| # taz.de -- CDU-Politiker über Sozialpolitik: „CDU wählen nicht die Reichst… | |
| > Karl-Josef Laumann, ist Vorsitzender des Sozialflügels der CDU. Ein | |
| > Gespräch über Bürgergeld, Rente und darüber, ob die CDU eine soziale | |
| > Partei ist. | |
| Bild: CDU-Sozialpolitiker Karl-Josef Laumann beim Gespräch in Düsseldorf im J… | |
| wochentaz: Herr Laumann, Sie sind jetzt stellvertretender | |
| Bundesvorsitzender der CDU und sollen die soziale Flanke schließen. Wie | |
| wollen Sie das schaffen? | |
| Karl-Josef Laumann: Es geht nicht darum, was ich soll. Ich halte das | |
| politisch für notwendig. Ich glaube, dass wir zurzeit die schlechteste | |
| Bundesregierung in unserer Geschichte haben. Die Union muss den vielen | |
| enttäuschten Wählern dieses Bündnisses ein gutes Politikangebot machen, | |
| damit sie im politischen Spektrum der Mitte bleiben. Dazu gehört auch ein | |
| überzeugendes Angebot für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Dazu leiste | |
| ich meinen Beitrag innerhalb der CDU. | |
| Glauben Sie, die Bürger und Bürgerinnen nehmen die CDU als soziale Partei | |
| wahr? | |
| In Landstrichen, wo die CDU noch über 40 Prozent holt, wählen uns breiteste | |
| Bevölkerungsschichten. Ich bin jetzt 51 Jahre Mitglied der CDU, bei allen | |
| Wahlen hatte die CDU einen hohen Anteil an Arbeitnehmerinnen- und | |
| Arbeitnehmerstimmen, zuletzt sogar doppelt so viele wie die SPD. Es ist ja | |
| auch nicht so, dass die CDU die reichsten Wähler hat. Das sind die Grünen | |
| und dann kommt die FDP. | |
| Die Union hat die letzte Bundestagswahl auch deshalb verloren, weil sie als | |
| [1][Partei der sozialen Kälte] wahrgenommen worden ist. Das ist Teil einer | |
| Analyse aus dem Konrad-Adenauer-Haus. Und da hatten Sie noch Armin Laschet | |
| und nicht Friedrich Merz an der Spitze. | |
| Die letzte Bundestagswahl war so wie sie war. Nach der langen Amtszeit von | |
| Frau Merkel gab es eine nicht ganz geringe Stimmung in der CDU – ich gehöre | |
| nicht dazu – die etwas anderes wollte: konservativer, mehr CDU pur; was es | |
| alles für Sprüche gibt. | |
| Dazu passt, dass die CDU soziale Themen nicht nach vorne stellt – oder | |
| wenn, dann wie bei der Vorstellung Ihres Papiers zum Bürgergeld. Dort hat | |
| Generalsekretär Carsten Linnemann das Thema Totalverweigerer samt scharfen | |
| Sanktionen stark gemacht… | |
| Bei Totalverweigerern sind [2][scharfe Sanktionen] durchaus richtig. Auch | |
| wenn es [3][nur ganz wenige Grundsicherungsempfänger] betrifft. | |
| Aber ist das das entscheidende Thema beim Bürgergeld? Das ging so, bis Sie | |
| auf der Pressekonferenz richtigerweise gesagt haben: Davon gibt es doch gar | |
| nicht so viele. | |
| Es geht nicht darum Menschen zu bestrafen, es geht darum [4][sie zur Arbeit | |
| zu befähigen]. Hier muss der Staat Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Sonst | |
| sehe ich die Gefahr, dass die Bereitschaft zur Solidarität in der | |
| Bevölkerung kippt. | |
| Aufstocker kommen in dem Papier gar nicht vor, eine große Gruppe, die ihnen | |
| doch eigentlich am Herzen liegen müsste. Das sind Leute, die oft hart | |
| arbeiten und von ihrem Lohn nicht leben können. | |
| Wir sind in Deutschland, was die Integration von Menschen in Arbeit angeht, | |
| zurzeit nicht besonders gut aufgestellt. Wenn mir die Jobcenter in | |
| Nordrhein-Westfalen berichten, dass ein Drittel besonders der jungen Leute, | |
| die zu einem Gespräch in Jobcenter eingeladen sind, gar nicht kommen, dann | |
| darf sich das eine staatliche Stelle, die die Grundsicherung auszahlt, | |
| nicht gefallen lassen. Wenn wir das nicht in den Griff kriegen, dann werden | |
| auch Menschen nicht mehr bereit sein, so viel Steuern für diese | |
| Grundsicherung zu zahlen. | |
| Aber hilft es, dieses Bild vom angeblich faulen Arbeitslosen so in den | |
| Vordergrund zu stellen? Oder schürt das nicht eher Vorurteile? | |
| Die Frage der Totalverweigerer ist kein großes Thema. Punkt! | |
| Welche Themen müsste die CDU in den Vordergrund stellen? | |
| Zum Beispiel die Höhe der Tarifbindung. In der sozialen Marktwirtschaft | |
| werden die Löhne weder vom Staat noch vom einzelnen Arbeitgeber festgelegt, | |
| sondern von den Sozialpartnern ausgehandelt. Dass wir nur noch eine | |
| Tarifbindung von etwa 50 Prozent haben, ist nicht gut. | |
| Was wollen Sie tun, um das zu verbessern? | |
| Tarifverträge gehören zur DNA der Sozialen Marktwirtschaft. Ich finde | |
| schon, dass die CDU darüber positiver reden könnte. Wir wollen die | |
| Tarifbindung stärken, indem wir die Allgemeinverbindlichkeit von | |
| Tarifverträgen erhöhen oder die Vergabe öffentlicher Aufträge an die | |
| Tarifbindung knüpfen. | |
| Die Ampel will ein Tariftreuegesetz einführen, das die Vergabe | |
| öffentlicher Aufträge von einer Tarifbindung abhängig macht. | |
| Das haben sie versprochen, aber da wird nichts mehr kommen. Ich werde in | |
| Nordrhein-Westfalen ein Tariftreuegesetz für Vergaben des Landes machen. | |
| Der Ministerpräsident will auch, dass das kommt. Wir werden uns dabei auf | |
| die Entgeltfrage konzentrieren. | |
| Heißt was genau? | |
| Dass das Unternehmen garantiert, dass es für diesen Auftrag des Landes die | |
| Arbeitnehmer tariflich entlohnt. Das einzige Problem, was wir noch nicht | |
| gelöst haben, ist: Wie kontrollierst du das? | |
| Sie fordern, dass die Union bei einer Regierungsbeteiligung im Bund das | |
| Sozialressort besetzen sollte. Ihr Parteichef Friedrich Merz dagegen will | |
| das Wirtschafts- und das Arbeits- und Sozialministerium zusammenlegen. Ist | |
| das eine gute Idee? | |
| Nein. | |
| Warum nicht? | |
| Weil wir das schon mal hatten … | |
| Mit SPD-Superminister Wolfgang Clement im rot-grünen Kabinett von Gerhard | |
| Schröder. | |
| Genau. Und das war nicht der Hit. | |
| Sie lehnen die Rentenreform der Ampel ab. Wie wollen Sie die gesetzliche | |
| Rente absichern – jenseits einer Anpassung des Renteneintritts an die | |
| Lebenserwartung, wie es im Grundsatzprogramm steht? | |
| Wer ein Leben lang gut gearbeitet hat, muss eine Rente haben, von der man | |
| leben kann. Und da reicht kein schöner Spruch, sondern nach meiner Meinung | |
| gibt es [5][keine Spielräume beim Rentenniveau]. | |
| Aber das ist in Ihrer Partei, sehr vorsichtig formuliert, nicht | |
| unumstritten. | |
| Stimmt. Aber wenn es das wäre, hätte ich ja nicht als stellvertretender | |
| Bundesvorsitzender kandidieren müssen. | |
| Wie würde also Ihre Rentenreform aussehen? | |
| Da sind die Antworten gar nicht so einfach. Wenn man unter die Riesterrente | |
| einen Strich macht, haben die erstens viel zu wenige und zweitens oft die | |
| verkehrten. Also die, die wahrscheinlich ohnehin nicht von Altersarmut | |
| betroffen sind. Letztlich hat hauptsächlich die Versicherungswirtschaft an | |
| Riester verdient. Das müssen wir künftig besser machen. Wir wollen künftig | |
| die betriebliche Altersvorsorge und auch die private Altersvorsorge | |
| stärken. Ich bin zudem sehr dafür, dass Leute Eigentum haben sollten, sei | |
| es ein Haus, Aktien oder ein Altersvorsorgeprodukt. Eigentum hält Menschen | |
| in der politischen Mitte und kann auch Altersvorsorge sein. Wenn wir eine | |
| verpflichtende Vorsorge einführen, muss man die Frage beantworten: Wie | |
| finanzierst du das für die, [6][die es aus eigener Kraft nicht können]? | |
| Und wie wollen Sie das finanzieren? Laut CDU-Grundsatzprogramm soll es eine | |
| Pflicht zur kapitalgedeckten Vorsorge für alle geben, also auch für | |
| Menschen, die wenig verdienen. | |
| Da werden sich die Arbeitgeber finanziell engagieren müssen. Und vor allen | |
| Dingen muss der Staat seine Förderung auf die untersten Einkommensschichten | |
| konzentrieren. | |
| Viele Leute haben Angst vor dem Umbau der Industrie hin zu einer | |
| klimaneutralen Wirtschaft, sie fürchten um ihre Jobs und ihren Wohlstand. | |
| Wie ist Ihre Antwort darauf? | |
| Das ist ein ganz wichtiges Thema für die CDU. Wir müssen eine Antwort haben | |
| auf die Frage: Wie bekommen wir CO2-Neutralität hin, ohne unsere | |
| energieintensive Wirtschaft zu verlieren? Gleichzeitig wollen wir wegen des | |
| Krieges in der Ukraine und unserem geänderten Verhältnis zu Russland bei | |
| den Lieferketten resilienter werden. Deshalb dürfen wir uns bei den | |
| energieintensiven Produkten nicht abhängig machen von Ländern außerhalb | |
| Europas. Und außerdem verdienen unsere Kollegen in diesen Industrien gutes | |
| Geld. | |
| Und wie wollen Sie das lösen? Ist der Industriestrompreis eine Antwort? | |
| Nein. Wenn du mit der Kapitalseite redest, dann sagen die: Wir werden nicht | |
| Millionen investieren, weil es Subventionen gibt. Wenn der Energiepreis von | |
| Subventionen abhängt, gehen wir in Länder, wo es ohne Subventionen geht. | |
| Außerdem: Wer soll das Geld für die Subvention aufbringen? | |
| Was ist Ihre Lösung? | |
| Die habe ich auch nicht. In der Marktwirtschaft heißt das, dass der | |
| Energiebereich verbreitert werden musst. Zum Beispiel war das Abschalten | |
| der Kernkraft eine große Dummheit. | |
| Sie geben im September den Vorsitz der Christlich-Demokratischen | |
| Arbeitnehmerschaft, kurz CDA, nach fast 20 Jahren ab. In dieser Zeit hat | |
| der arbeitgebernahe Wirtschaftsflügel im Gegensatz zu ihrem Sozialflügel in | |
| der CDU deutlich an Einfluss gewonnen. Woran liegt das? | |
| Die Union hat sich über die Zeit schwer verändert. Als ich jung war, in den | |
| 70er-Jahren, war die Junge Union sehr sozial eingestellt. Das lag auch | |
| daran, dass viele Mitglieder aus der kirchlichen Jugendarbeit kamen. Nach | |
| der Wiedervereinigung hatten wir eine hohe Arbeitslosigkeit. Das hat eine | |
| ganze Generation in der CDU wirtschaftspolitisch sehr geprägt, die steht | |
| jetzt in der Mitte. Auch in der in der Bundestagsfraktion ist nur noch ein | |
| Viertel der Abgeordneten Mitglied der Arbeitnehmergruppe. Das sehe ich mit | |
| großer Sorge. | |
| Wie könnte die CDA wieder gestärkt werden? | |
| In einer Zeit, in der die Säkularisierung in der Bevölkerung sehr stark | |
| ist, ist es nicht einfach, für die christliche Soziallehre zu werben, deren | |
| Grundpfeiler Eigenverantwortung und Solidarität sind. | |
| Fühlen Sie sich manchmal isoliert in der CDU-Spitze? Da dominiert – | |
| zuvorderst mit [7][Friedrich Merz und Carsten Linnemann] – der | |
| Wirtschaftsflügel. | |
| Ach, das würde ich nicht sagen. Weil jemand aus dem Wirtschaftsflügel | |
| kommt, heißt das ja nicht, dass er kein Verständnis dafür hat, dass die CDU | |
| auch eine Arbeitnehmerpartei sein muss. Egal, wer die Partei führt: Jeder | |
| weiß, dass die CDU nur eine Kanzlerpartei ist, wenn sie Volkspartei | |
| bleibt. | |
| Als Volkspartei nimmt die CDU ja auch neue Strömungen in der Gesellschaft | |
| auf, etwa durch die Gründung der Klimaunion. | |
| Ich halte da nichts von. | |
| Warum nicht? | |
| Wir müssen nicht jedes politische Problem durch eine eigene Vereinigung | |
| beantworten. Das sind politische Sachfragen. Wie man zur Klimaneutralität | |
| unseres Landes kommt, darüber macht sich die CDU viele Gedanken und hat | |
| auch eine klare Beschlusslage. | |
| Aber keinen wirklichen Weg. | |
| Die Frage mit dem Klima sehe ich so: Die Generation der Nachkriegszeit hat | |
| mit Ludwig Erhardts Idee von der sozialen Marktwirtschaft Wohlstand für | |
| alle erreicht. Den Markt mit dem Sozialen zu verbinden, ist eine geniale | |
| Idee – und die Idee ist im Übrigen entstanden durch die christliche | |
| Soziallehre. Unsere Generation muss jetzt den Markt und das Soziale mit der | |
| Klimafrage verbinden. Ob der Weg, den wir eingeschlagen haben, | |
| funktioniert, das weiß man vielleicht in 20 Jahren. | |
| 20 Jul 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Soziale-Kaelte-der-CDU/!5973956 | |
| [2] /CDU-Rueckstoss-zum-Buergergeld/!5996235 | |
| [3] /Union-hetzt-gegen-das-Buergergeld/!5997357 | |
| [4] /Debatte-um-Buergergeld/!5996335 | |
| [5] /Ungerechtigkeit-bei-der-Rente/!5962220 | |
| [6] /Vorschlag-gegen-Fachkraeftemangel/!5957185 | |
| [7] /Neues-CDU-Grundsatzprogramm/!6005864 | |
| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
| Anja Krüger | |
| ## TAGS | |
| CDU | |
| Rente | |
| Sozialpolitik | |
| Bürgergeld | |
| wochentaz | |
| GNS | |
| Schwerpunkt Klimaproteste | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Javier Milei | |
| Italien | |
| Mindestlohn | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Klimaaktivist:innen vor Gericht: Harte Strafen verhängt | |
| Während in Deutschland Klimaaktivist:innen zu Geldstrafen verurteilt | |
| wurden, drohen ihnen in England Haftstrafen. Die Debatte spitzt sich zu. | |
| Soziale Folgen der Klimapolitik: „Wir planen für alle“ | |
| Haushalte mit niedrigen Einkommen bräuchten mehr finanzielle Hilfen für | |
| Klima-Maßnahmen, sagt Ines Verspohl vom neuen Institut für | |
| Klimasozialpolitik. | |
| Sozialpolitik in Argentinien: Auf dem Rücken der Bedürftigen | |
| Der libertäre Präsident Argentiniens organisiert das System der Armenhilfe | |
| neu und setzt auf umstrittene Partner. Darunter leiden die Bedürftigen. | |
| Nach Ende des Bürgergelds: Armes Italien | |
| In Neapel leiden die Menschen seit Ende des Bürgergelds an Zukunftssorgen | |
| und Hunger. Wie die Familie De Blasio im Quartieri Spagnoli. | |
| Millionen Beschäftigte mit Niedriglöhnen: Mindestlohn steigt – zu langsam | |
| SPD-Chefin Saskia Esken will die Mindestlohnkommission reformieren, um zu | |
| niedrige Festlegungen zu verhindern. Die Linke setzt auf eine | |
| EU-Richtlinie. |