kulturgeschichte 1890-1920“ an. | |
Dieser Klassiker, 1985 aus dem Nachlass veröffentlicht, geizt nicht mit | |
Zuspitzungen und Urteilen. Dazu gehört die Klage über die Kulturlosigkeit | |
der Hansestadt: „Hamburg hatte glänzende Aussichten“, schreibt Schiefler | |
darin. Und weiter: „Ohne große Anstrengungen konnte es werden: der | |
Kultur-Vorort Nordwestdeutschlands und damit eine geistige Macht ersten | |
Ranges in unserem Vaterland. Daß es diese Möglichkeiten ausließ, war eine | |
Schuld.“ | |
Ganz so möchte Jan Bürger sein Urteil über Hamburg nicht zuspitzen, auch | |
wenn er weiß, „dass den Hamburgern das Praktische, das Nützliche stets | |
näherstanden als das Geistige oder gar Geistliche“. Bürger setzt vielmehr | |
den Stadtraum in Beziehung zur Kultur, zu den kreativen Menschen, die hier | |
wirken und gewirkt haben. Er ist beispielsweise überzeugt von den | |
regionalen Tönungen von Literatur, auch wenn sie sich kaum fassen lassen: | |
„Die Milieus und Landschaften, in die wir hineingeboren werden und in denen | |
wir unser Leben einrichten, bestimmen den Möglichkeitshorizont unserer | |
Imaginationen – sie sind sozusagen der Schauplatz für unsere Fantasien und | |
bestimmen die Intonation unserer Sprache.“ | |
Ob er an die frühen Nachkriegserinnerungen des in Hamburg aufgewachsenen | |
Bodo Kirchhoff, Peter Rühmkorfs Reimkunst oder an Wolfgang Borcherts | |
berührende Kurzgeschichten erinnert: Stets führen die Dichterworte die | |
Spuren ihrer „Herkunft wie Treibholz mit sich“. | |
Bürger zielt nicht auf eine chronologische oder thematische | |
Kulturgeschichte, sondern unternimmt 12 Streifzüge durch Hamburg. Sie | |
beginnen an den einschlägigen Bahnstationen, dem Baumwall oder am | |
Gänsemarkt, am Meßberg, der Mönckebergstraße, dem Rödingsmarkt, am Dammtor, | |
der Hallerstraße, dem Hauptbahnhof, in St. Pauli, der Königstraße, in | |
Altona oder in Blankenese – hinzu kommen sechs Ausflüge in die Umgebung. | |
Der Plan des Verkehrsnetzes ist beigefügt, es kann also gleich losgehen. | |
Ausgehend von der Station Baumwall skizziert Bürger die Geschichte der | |
Musikstadt Hamburg. Die Ablehnung Johann Sebastian Bachs nach dem | |
Vorspielen an St. Katharinen 1720 nennt er eine der „vielen verpassten | |
Großchancen der Kulturgeschichte Hamburgs“. Er erinnert an die musikalische | |
Weltgeltung der Stadt im 18. Jahrhundert – durch Georg Philipp Telemann und | |
dann durch Carl Philipp Emanuel Bach wie durch die Dichter Matthias | |
Claudius und Friedrich Gottlieb Klopstock. | |
Klopstock erfindet die „Lesegesellschaft“, die auch Frauen offensteht und | |
bald in anderen Städten Schule macht. Für Verfasser von Lyrik und Prosa | |
bilden sie ein Gegenstück zum florierenden Konzertwesen und zum Theater: | |
„Jenseits des geistlichen Lebens stifteten die Lesegesellschaften | |
dauerhafte Gemeinschaften. Sie waren Ausdruck der zunehmenden Emanzipation | |
des gehobenen Bürgertums und ermöglichten tiefgreifende weltliche | |
Bildungserlebnisse im Zeichen der Künste.“ | |
Souverän legt Bürger literarische Spuren: Kurt Hillers Wohnung in der | |
Hallerstraße 5/E führt er ebenso an wie Hans Henny Jahnns Wohnstatt im | |
„Witthüs“ in Blankenese und Peter Rühmkorfs Studentenwohnung in der | |
Arnoldstraße 74. Selbstverständlich kommt Heinrich Heine vor, der einen | |
seiner Helden 1834 konstatieren lässt: „Die Stadt Hamburg ist eine gute | |
Stadt; lauter solide Häuser. Hier herrscht nicht der schändliche Makbeth, | |
sondern hier herrscht Banko.“ | |
Sottisen wie diese paart Bürger mit gleichsam beiläufig eingestreuten | |
Kenntnissen. Matthias Claudius habe dem verehrten „Hamburger Bach“, Carl | |
Philipp Emanuel Bach, ziemlich penetrant seine Aufwartung gemacht, weil er | |
unbedingt dessen epochale Klavierkunst erleben wollte. Deshalb kommt er mit | |
einer weiteren Berühmtheit, Gotthold Ephraim Lessing: „Ich allein konnte | |
Bachen nicht zum Spielen bringen, daher ich Lessingen bat, mich einmal | |
mitzunehmen.“ | |
Konziliant im Ton, weiß Bürger, wie der Hase in Hamburg läuft. Den Bau der | |
Speicherstadt kommentiert er so: „Schließlich stand das neue Hamburg im | |
Zeichen der Wirtschaft.“ Und so ist auch die Elbphilharmonie | |
„künstlerisches Wahrzeichen“ und „weltliche Kathedrale“ zugleich, also… | |
Zeugnis der ökonomischen Potenz, die ihre Geltung zu beweisen hat. Der Dom | |
hingegen wurde abgerissen, und bis heute ist dies eine Wunde in der Stadt, | |
zumal sie mit dem Gelände nichts wirklich anzufangen weiß. | |
Die „führende Medienmetropole der Bundesrepublik“ wird ausführlich | |
gewürdigt, ob anhand des vormaligen Presse- und heutigen | |
Helmut-Schmidt-Hauses oder durch kursorische Bemerkungen zur | |
Spiegel-Affäre. „Zwischen Himmel und Elbe“ mobilisiert | |
Erinnerungsschichten, die unvermutet Aktualität gewinnen: Das | |
13-geschossige Spiegel-Gebäude von Werner Kallmorgen an der Brandstwiete | |
entstand 1969 am Ort des ersten Kontorhauses Dovenhof. Der Neubau an der | |
Ericusspitze ist keineswegs ikonisch, und so gibt es infolge der | |
Coronapandemie gerade Pläne, Teile des nur bedingt funktionalen Gebäudes | |
unterzuvermieten. | |
Jan Bürgers „Hamburger Kulturgeschichte“ ist angenehm unaufgeregt, geradezu | |
praktisch. Und gerade in Zeiten, in denen keiner weiß, wovon | |
Kulturschaffende leben sollen, ist eine Kulturgeschichte Hamburgs wichtig. | |
Sie macht deutlich, wie wertvoll die Kulturstadt Hamburg ist, ihr Sound, | |
ihre spezifische Melange aus Provokantem und Widerständigem, aus Gefälligem | |
und Konventionellem. Dass die Hansestadt nicht durch Fürsten oder den | |
Klerus Bedeutung erlangte, dass sie keine Schlösser und Burgen aufzuweisen | |
hat, ist womöglich wirkungsmächtiger, als wir glauben. Einer Hafenstadt, | |
die vor allem durch den Handel wuchs, ist das Merkantile eingeschrieben – | |
aber eben auch der Protest dagegen. | |
1 Oct 2020 | |
## AUTOREN | |
Frauke Hamann | |
## TAGS | |
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