# taz.de -- CDU-Ministerin über Bildungspolitik: „Beide Schularten stark mac… | |
> Auch Schleswig-Holstein kehrt zum neunjährigen Gymnasium zurück. | |
> CDU-Bildungsministerin Karin Prien erklärt, warum G8 ein Fehler war. | |
Bild: Ob nach acht oder neun Jahren – am Ende steht oft die Abiturprüfung | |
taz: Frau Prien, der Kieler Landtag hat den Weg für die Rückkehr der | |
Schulen von G8 zu G9 geebnet. Sie haben von einem „guten Tag für zukünftige | |
Gymnasiastinnen und Gymnasiasten gesprochen“. Warum? | |
Karin Prien: Es war ein guter Tag, weil die Schülerinnen und Schüler in | |
Schleswig-Holstein in Zukunft mehr Zeit für Persönlichkeitsentwicklung, für | |
die Vertiefung des Lernstoffes, aber auch für außerschulisches Engagement | |
und für Musik und Sport haben werden. Viele Schulen und Eltern haben die | |
acht Schuljahre bis zum Abitur als zu sehr mit Unterrichtszeit und | |
Lernstoff gefüllt empfunden. G8 war ein bildungspolitischer Fehler. Den | |
haben wir nun korrigiert. | |
Mit Ihrer Entscheidung liegen Sie ganz im Trend: Niedersachsen machte den | |
Anfang, dieses Jahr zogen Bayern und NRW nach, selbst der G8-Vorreiter | |
Saarland startet ein Volksbegehren für G9. Wie erklären Sie sich den Erfolg | |
eines Modells, das die Politik jahrelang als Wettbewerbsnachteil im Ausland | |
verkauft hat? | |
Die Rahmenbedingungen haben sich geändert. Deutschland ist nicht mehr der | |
kranke Mann Europas. Nach dem Pisa-Schock 2001 haben wir unter anderem | |
festgestellt, dass unsere Studienabsolventinnen und -absolventen im | |
internationalen Vergleich zu alt sind. G8 war eine Reaktion darauf. In der | |
Zwischenzeit wurde die Wehrpflicht ausgesetzt und mit der Bologna-Reform | |
die Studienzeiten verkürzt. Die vermeintliche Überalterung der deutschen | |
Hochschulabsolventen gibt es nicht mehr. Das alte G9 war im Übrigen ohne | |
Zweifel reformbedürftig. Dazu kommt, dass G8 kulturell nie in den | |
westdeutschen Bundesländern angekommen ist. | |
Wie meinen Sie das? | |
Ich nehme eine geringe Akzeptanz für die Lernzeitverkürzung am Gymnasium | |
wahr. Viele Eltern und Lehrkräfte haben G8 als nicht richtig empfunden, | |
weil sich darin die zunehmende Ökonomisierung in der Bildungslandschaft | |
beispielhaft abbildet. Bildung muss aber mehr sein als das Konfektionieren | |
von Kindern und Jugendlichen auf wirtschaftliche Verwertbarkeit. | |
Sie haben drei Kinder. Spielt Ihre Erfahrung als Mutter in Ihre | |
Entscheidung als Bildungsministerin rein? | |
Ja, das will ich gar nicht verhehlen. Mein ältester Sohn hat das Abitur mit | |
17 gemacht, ein zweiter Sohn ist jetzt in der Oberstufe. Zweimal in der | |
Woche ist er von acht Uhr morgens bis 21 Uhr abends an der Schule. Das | |
finde ich für einen 16-Jährigen einfach nicht angemessen. Ich würde meinen | |
Kindern, und auch den Schülern in Schleswig-Holstein wünschen, dass sie | |
mehr Zeit haben, sich auch außerhalb der Schule zu entwickeln. | |
Was sagt eigentlich Ihr Koalitionspartner, die Grünen, zu G9? Schließlich | |
schwächen Sie damit die Gemeinschaftsschulen. Und die sind ja ein | |
Lieblingsprojekt der Grünen. | |
Die Entscheidung für G9 darf die Gemeinschaftsschulen nicht schwächen. | |
Darüber sind sich die Koalitionspartner einig. Die beiden Schularten sollen | |
ihre Profile aber stärker herausstellen. Die Gymnasien haben eine gute | |
wissenschaftliche Expertise und bereiten ausschließlich auf das Abitur vor. | |
Die Gemeinschaftsschulen arbeiten auch daran und haben zudem hervorragende | |
pädagogische Konzepte für heterogene Schülerschaften. Mit G9 machen wir | |
beide Schularten stark. | |
Sie haben in Ihrem Bundesland 179 Gemeinschaftsschulen, aber nicht an jeder | |
kann man Abitur machen. Welche Rolle soll die Schulart künftig spielen? | |
Derzeit bietet nur rund ein Viertel der Gemeinschaftsschulen eine Oberstufe | |
an. Nach meiner Einschätzung wird es in den nächsten Jahren aber wenig | |
Spielraum für neue Oberstufen geben. Wir setzen auf die bestehenden | |
Kooperationen – etwa mit beruflichen Gymnasien. Dort machen in | |
Schleswig-Holstein rund ein Viertel der Oberstufenschüler Abitur. | |
Eine Gemeinschaftsschule, die kein Abitur anbieten kann, ist für Eltern | |
doch nicht so attraktiv. | |
Wir werden mit G9 auch wieder eine Schulartempfehlung am Ende der | |
Grundschule einführen. Darin erläutern wir Eltern auch die | |
Entwicklungsmöglichkeiten in allen Schularten. Wir wollen auch darauf | |
hinweisen, dass man manchem Kind unter Umständen auch keinen Gefallen tut, | |
wenn man es auf Teufel komm raus auf das Gymnasium schickt. | |
Das ist doch gerade der Kritikpunkt an dieser frühen Weichenstellung: | |
Akademiker bestehen häufig darauf, dass ihr Kind aufs Gymnasium darf. | |
Nichtakademiker und Migranten oft nicht. Verschärfen Sie mit G9 nicht die | |
soziale Bildungsungerechtigkeit? | |
Wir müssen uns auf die Arbeit an Kitas und Grundschulen konzentrieren, wo | |
die Weichen für die Bildungskarrieren gestellt werden – der alte | |
ideologische Streit der weiterführenden Schulen bringt uns nicht weiter. | |
Wir wollen die Schulartempfehlung auch dazu besser nutzen, Eltern aus | |
Nichtakademikerfamilien bei entsprechender Eignung ihrer Kinder verstärkt | |
das Gymnasium zu empfehlen. | |
Die Opposition kritisiert an Ihrem Gesetzesentwurf, dass Gymnasien nur mit | |
einer Dreiviertelmehrheit der Schulkonferenz an G8 festhalten könnten. | |
Besteht bei dieser hohen Hürde denn wirklich Wahlfreiheit? | |
Wir haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass wir eine politische | |
Leitentscheidung getroffen haben. Die Regel an den Gymnasien in | |
Schleswig-Holstein soll G9 sein, die Ausnahme G8. Mit dieser hohen Hürde | |
tragen wir dafür Sorge, dass gegen keine der Gruppen – Schüler, Eltern, | |
Lehrer – eine Entscheidung fallen kann. So muss G8 ein überzeugtes Votum | |
der Schulkonferenz sein. | |
Mit Hinblick auf die wahrscheinliche Jamaika-Koalition in Berlin: Was | |
könnte das für die Bildungspolitik in Deutschland heißen? | |
Eine Jamaika-Koalition im Bund könnte das Kooperationsverbot zwischen Bund | |
und Ländern lockern oder aufheben. Sie könnte die Finanzierung von Bildung | |
dadurch gerechter gestalten. Wir Jamaika-Koalitionäre in Kiel wünschen uns | |
auch eine höhere Vergleichbarkeit von Bildungsabschlüssen und | |
Bildungsgängen. Ich persönlich wünsche mir, dass der Bund im Bereich | |
Digitalisierung, Schulsanierung und Ganztagsbetreuung an der Grundschule | |
höhere finanzielle Beiträge leistet. Für mich wäre es dann aber auch | |
verständlich, wenn der Bund bei Bildungsthemen, in denen er stärker | |
finanziell hilft, auch stärker mitreden wollte. | |
Die Vergleichbarkeit von Abiturnoten – Stichwort NC – steht ja gerade beim | |
Verfassungsgericht auf dem Prüfstand. Für welche Option wären Sie: | |
Studienplatzvergabe reformieren oder Abiturprüfungen in den Ländern | |
vereinheitlichen? | |
Ich bin für beides. Ich würde mir aber wünschen, dass die Unis stärker als | |
bisher auch auf andere Dinge als die Abiturnoten achten würden. Die | |
Möglichkeiten dafür gibt es ja bereits. Sie müssen weiter ausgeschöpft | |
werden. Und bei der Vergleichbarkeit von Abiturnoten reicht es nicht aus, | |
sich aus einem gemeinsamen Aufgabenpool zu bedienen. Es gibt in den Ländern | |
noch zu große Unterschiede beim Zustandekommen der Abiturnoten. | |
27 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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