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# taz.de -- Interview mit Bildungsministerin Karin Prien (CDU): „Mehr Zeit wi…
> Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien hat einen Zeitplan zur
> Abschaffung des Turbo-Abiturs. Nicht jede gemeinschaftsschule braucht
> eine Oberstufe.
Bild: „Es ist nicht unser Ziel, die Gemeinschaftsschulen zu benachteiligen“…
taz: Frau Prien, jedes Gymnasium in Schleswig-Holstein soll im Januar
entscheiden: zurück zum neunjährigen Abitur oder weiter G8. Was raten Sie?
Karin Prien: Wir haben als Koalition entschieden, G9 flächendeckend und
regelhaft einzuführen. Aber Schulen, die das wollen, sollen einmalig
Gelegenheit haben zu entscheiden, ob sie bei G8 bleiben. Es ist nicht an
mir, Schulen konkret etwas zu empfehlen. Aber ein wichtiges Kriterium
sollte sein, wie gut das pädagogische Konzept für G8 ist.
Sie waren in Hamburg Schulpolitikerin und damals für G8?
Ja. Wir hatten in Hamburg 2013/2014 eine Volksinitiative. Das war ein
Zeitpunkt, wo in Hamburg die Stadtteilschulen, die in neun Jahren zum
Abitur führen, gerade erst in der Anfangsphase waren. Die Volksinitiative
wollte ein sogenanntes Ypsilonmodell (an den Schulen wäre dann sowohl G8
als auch G9 möglich) an allen Gymnasien. Das haben wir als Union abgelehnt.
Ich tue das noch heute. Die Situation in Schleswig-Holstein ist eine
andere. Nur ein Fünftel der Gemeinschaftsschulen hat hier überhaupt eine
Oberstufe. Das Zwei-Säulen-System ist schon deutlich stabiler im Blick auf
eine Umstellung zum G9.
Sie haben Kinder. Gab es auch privat ein Umdenken?
Natürlich hat mich die Erfahrung mit den eigenen Kindern zum Nachdenken
angeregt. Aber nicht nur die. Insgesamt hat mich die Frage, gehen wir zu
ökonomisch mit Bildungsbiografien um, sehr beschäftigt. Bei einer
Lebensarbeitszeit bis 67, vielleicht bald 70 Jahren, ist ein Jahr nicht so
bedeutend. Die Rahmenbedingungen haben sich im Vergleich zum Jahr 2000
deutlich verändert. Es gibt keine Wehrpflicht mehr. Die deutsche Wirtschaft
ist sehr beständig. Wenn Sie mich persönlich fragen: Ich habe einen Sohn,
der mit gerade 17 Abitur gemacht hat. Er hat es gepackt. Aber er hätte das
weitere Schuljahr unbedingt brauchen können. Ich bin sicher, dass es sehr
vielen Gymnasiasten richtig guttun würde, wenn sie mehr Zeit hätten für
Persönlichkeitsentwicklung, für ehrenamtliches, auch politisches
Engagement, für Lesen zum Beispiel. Einfach mal Dinge ausprobieren. Dafür
fehlt in der Schulzeit der Raum.
Die Wissenschaft legt Studien vor: G8 Schüler seien leistungsstark, hätten
Freizeit genug.
Die Studienlage ist da uneindeutig. In anderen Ländern funktioniert G8 ja
auch. Aber hier setzt es sich kulturell nicht durch. Das muss man
akzeptieren.
Wie sehen das die Schulen?
Nach den Gesprächen, die ich bisher führte, denke ich, dass sich die
allermeisten für G9 entscheiden.
Die SPD warnt, dass G9 Geld koste. Gymnasien müssten dann anbauen. Da
hätten die Kommunen als Schulträger mitzureden.
Natürlich werden wir mit den Kommunen sprechen, gleich nach den Ferien. Ob
G9 mehr kostet, hängt von vielen Faktoren ab. Man darf nicht vergessen,
dass noch bis 2016 Räume für neun Jahrgänge an den Gymnasien vorhanden sein
mussten. Wir werden uns den Einzelfall ansehen.
Es heißt, die Hürde für G8 sei zu hoch. 75 Prozent der Schulkonferenz
müssen dafür sein.
Uns war wichtig, dass nicht gegen eine Gruppe entschieden wird. So müssen
Eltern, Lehrer und Schüler gemeinsam entscheiden.
Diese Entscheidung soll bis Ende Januar fallen. Das ist viel zu knapp, sagt
die GEW.
Wir wurden aus den Reihen der Schulen dringend gebeten, den
Entscheidungsprozess kurz zu halten. Die Schulen müssen übrigens das Thema
gar nicht diskutieren. Wenn sie nichts machen, dann gibt es G9. Mir ist
wichtig, dass die Eltern zur Anmelderunde im Februar Bescheid wissen,
welches Gymnasium G8 oder G9 anbietet.
Eine Sorge ist, dass die Gemeinschaftsschulen leiden, weil die Gymnasien
mehr Zulauf erhalten. Ist das ein Thema zwischen Ihnen und den Grünen?
Wir haben uns in der Jamaika-Koalition verständigt, das Zwei-Säulen-System
zu stärken. Wir haben dann gemeinsam entschieden, wieder eine
Schulart-Empfehlung einzuführen, auch damit jetzt nicht alle Schüler
plötzlich zum Gymnasium gehen. Es ist ohnehin so, dass nicht alle
Gemeinschaftsschulen zum Abitur führen, sondern nur ein Fünftel.
Also nimmt nicht jede Gemeinschaftsschule auch Kinder, die Abitur
anstreben?
Es gibt solche und solche, wobei wir ja in Schleswig-Holstein auch noch die
starken beruflichen Gymnasien haben. Viele Schüler wechseln von der
Gemeinschaftsschule dort hin und machen Abitur. Mit der
Grundschulempfehlung wollen wir Eltern aufklären, welche Wege es zum Abitur
gibt. Es ist nicht unser Ziel, die Gemeinschaftsschule zu benachteiligen.
Sie hat ein anderes pädagogisches Konzept, das viele Eltern auch wollen.
Wir wollen beide Säulen stärken.
Die SPD hat im Wahlkampf gesagt, es muss mehr Oberstufen an
Gemeinschaftsschulen geben. Ist das auch ihr Ziel?
Wir haben uns in der Koalition verständigt, weiter nach Schulgesetz zu
prüfen, wenn Schulen eine Oberstufe wollen. Wir denken aber, im Augenblick
bestehen keine weiteren Bedarfe.
Es soll eine Schule geben, die das gerade beantragt hat.
Es gibt einen Antrag, den mir meine Vorgängerin hinterließ. Wir prüfen das
nach den Kriterien des Schulgesetzes. Da ist auch die Frage, wie die
Versorgung mit Oberstufen im Umfeld ist.
Ändern Sie die Kriterien?
Die gesetzlichen Kriterien ändern wir nicht. Wenn Sie fragen, ob wir das
Ziel haben, langfristig an jeder Gemeinschaftsschule eine Oberstufe zu
haben, sage ich ganz klar: Nein.
In Hamburg ist das so.
Dort entschied man sich für eine solche Struktur. Hier gibt es eine andere.
Ganz klar muss sein, dass jedes Kind, dass von der Gemeinschaftsschule
kommt und die Leistungen zeigt, Anschluss an eine Oberstufe findet.
Die SPD sagt, in Regionen, wo Oberstufen fehlen, machen weniger Schüler
Abitur. Das kann doch nicht vom Angebot abhängen?
Nein. Aber ich habe auch nicht das Verständnis, dass jedes Kind Abitur
machen muss.
Laut Koalitionsvertrag soll die Oberstufe wieder mehr Wahlmöglichkeit
haben. Eine Abkehr von der Profiloberstufe?
Das schauen wir uns an. Ja.
In der Grundschule soll es wieder Noten geben?
Es soll wieder der Regelfall werden, dass es Noten mit einem einfachen
Kompetenzraster gibt. Entscheiden sich Schulen bewusst dagegen, können sie
es wie bisher machen. Wir nehmen ihnen nicht die Freiheit, ihr Konzept
umzusetzen.
Grüne, CDU, FDP, welche Farbe hat sich da durchgesetzt?
Wir haben über 60 Stunden intensiv diskutiert. Das war hilfreich. Jeder hat
sich bemüht, die Argumente des anderen zu begreifen und jeder hat
nachgegeben. Die FDP hätte gern Abschlussklassen an Gemeinschaftsschulen
gehabt. Bei den Grünen war das ein No-Go. Für die CDU war G9 ein wichtiger
Punkt. Bei der FDP war die Förderung von Privatschulen ein großes Thema.
CDU und Grünen war es wichtig, Schulen in besonderen Problemlagen mit mehr
Ressourcen auszustatten. Diese Punkte finden sich im Koalitionsvertrag.
Es gab keinen Knackpunkt?
Nein. Ich glaube auch, dass die Zeit der großen bildungspolitischen
Grabenkämpfe vorbei ist.
30 Jul 2017
## AUTOREN
Kaija Kutter
## TAGS
Jamaika-Koalition
Schule
Gemeinschaftsschule
Turbo-Abi
Jamaika-Koalition
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
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