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# taz.de -- Debatte Schulpolitik: Üben, üben, üben
> G8, G9, verschmutzte Toiletten. Erregt wird über die Schulpolitik
> debattiert, aber das Wesentliche gerät aus dem Blick: die
> Unterrichtsqualität.
Bild: Wer nicht ausreichend lesen, schreiben und rechnen kann, wird ausgegrenzt
Bildung darf nichts kosten. Außer etwas Anstrengung.“ Mit diesem Spruch auf
Großflächenplakaten macht derzeit die SPD im Bundestagswahlkampf auf sich
aufmerksam. Zwar ist es richtig, dass das Lernen an staatlichen
Bildungseinrichtungen vom Kindergarten bis zur Hochschule umsonst sein
sollte.
Dennoch bringt das Plakat – unfreiwillig – die vielerorts zu konstatierende
Misere der Schulbildung in Deutschland, die in internationalen Vergleichen
nur mittelmäßig abschneidet, auf den Punkt: „etwas Anstrengung“. Das ist …
also, was die Bundes-SPD und viele andere den Akteuren der Bildung zumuten
will. Das ist falsch: Gute Bildung braucht nicht etwas Anstrengung, sondern
viel Anstrengung. Und zwar von Ministerien, Schulleitern, Lehrern, Eltern
und Schülern.
Aber das Thema genießt längst nicht die höchste Priorität; beim
TV-Kanzlerduell spielte Bildung keine Rolle. Dabei begann in dieser Woche
in einigen Bundesländern das neue Schuljahr, und in der nächsten Woche
folgen Baden-Württemberg und Bayern. Dass der Erfahrungsschatz des
Volksmundes, mit dem Generationen von Schülern in Ost und West aufwuchsen,
überall an den Schulen Beachtung findet – davon kann man leider nicht
ausgehen. „Ohne Fleiß kein Preis“, „Übung macht den Meister“ oder „…
lernen, nochmals lernen“ – Lehrer und Eltern, die so reden, gelten schnell
als spießig.
## Ohne Fleiß kein Preis
Dabei weiß jeder, der je ein Musikinstrument oder eine Sportart gelernt
hat, dass man ohne fleißiges Üben, ohne regelmäßiges Wiederholen und ohne
ein An-die-Grenze-gehen nicht vorankommt – selbst bei Talent. In den
Schulen aber wird oft so getan, als könnten die Kulturtechniken des Lesens,
des Schreibens und des Rechnens quasi von selbst erlernt werden. Beredtes
Beispiel dafür ist die ungeeignete Schreiben-nach-hören-Methode, die in
einigen Bundesländern angewandt wird und die dazu führt, dass insbesondere
Kinder aus bildungsfernen Familien mit der Orthografie dauerhaft auf
Kriegsfuß stehen.
Aber selbst wenn der Wille da wäre, mit guten pädagogischen Konzepten
konzentriert zu lernen, würde es im Schulalltag oft erschwert, ihn
umzusetzen. Allein die Stundentafel für die Hauptfächer Deutsch und
Mathematik reicht nicht, den Stoff fundiert zu vermitteln und zu festigen:
durch üben, üben, üben. Dabei gäbe es Möglichkeiten, zur Stärkung der
Basisqualifikation umzuschichten. Ein Beispiel: Zwei Wochenstunden Englisch
in Klasse eins und zwei, in denen die Kinder ohnehin so gut wie nichts
lernen, sind Zeitverschwendung. Hinzu kommen Unterrichtsausfälle,
fachfremde Lehrkräfte, überfüllte Klassen, Schwänzerei, mangelnde Disziplin
und mitunter Motivationsprobleme bei Schülern, Eltern und Lehrern.
## Erschreckende Lernleistungen
All dies führt, so zeigen es die Bildungsstudien, zu oft erschreckenden
Lernleistungen. Zum Beispiel erfüllten im Schuljahr 2015/16 knapp 70
Prozent der Berliner Achtklässler an Gemeinschafts- oder Sekundarschulen
nicht die Mindestanforderungen in Mathematik; Schüler und Schülerinnen mit
Migrationshintergrund schnitten noch schlechter ab.
Auch in Deutsch und Englisch waren die Leistungen der SchülerInnen mies.
Selbst wenn die Betroffenen bis zum Abschluss in der zehnten Klasse noch
das Allernötigste lernen, so ist es nicht hinnehmbar, dass sie aus den
ersten acht Schuljahren so wenig mitnehmen.
Mangelndes Basiswissen betrifft aber nicht nur diejenigen, die gern als
bildungsfern abgestempelt werden. Selbst Akademiker freuen sich, dass ihnen
bei einfachen Aufgaben ein Onlineprozentrechner hilft, ohne dass sie den
Unterschied zwischen Prozenten und Prozentpunkten wirklich verstehen;
selbst Studierende verfahren sich trotz Atlas, wenn das Navigationsgerät
ausfällt; und selbst Umweltjournalisten verwechseln Wasserdampf mit Qualm.
Man mag darüber streiten, welche Allgemeinbildung notwendig ist. Aber nicht
streitbar ist: Wer nicht ausreichend lesen, schreiben und rechnen kann,
wird ausgegrenzt. Er wird kaum eine gute Arbeit finden; er wird bei
Verträgen aller Art leicht über den Tisch gezogen; und er wird es schwer
haben, sich politisch zu engagieren, außer, er geht Extremisten auf den
Leim.
Insofern sind schlechte Schulen schlecht für alle: für die betroffenen
Schüler und ihre Eltern, aber auch für Arbeitgeber und die Gesellschaft als
Ganzes. Wer über Schulqualität nicht reden will, sollte von Gerechtigkeit
und Integration schweigen. Die Steuerzahler dürfen erwarten, dass ihr Geld
sinnvoll eingesetzt wird – und möglichst umfassend gebildete, demokratisch
erzogene Schulabgänger die Schulen verlassen.
## Klare Vorgaben nötig
Damit dies gelingt, muss der Staat den Schulen endlich stärkere
Leistungsvorgaben machen und durchsetzen: kein wolkiges Kompetenz-Blabla,
sondern klar definierte Lerninhalte, die die Schüler zu bestimmten
Zeitpunkten können sollen, überprüft durch zentrale Klassenarbeiten. So
lässt sich evaluieren, in welchen Schulen und Klassen gut gelernt wird und
wo noch Nachholbedarf besteht. Selbstverständlich muss die soziale
Zusammensetzung der Schüler Berücksichtigung finden, aber Lernfortschritte
lassen sich auch zwischen Brennpunktschulen vergleichen. Zu DDR-Zeiten hieß
es: Schülerleistung ist Lehrerleistung. Da ist etwas dran, auch wenn der
Einfluss des Elternhauses und des Umfeldes der Schüler selbstverständlich
eine Rolle für den Lernerfolg spielt. Dies zeigt etwa die beeindruckende
Abiturquote von Jugendlichen mit vietnamesischem Hintergrund in
Deutschland.
Erfreulich stimmt, dass parteiübergreifend einige Bundesländer in der
Bildungspolitik bereits umsteuern, um die Unterrichtsqualität zu erhöhen:
weg von der Überbewertung des Mündlichen und von Präsentationen, die
ohnehin meist von den Eltern vorbereitet werden, und hin zu überprüfbaren
Leistungen der Schülerschaft. So haben Schleswig-Holstein und Hamburg in
den vergangenen Jahren unter SPD-Führung aufgeholt, und die grün-schwarze
Landesregierung in Baden-Württemberg reißt jetzt das Ruder herum, nachdem
das Ländle zuletzt abgefallen war.
10 Sep 2017
## AUTOREN
Richard Rother
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