# taz.de -- „Klarkommen“ von Ilona Hartmann: Verpasste Party als Lebensgef�… | |
> llona Hartmann erzählt in ihrem zweiten Roman von einem Erwachsenwerden, | |
> das einfach nicht glamourös sein will. Wo bleiben Rausch, Exzess, | |
> Romantik? | |
Bild: Ende einer kleinen Party, bei der man mal wieder nicht dabei war | |
Dass Menschen, die ihr Geld vor allem mit dem Geschichtenerzählen | |
verdienen, oft selbst ein wenig wie der Star in einer Story leben, ist ein | |
bisschen mehr als nur ein Klischee. Der Slang nennt das „Main Character | |
Syndrome“, eine Krankheit, welche die Psychologie natürlich nicht wirklich | |
kennt, aber deren Beschreibung als Störung schon zum Ausdruck bringt: Eine | |
glänzende Hauptrolle sein zu wollen, wenn einen das Schicksal eher als | |
Kulisse vorgesehen hat, gehört sich nicht. | |
Schon in ihrem Debütroman [1][„Land in Sicht“ (2022)] erzählt die Autorin | |
Ilona Hartmann eine weitgehend von Glanz befreite Geschichte über die späte | |
Suche nach dem eigenen Vater. Der steuert keinen bombastischen Kreuzer über | |
die Weltmeere, sondern tuckert mit einem Flusskreuzfahrtschiff die Donau | |
entlang. Die Autorin versteht es, gerade den Witz des Profanen, Öden und | |
oft sehr Deutschen an der Erzählung charmant ins Zentrum zu rücken. | |
„Klarkommen“ ist nun die Geschichte einer jungen Frau, die, frisch vom | |
Elternhaus emanzipiert, voller Erwartung einer betörenden Jugend ist, bald | |
aber feststellen muss, dass zumindest ihr Leben auch eher auf dem | |
Flusskreuzer-Level operiert. Angekommen in der Großstadt, ist einiges | |
möglich, aber wenig drin. Partys und Konzerte kommen vor, verlaufen aber | |
selten so aufregend wie gehofft, ein paar Menschen kommen, andere gehen, | |
eine Romanze versandet. | |
Selbst die Tragik ist irgendwie nicht tragisch genug. Ein Ausflug | |
verspricht ein Abenteuer zu werden, verläuft „schlimm“, dann aber „eben | |
auch nicht schlimm genug, um danach eine gute Geschichte davon zu | |
erzählen“. Fazit: „Und das war ja eigentlich dann schon schlimm.“ | |
Gewöhnen kann sich die Protagonistin an diese Umstände schwer, was die | |
Autorin in kurzen Kapiteln zu formulieren weiß. Hartmanns Erzählerin | |
zerdenkt so gut wie jede Situation, unbarmherzig gegenüber sich selbst, | |
aber mit Feinfühligkeit gegenüber allen anderen Charakteren. Die sind oft | |
ähnlich schrecklich normal wie sie selbst, dienen aber dennoch ständig als | |
Vergleichsschablone: Immer ist es auf der Party cool, auf der man gerade | |
nicht ist. | |
## Wo bleiben Rausch, Exzess, Romantik? | |
Stück für Stück setzt sich die ironische Schlussfolgerung aus teils | |
mikroskopischen Beobachtungen zusammen: Ein romanhaftes Leben wartet eben | |
genau da, wo jemand das Leben als Roman zu beschreiben weiß. Dabei gelingt | |
es Hartmann, nie in Weinerlichkeit zu verfallen. Die Erzählerin weiß um | |
ihre kleineren Privilegien, tänzelt stets um das Eingeständnis herum, dass | |
schon die Erwartung einer tollen Jugend eitel daherkommt, wenngleich sie | |
permanent provoziert wird: „Wir waren alle ab dem ersten Kinderbuch | |
konfrontiert worden mit der Ankündigung, dass die Dinge einer gewissen | |
Struktur folgten.“ | |
Darf man sich beschweren, wenn nicht eintreten will, was doch auf jeder | |
Verpackungsrückseite versprochen wird – [2][Rausch, Exzess, Romantik?] Und: | |
Kommt in diesen Versprechen ein Mietvertrag vor, eine kaputte | |
Waschmaschine, ein leeres Bett und ein noch leereres Konto? | |
Anders als in ihrem Debüt kommt Hartmanns Humor, den sie an anderer Stelle | |
zum Beruf gemacht hat, dosiert daher. Stark ist das Buch vor allem da, wo | |
die Autorin zartbitter wird, Sätze und Kapitel fast abbricht, wie einen | |
Gedanken, den man lieber nicht zu Ende denkt: „Jedes Mal, wenn wir | |
freiwillig oder zufällig Nachrichten gelesen hatten, beschlich uns das | |
beklemmende Gefühl, dass wir uns mit dem Aufblühen beeilen mussten.“ An | |
solchen Stellen begreift sie von ihrem Jahrgang mehr als einige Regalmeter | |
populärwissenschaftliche Sachbücher. | |
„Klarkommen“ entfaltet sich zu einem Miniatur-Generationsporträt und einem | |
vorsichtig-rebellischen Anti-Roman, der die Erwartung eines filmreifen | |
Lebens schlau und witzig gegen sich selbst ins Feld führt. Damit schafft es | |
Ilona Hartmann, dass sich die Kulisse doch zur Hauptrolle verwandelt – und | |
ihre vorgeblich nicht erzählenswerten Anekdoten in eine wunderbar erzählte | |
Geschichte. | |
25 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Konstantin Nowotny | |
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