# taz.de -- Debatte Hass im Netz: Die Sensationsschleuder | |
> Solange der Algorithmus von Online-Netzwerken belohnt, was die | |
> Nutzer-Aufmerksamkeit fesselt, regieren Hass und Provokation. Da helfen | |
> keine Gesetze. | |
Bild: Verschwörungstheoretiker sollen gern Aluhüte tragen | |
Der amerikanische Sonderermittler Mueller hat dreizehn Russen wegen | |
[1][Sabotage] angeklagt. Sie sollen im Regierungsauftrag während des | |
amerikanischen Wahlkampfs mit gefälschten Identitäten bei Facebook, | |
Instagram und Twitter Zwietracht gesät haben. | |
Moment mal – ist es jetzt verboten, sich unter falschem Namen bei Twitter | |
anzumelden und loszukübeln? Wurden die sozialen Medien nicht dafür | |
erfunden? Doch im Ernst: In den USA mag man die Aktivitäten der russischen | |
Provokateure als „Sabotage“ betrachten, weil sie sich in den US-Wahlkampf | |
eingemischt haben. Im Rest der Welt gibt es dafür einen anderen Namen: | |
Internetmarketing. Die Techniken, die die Russen eingesetzt haben, waren | |
keine teuflischen Hightech-Manipulationen. So operiert jeder, der in den | |
sozialen Medien auf sich aufmerksam machen will – mit dem einzigen | |
Unterschied, dass man das üblicherweise unter Klarnamen tut. | |
Unternehmen wie Facebook bieten ihren Kunden fein austarierte Instrumente, | |
um so viele Interessenten wie möglich mit der eigenen Message zu erreichen | |
– sei es Reklame für Kreuzfahrten, sei es Propaganda. Genau das haben die | |
Russen genutzt: Sie haben ihre Posts zunächst an sehr kleine demografische | |
Gruppen ausspielen lassen. Die erfolgreichsten dieser Posts wurden dann mit | |
größeren Nutzergruppen geteilt, die diese im Idealfall „viral“ | |
weiterverbreiteten. Das kostete pro Post nur wenige Dollar. | |
Facebook will nun bezahlte politische Botschaften als solche markieren. Das | |
ist schön, wird aber von vielen Nutzern nicht verstanden werden. Die wissen | |
oft nicht mal, dass als „gesponsert“ gekennzeichnete Beiträge auf Websites | |
bezahlte Werbung sind. Auch das [2][Netzwerkdurchsetzungsgesetz] hilft hier | |
nicht weiter, weil es sich nur auf strafrechtlich relevante Inhalte | |
konzentriert, nicht auf deren Verbreitung. Das grundsätzliche Dilemma | |
besteht darin, dass bei sozialen Medien Algorithmen darüber entscheiden, | |
was medial zirkuliert. Und die sind so programmiert, dass sie die | |
Aufmerksamkeit ihrer Nutzer so lange wie möglich halten. | |
## Nur die Sensationsgier zählt | |
Dabei bevorzugen sie Material, das sensationalistisch oder provokant ist. | |
Wie verschiedene Studien gezeigt haben, werden gerade bei YouTube solche | |
Inhalte durch den Empfehlungsalgorithmus systematisch hervorgehoben, um das | |
Publikum bei der Stange zu halten. Zuletzt landete in den YouTube-Trends | |
darum ein Video von Verschwörungstheoretikern, in dem es hieß, die | |
Teenager, die sich nach dem Amoklauf in Parkland im Fernsehen äußerten, | |
seien Schauspieler. | |
In Deutschland sind es die Anhänger der AfD, die diese Eskalationslogik | |
bedienen: Durch betont reißerische Titel ihrer YouTube-Videos provozieren | |
sie die Aufmerksamkeit, die dazu führt, dass der | |
YouTube-Empfehlungsalgorithmus sie hervorzuheben beginnt. Die | |
Bundestagsreden und TV-Auftritte von AfD-Mitgliedern tragen | |
effekthascherische Titel, die als Klickköder dienen: „Dirk Spaniel (AfD) | |
bringt die grünen Gemüter zum Toben“, „Anton Hofreiter rastet aus bei Rede | |
von Gottfried Curio (AfD)“, „Merkel im Bundestag brutal fertig gemacht“. | |
Viele dieser Videos sind eigentlich urheberrechtlich geschützt, wie die | |
Talkshows „Markus Lanz“ oder „Hart aber fair“ vom verhassten | |
öffentlich-rechtlichen „Staatsfunk“, die in voller Länge veröffentlicht | |
werden. Einige Anbieter versuchen sogar, mit ihren Angeboten Geld zu | |
verdienen, bitten um Spenden per Paypal oder zeigen Werbung. | |
Praktisch sieht das dann so aus: Wer bei YouTube nach der Bundestagsdebatte | |
über die Freilassung von Deniz [3][Yücel] sucht, bekommt von der | |
Autovervollständigen-Funktion als zusätzliches Suchwort den Begriff | |
„Deutschenhasser“ vorgeschlagen. Wenn man stattdessen das Stichwort | |
„Bundestag“ eingibt, bekommt man mehrere Versionen der Rede angeboten, die | |
der AfD-Abgeordnete Gottfried Curio zu diesem Thema gehalten hat. Der | |
Mitschnitt von der Bundestagssite wurde von einer Armee anonymer AfD-Fans | |
immer wieder gepostet, versehen mit Titeln wie „Dr. Gottfried Curio hält im | |
Bundestag eine glänzende Rede zum Fall Deniz Yücel“. | |
## Paralleluniversum AfD | |
Wer auf eins dieser Videos klickt, gerät in ein Paralleluniversum, in dem | |
es nur noch eine einzige Partei gibt: die AfD, deren Anhänger sich in einer | |
selbstreferenziellen Filterblase in den Kommentarspalten ununterbrochen | |
versichern, wie toll diese Truppe ist. Von dort aus lenken einen die | |
Empfehlungen weiter ins Biotop der Reichsbürger und GEZ-Verweigerer. | |
YouTube und Facebook könnten das Entstehen solcher Filterblasen verhindern, | |
wenn sie endlich akzeptieren würden, dass sie Medienunternehmen sind, die | |
Verantwortung haben für das, was auf ihrer Website zu sehen ist – nicht | |
neutrale Plattformen, die nur eingreifen, wenn bei ihnen strafrechtlich | |
Relevantes veröffentlicht wird. In den USA informieren sich inzwischen rund | |
zwei Drittel der US-Amerikaner zuerst in den sozialen Medien über aktuelles | |
Geschehen, die Deutschen nutzen schon zu 47 Prozent Facebook und zu 22 | |
Prozent YouTube als Nachrichtenquelle. | |
Diese Unternehmen befriedigen solches Interesse mit einem Mix, der von | |
streng geheimen, von keiner Öffentlichkeit kontrollierbaren | |
Computerprogrammen zusammengestellt wird. Deren Hauptaufgabe besteht nicht | |
darin, Menschen mit brauchbaren Informationen zu versorgen, sondern sie zu | |
möglichst langem Verweilen zu bewegen. Und das tun sie um jeden Preis – | |
auch wenn der darin besteht, die Nutzer ins düstere Universum der | |
Verschwörungstheoretiker und Rechtspopulisten zu verfrachten. | |
Dass russische Trolle und deutsche AfD-Anhänger diese Algorithmen besonders | |
erfolgreich zu manipulieren gelernt haben, ist logisch: Ihr Ziel, zu | |
polarisieren und Zwietracht zu sähen, kann hier mit geringen Mitteln | |
realisiert werden. Und es hat Erfolg, wie die toxische Diskussionskultur | |
zeigt, die zunehmend auch in die nichtvirtuelle Welt Einzug hält. | |
4 Mar 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Russische-Beeinflussung-der-US-Wahl/!5485378 | |
[2] /Kritik-am-Netzwerkdurchsetzungsgesetz/!5474062 | |
[3] /Deniz-Yuecels-Texte-und-die-AfD/!5484414 | |
## AUTOREN | |
Tilman Baumgärtel | |
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