# taz.de -- Debatte um Leistungsträger: Die Gratismentalität der FDP | |
> Leistung muss sich lohnen, lautet das Mantra der Liberalen. Aber wessen | |
> Leistung? Nicht nur beim Streit ums Elterngeld steht die Partei an der | |
> Seite der Reichen. | |
Bild: Immer mehr wollen: FDP Sammelordner bei einem Parteitag | |
Ausgerechnet die als Porsche fahrende Männerpartei verschriene FDP ist | |
plötzlich besorgt um die Gleichstellung. Stichwort Elterngeld. Als die | |
grüne Familienministerin Lisa Paus im Zuge des Lindner’schen Sparkurses | |
entschied, dass Spitzenverdiener-Haushalte kein Elterngeld bekommen sollen, | |
war die FDP schnell auf den Barrikaden. Das träfe die „Mitte der | |
Gesellschaft“, mahnten FDP-Politiker*innen und zeigten, wie verrutscht ihre | |
Maßstäbe sind. | |
Paus plant, dass es kein Elterngeld mehr für Haushalte geben soll, die ein | |
zu versteuerndes Jahreseinkommen von 150.000 Euro haben. Das wären 5 | |
Prozent der Elterngeldbezieher*innen. Das durchschnittliche | |
Jahreseinkommen[1][lag 2022 in Deutschland bei knapp 40.000 Euro brutto im | |
Jahr.] Wenn reiche Haushalte nun auf Elterngeld bestehen, könnte man das | |
mit Lindners Worten „Gratismentalität“ nennen. | |
Es ist bezeichnend, dass die fehlende Finanzierungsgrundlage für eine | |
vernünftige Kindergrundsicherung oder einen angemessenen Mindestlohn zu | |
Inflationszeiten nicht ansatzweise so viel Protest hervorbrachte. Dabei | |
betrifft beides viel mehr Menschen. Doch ärmeren Menschen und Familien | |
fehlt eine schlagkräftige Lobby. Die Unternehmerin Verena Pausder, die die | |
Petition gegen die Elterngeldkürzung der Spitzenverdiener*innen | |
startete, hatte zumindest 2017 genug Geld übrig, um der FDP rund 50.000 | |
Euro zu spenden. Das als Anekdote am Rande. | |
Die FDP-Bundestagsabgeordnete Katja Adler fand die Elterngeldkürzung so | |
schlimm, dass sie vorschlug, stattdessen lieber bei der | |
Antidiskriminierungsstelle und der Demokratieförderung zu sparen – mitten | |
im AfD-Umfragehoch. Adler beklagte, dass die Familienministerin | |
ausgerechnet bei den „Leistungsträgern unserer Gesellschaft“ kürze – was | |
Grundsätzliches über das Selbstverständnis der FDP erzählt. | |
## Verschobene Vorstellungen | |
In der Vorstellung der FDP ist wohl nur Leistungsträger*in, wer 75.000 | |
Euro brutto aufwärts verdient. Also – wer viel Geld verdient, leistet viel. | |
Dabei gehören viele der systemrelevanten Berufe nicht zu den | |
Spitzenverdiener*innen. Hatte das Land in der Pandemie nicht noch für | |
Pflegekräfte und Kassierer*innen geklatscht? Wie viel unbezahlte, | |
wertvolle Arbeit wird in diesem Land geleistet, etwa von pflegenden | |
Angehörigen? Wer sticht den Spargel auf den Feldern? Wie viele Menschen | |
müssen trotz Arbeit aufstocken? Die FDP blendet diese Realitäten bewusst | |
aus. Es sind nicht ihre Zielgruppen. | |
Für die Partei gilt der Satz: Leistung muss sich lohnen. Die, die arbeiten, | |
sollen mehr haben als die, die nicht arbeiten. Das muss nicht falsch sein. | |
Doch die Partei argumentiert so gegen jede Erhöhung von Sozialleistungen, | |
sei es Bürgergeld oder Kindergrundsicherung. Menschen, die für niedrige | |
Löhne schuften, werden damit gegen jene ausgespielt, die auf Sozialhilfe | |
angewiesen sind. | |
Das wahre Problem wird gar nicht adressiert: Der so genannte Lohnabstand | |
ist oft nur deshalb so gering, [2][weil Deutschland im europäischen | |
Vergleich einen großen Niedriglohnsektor hat.]Viele Menschen arbeiten und | |
kommen trotzdem nicht über die Runden. 820.000 Beschäftigte mussten 2022 | |
zusätzlich Sozialhilfe beziehen – besonders Alleinerziehende. Zwar sinkt | |
der Anteil der Aufstocker*innen, 2011 waren es noch 1,35 Millionen. Dennoch | |
gilt: Manche Unternehmen haben Ausbeutung zum Geschäftsmodell gemacht. Das | |
wird als gegeben hingenommen. | |
6 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland zum Mindestlohn, viele sind | |
weiblich, viele leben im Osten – doch wenn es um dieses Thema geht, ist | |
Gleichstellung der FDP nicht so wichtig. Die Partei stemmt sich gegen | |
weitere Mindestlohnerhöhungen, das würde den Wirtschaftsstandort schwächen | |
und sei nicht Aufgabe der Politik. | |
Zwar hat die FDP in der Ampelregierung die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 | |
Euro mitgetragen. Im Gegenzug hat sie darauf bestanden, dass die | |
Minijobgrenze an den Mindestlohn gekoppelt wird. Das ist zunächst für | |
Minijobber*innen eine Verbesserung – doch Gewerkschaften warnen, dass | |
damit reguläre, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verdrängt | |
werden. Ein Ergebnis schlechter Löhne ist: Jedes fünfte Kind in Deutschland | |
ist armutsgefährdet. | |
## Doppelte Standards | |
Das Perfide ist: Die Leistung-muss-sich-lohnen-Logik der FDP wird nur in | |
Bezug auf arme Menschen angewandt. Denn eine Reform der Erbschaftsteuer ist | |
ein absolutes No-Go für die FDP. Dabei könnte das durchaus ein Thema sein | |
für eine liberale Partei, die für Leistungsgerechtigkeit eintreten möchte. | |
Erben ist ja nichts anderes als leistungsloses Einkommen. Aber da zeigt | |
sich die Doppelmoral der FDP: Es geht ihr um die Besitzstandswahrung. | |
Nach verlorenen Landtagswahlen kämpft die FDP in der Ampel ums Überleben. | |
Das liegt nicht nur daran, dass die Wählerschaft per se mit einem Bündnis | |
mit zwei linken Parteien fremdelt. Der Neoliberalismus mit seinem Ruf nach | |
immer weiteren Privatisierungen scheint seinen gesellschaftlichen Höhepunkt | |
überschritten zu haben – was sich zuletzt in der Krisenbewältigung und | |
Maßnahmen wie der Strom- oder Gaspreisbremse zeigte. Der FDP blieb nichts | |
anderes übrig, als all das mitzutragen. | |
Da im gesellschaftspolitischen Bereich auch die Grünen als liberale Partei | |
wirken, müsste die FDP ihren Wirtschaftsliberalismus ins 21. Jahrhundert | |
übersetzen, jenseits von Steuersenkungsmantra. Aber das gelingt ihr nicht. | |
Stattdessen verstrickt sie sich in inhaltliche Widersprüche. [3][So lehnen | |
die Liberalen staatliche Subventionen in der Theorie ab] – während der | |
Krise setzten sie den Tankrabatt durch, von dem vor allem Mineralölkonzerne | |
profitierten. Sie sperren sich auch gegen den Abbau umweltschädlicher | |
Subventionen und verteidigen das Dienstwagenprivileg. | |
Dabei wäre es nicht nur für das Klima gut, umweltschädliche Subventionen | |
abzubauen. Man könnte so auch eine vernünftige Kindergrundsicherung | |
finanzieren. Aber das ist einfach nicht gewollt. | |
20 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/39044/umfrage/monatlicher-ve… | |
[2] https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Bevoelkerung-Arbeit-Soziales/Arbeit… | |
[3] /Lindners-Etatplaene/!5945447 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
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