# taz.de -- Schulpolitik in Baden-Württemberg: Kretschmann offen für neues G9 | |
> Baden-Württemberg beugt sich dem Votum eines Bürgerrats und einer | |
> erfolgreichen Volksinitiative. Doch es braucht Zeit für mehr | |
> Lehrpersonal. | |
Bild: Offen für G9: der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kr… | |
KARLSRUHE taz | Als letztes westdeutsches Flächenland prüft nun auch | |
Baden-Württemberg eine [1][Rückkehr zu G9], dem Abitur nach neun Jahren an | |
Gymnasien. Das erklärte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nach | |
einer Kabinettssitzung am Dienstag: „Wir sind offen für ein neues G9.“ Es | |
werde nun ein neues Modell erarbeitet. Klar sei aber auch, dass die | |
Priorität in der Schulpolitik in seinem Land in dieser Legislatur bei der | |
Stärkung der Grundschulen und der frühkindlichen Bildung liege. | |
Kretschmann, der selbst als Anhänger von G8 gilt, reagiert damit auf den | |
per Volksantrag und Bürgerforum geäußerten Bürgerwillen. Nach einem im | |
Herbst erfolgreichen Volksantrag einer Elterninitiative mit über 100.000 | |
Unterschriften, der nach der Landesverfassung zur Folge hat, dass das Thema | |
im Landtag debattiert werden muss, hat sich nun auch ein von der | |
Landesregierung selbst eingesetzter Bürgerrat für ein neunjähriges | |
Gymnasium ausgesprochen. | |
Dabei fordert das Gremium ein reformiertes neunjähriges Gymnasium als | |
Regelfall und pro Landkreis mindestens einen „G8-Schnellläufer-Zug“ für | |
besonders Begabte. Die Landesregierung hatte im Rahmen von Kretschmanns | |
selbsterklärtem Markenzeichen – der „Politik des Gehörtwerdens“ – ein | |
Gremium aus 55 zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern beauftragt, | |
ein Votum zu der Frage zu erarbeiten, ob das Abitur künftig in acht oder | |
neun Jahren erreicht werden soll. | |
Das Bürgerforum hat sich seit September in zwei Sitzungen und vier | |
digitalen Anhörungen mit der Reform des Gymnasiums beschäftigt und dabei 17 | |
Experten gehört sowie 13 betroffene Lehrer, Schüler und Eltern befragt. Das | |
Gremium sprach sich in einer ersten Kurzfassung des Abschlussberichts mit | |
überwältigender Mehrheit für [2][eine längere Gymnasialzeit] aus, aber auch | |
für eine tiefgreifende Reform, die Schülerinnen und Schülern aller | |
Schularten mehr Raum für kreatives und gleichberechtigtes Lernen gibt. | |
## Reform soll schrittweise kommen | |
Die Reform des Gymnasiums soll demnach schrittweise erfolgen, um Zeit für | |
den Aufbau von Lehrpersonal zu haben. Auch soll zuvor die Auswirkung auf | |
andere Schularten geprüft werden – etwa die ab 2011 neu eingeführte | |
Gemeinschaftsschule. Einen ersten Impuls für G9 hatten zuvor zwei Mütter | |
mit ihrer Initiative zum Volksantrag gesetzt, der mit 106.000 | |
Unterschriften dreimal mehr erhielt als nötig waren. Angesichts dessen | |
scheint auch der Erfolg eines Bürgerentscheids nicht ausgeschlossen, für | |
den allerdings höhere Hürden gelten. | |
Kretschmann sagte, man werde sich jetzt auch mit den Initiatoren des | |
Volksantrags zusammensetzen, um ihre Wünsche mit denen des Bürgerentscheids | |
abzugleichen. Im Landtag gäbe es für die Rückkehr zu G9 längst eine | |
Mehrheit. Selbst die CDU, die G8 eingeführt hatte, hat sich inzwischen | |
dafür ausgesprochen. FDP und SPD sind ohnehin dafür. Nur die Grünen zögern | |
bisher noch, weil es das endgültige Aus für den gymnasialen Zug an | |
Gemeinschaftsschulen bedeuten könnte, der ohnehin nur selten genug Zulauf | |
hat. | |
Ministerpräsident Kretschmann wie auch die grüne Kultusministerin Theresa | |
Schopper gelten vor allem aus Kostengründen und wegen fehlender Lehrkräfte | |
als Gegner eines neunjährigen Gymnasiums. Sie hatten immer wieder darauf | |
hingewiesen, dass es keine belastbaren Studien gebe, die eine Rückkehr | |
rechtfertigen. Das Kultusministerium rechnet [3][bei der Rückkehr zu G9] | |
mit einem Bedarf von bis zu 1.329 zusätzlichen Lehrerstellen sowie | |
Mehrkosten von rund 112 Millionen Euro. | |
Tatsächlich ist es bislang in Baden-Württemberg nicht nur an einzelnen | |
extra ausgewiesenen G9-Gymnasien möglich, das Abitur nach 13 Jahren | |
abzulegen. Auch alle beruflichen Gymnasien führen Realschüler mit einer | |
dreijährigen Oberstufe zum Abitur. Die Regierung werde den Volkswillen | |
berücksichtigen. Es sei „nicht möglich, auf Dauer gegen den Willen der | |
Mehrheit zu regieren“, erklärte Kretschmann. Eine Prognose, ob G9 bis zum | |
Ende seiner Amtszeit wieder eingeführt werde, wollte er aber nicht wagen. | |
12 Dec 2023 | |
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## AUTOREN | |
Benno Stieber | |
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