| # taz.de -- Projekt „Datenspende“: Ganz schön aufgeblasene Blase | |
| > ForscherInnen haben untersucht, wie stark sich Google-Suchergebnisse von | |
| > Person zu Person unterscheiden. Das Ergebnis: weniger als gedacht. | |
| Bild: Ist die Blase nur ein Märchen? | |
| Zu Beginn dieses Jahrzehnts hat ein Netzaktivist die Welt verunsichert. Eli | |
| Pariser, Präsident des linken Thinktanks [1][MoveOn.org], behauptete mit | |
| seiner Theorie von der „Filterblase“: Was wir im Internet sehen, haben | |
| Algorithmen für uns zusammengestellt – und zwar gemäß dem, was sie für | |
| unsere Vorlieben halten. Die Konsequenz, so Pariser: Je mehr sich Menschen | |
| über Google, Facebook und ähnliche Plattformen informieren, desto mehr | |
| spaltet sich die Gesellschaft in isolierte Grüppchen mit homogenen | |
| Meinungen. | |
| Inzwischen ist die „Filterblase“ geflügeltes Wort, Ereignisse wie der | |
| Brexit oder die Wahl Donald Trumps, die viele für undenkbar hielten, | |
| verstärken den Eindruck einer virtuellen Sichtfeldbeschränkung. Dabei fehlt | |
| bis heute eine solide Grundlage an Daten, die die Filterblasen-These | |
| stützen könnten. Seit es den Begriff gibt, gibt es somit auch Kritik an | |
| Pariser: Er habe das Problem aufgebauscht, anhand von Stichproben und | |
| Spekulationen ein Bedrohungsszenario aufgebaut. Andere gaben der Theorie | |
| einen Vertrauensvorschuss – weil sie plausibel klingt. | |
| Mit dem Forschungsprojekt „Datenspende“ gibt es nun in Deutschland zum | |
| ersten Mal eine belastbare, wenn auch [2][nicht repräsentative Erhebung zum | |
| Thema]. Für die Untersuchung arbeiteten der Verein AlgorithmWatch, die TU | |
| Kaiserslautern und sechs Landesmedienanstalten zusammen. 4.400 deutsche | |
| InternetnutzerInnen „spendeten“ dem Projekt freiwillig ihre | |
| Google-Suchergebnisse – das heißt konkret, dass sie sich fünf Wochen vor | |
| der Bundestagswahl eine besondere Erweiterung für ihren Browser | |
| installierten. Die gab automatisch alle vier Stunden eine Reihe von | |
| Suchbegriffen bei Google ein – die Namen der wichtigsten Parteien und | |
| PolitikerInnen – und zeichnete dann auf, welche Ergebnisse die Suche | |
| anzeigte. | |
| Die so erzeugten Daten verraten, wie sehr Suchergebnisse von Person zu | |
| Person variieren. Antwort: Weniger als gedacht. Von den ersten 20 | |
| Suchergebnissen waren im Schnitt nur vier bis fünf unterschiedlich. Das | |
| heißt, was die Testpersonen bei Google angezeigt bekamen, war zu über drei | |
| Viertel identisch. | |
| Für Katharina Zweig, Netzwerkforscherin an der TU Kaiserslautern und | |
| Leiterin des Projekts, bedeutet dieses Ergebnis zwar nicht, dass die | |
| Filterbubble-Theorie falsch ist. Aber: „Was Google in Deutschland angeht, | |
| gibt es keine Datengrundlage für die Theorie.“ | |
| ## Nicht repräsentativ | |
| Das gilt allerdings nur eingeschränkt. Denn zum einen ist die Erhebung | |
| nicht repräsentativ. Angenommen wurden Datenspenden von allen, die sich | |
| dazu bereit erklärten, und nicht etwa proportional nach Alter, Geschlecht | |
| oder – besonders wichtig – sozialem und politischem Milieu. | |
| Zum anderen hat sich die Studie mit der wichtigsten Plattform noch gar | |
| nicht beschäftigt: Facebook. Denn noch viel mehr als bei der Suchmaschine | |
| Google spielt bei Facebook die Personalisierung eine zentrale Rolle. Also | |
| dass Inhalte nach den Interessen und den sozialen Beziehungen der | |
| NutzerInnen algorithmisch ausgewählt werden. Bei Facebook gehört es zum | |
| Markenkern, dass man sich innerhalb vertrauter Netzwerke bewegt, die eigene | |
| Interessen und Meinungen eher teilen. Trotzdem ist nach wie vor nicht klar, | |
| wie der Facebook-Algorithmus Inhalte gewichtet – und welche er aussortiert. | |
| Katharina Zweig sagt, dass es im Gegensatz zu Google bei Facebook aber | |
| nicht so einfach möglich sei, Personalisierung zu erforschen. „Die | |
| Testpersonen müssten dazu entweder gleich ihren Log-in zur Verfügung | |
| stellen oder aber Screenshots von ihrer Timeline schicken“, erklärt die | |
| Wissenschaftlerin. „Das wird niemand machen.“ | |
| Zweig und ihr Team haben es daher anders versucht: Über eine Reihe von | |
| selbstgemachten Fake-Accounts wollten sie eine repräsentative Testgruppe | |
| simulieren. Das wiederum scheiterte aber an der strikten | |
| Identitätsüberprüfung von Facebook. „Die wollten dann gleich, dass wir die | |
| Fake-Accounts mit Telefonnummern bestätigen.“ | |
| Und so ist Facebook, die wahrscheinlich wichtigste Plattform, wenn es um | |
| Filterblasen geht, kaum zu erforschen. Natürlich hat der Konzern kein | |
| Interesse daran, seinen Algorithmus preiszugeben. Aus unternehmerischer | |
| Sicht wäre das so, als würde eine Sterneköchin ihre Rezepte an die | |
| Konkurrenz verteilen. | |
| Und es gibt noch einen weiteren Grund: Solange niemand weiß, wie der | |
| Algorithmus genau arbeitet, ist es schwierig, Facebook zu regulieren. | |
| Allerdings steht das Unternehmen immer mehr unter Druck. Es hat kein | |
| Interesse daran, als Plattform für rechte Trolle und Populismus zu gelten – | |
| oder als das Netzwerk, das den politischen Diskurs kaputtgemacht hat. | |
| Deswegen verkündet Facebook auch immer mal wieder, dass es den Algorithmus | |
| in dieser oder jener Weise anpassen will. Zuletzt hieß es aus Kalifornien, | |
| [3][dass bald persönliche Empfehlungen von engen FreundInnen stärker | |
| gewichtet würden als Posts von Nachrichtenseiten]. Wie das gegen | |
| Filterblasen helfen soll, ist ungewiss – das Gegenteil müsste der Fall | |
| sein. | |
| ## Vielfalt sicherstellen | |
| Allerdings ist klar: Facebook will sich als transparent präsentieren, ohne | |
| Betriebsgeheimnisse preiszugeben. Und genau dort sehen die deutschen | |
| Landesmedienanstalten und die ForscherInnen beim Projekt „#Datenspende“ | |
| eine Chance. | |
| Die Medienanstalten sind deshalb interessiert, weil sie dafür zuständig | |
| sind, Medienvielfalt sicherzustellen. Früher ging das via Zuteilung von | |
| TV-Sendeplätzen – heute spielen die sogenannten Intermediären eine große | |
| Rolle: Google, Facebook, Instagram, YouTube – keine Medien, keine Quellen, | |
| sondern Informationshändler mit großer Macht. Über die es aber zu wenig | |
| Wissen gibt, sagt Anja Zimmer, Direktorin der Landesmedienanstalt | |
| Berlin-Brandenburg (MABB). „Dieses Wissen liegt im Moment zu großen Teilen | |
| bei den Intermediären. Das ist ein gravierendes Hindernis für die | |
| Forschung, aber auch für die Regulierung.“ | |
| Die MABB berät daher seit Neuestem in ihrer „Data Access Initiative“ | |
| darüber, wie man die Intermediären davon überzeugt, sich anzapfen zu | |
| lassen. „Wir fragen uns, wie eine Regulierung aussehen kann, die | |
| gleichzeitig Transparenz und notwendigen Datenschutz gewährleistet“, sagt | |
| Zimmer. | |
| Netzwerkforscherin Zweig findet, dass das im Interesse von Facebook sein | |
| müsse. „Das wäre ein Win-win für beide Seiten, denn dann müsste man nicht | |
| mehr an ihr Geschäftsgeheimnis ran.“ Dazu müsste sich Facebook jetzt nur | |
| noch bereit erklären. In der Zwischenzeit gilt immerhin schon mal die gute | |
| Nachricht: Wer Google nutzt, ist weitgehend sicher davor, in eine | |
| Diskursnische gesaugt zu werden. Was alle anderen Plattformen angeht, ist | |
| gesunder Argwohn weiter angemessen. | |
| 8 Mar 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://front.moveon.org/ | |
| [2] https://www.blm.de/files/pdf1/1_zwischenbericht__final.pdf | |
| [3] /Medienreaktion-auf-Update-von-Facebook/!5475507 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Weissenburger | |
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