# taz.de -- Bürgerschaftswahlen in Hamburg: Danke, Hamburg! | |
> Hamburg zeigt supersympathisch, was wahre Bürgerschaft heißt. Deutschland | |
> sollte sich daran ein Beispiel nehmen. | |
Bild: Wahlsieger: Der Hamburger Vorsitzende der Grünen-Fraktion Anjes Tjarks f… | |
Bürgerschaft, das klingt ein wenig satt und zufrieden, nach Alster und | |
Michel, denn so heißt in Hamburg das Parlament. Was aber wahre Bürgerschaft | |
heißt, das hat sich am Sonntag gezeigt: Die Bürgerinnen und Bürger dieser | |
Stadt, sie holen sich ihre Politik zurück. | |
Ja, das [1][Hamburger Ergebnis] sagt erst mal nur etwas über Hamburg – aber | |
was es sagt, daran sollte sich Deutschland verdammt noch mal ein Beispiel | |
nehmen. In dieser Stadt haben die Menschen am Sonntag dokumentiert, dass | |
sie ihre Demokratie stabil halten wollen. Dass sie zugleich endlich mit der | |
Zukunft anfangen möchten, zuvorderst mit Umwelt- und Klimaschutz, denn | |
ausweislich der Wahlnachfragen am Sonntag ist dies das wichtigste Thema, | |
mit Abstand. | |
Eine Partei des Retro, die Ressentiment und Rassismus versprüht, holpert in | |
diesem Hamburg [2][nur gerade mal so ins Parlament]. Die AfD am Limit. | |
Danke, Hamburg! | |
In Hamburg war anderes wichtig. Wie viele Autos wollen wir im Stadtzentrum? | |
Wie oft kommt der Bus? Was kostet er? Setzen wir im Kampf gegen die | |
Klimakrise nur auf technische Erfindungen – oder müssen wir unser Leben | |
ändern? Geht das Kohlekraftwerk Moorburg früher vom Netz? Was tun gegen die | |
Wohnungsnot? | |
## Nicht der Jurassic-Park | |
Nein, in Hamburg ging es nicht um die Krisen im Jurassic-Park von Berlin, | |
jenem Abenteuer-Horror, bei dem man nie genau weiß, wann die Echsen | |
umkippen und auf wen sie draufplumpsen. Die neuen Vorsitzenden der SPD | |
wurden vorsorglich gar nicht eingeladen. Und der CDU in den | |
aufgescheuchtesten Wochen ihrer Leidensgeschichte mag ja auch lieber | |
niemand zu nahe kommen. All das schien weit weg, als läge Hamburg nicht an | |
der Elbe, sondern irgendwo oben am Skagerrak. Die Hamburger diskutierten | |
über ihren Alltag und ihre Zukunft. Super sympathisch, diese Stadt. | |
Und ja, diese Bürgerinnen und Bürger haben etwas hinbekommen, nicht nur | |
weil sie die Wahlbeteiligung im Vergleich zum letzten Mal gesteigert haben. | |
Sondern eben auch weil die AfD nur mickrige 5,3 Prozent schafft. Eine | |
Partei, die in etlichen Wahlkämpfen den anderen ihre Sprüche aufgezwungen | |
hat, war diesmal bloß am Schluss mit einer Frage präsent: ob sie überhaupt | |
wieder reinkommt ins Parlament. Und das in einer Stadt, in der die | |
rechtspopulistische Schill-Partei einst mit 19 Prozent in eine Regierung | |
einzog. Aber vielleicht haben genau jene Jahre Hamburg einigermaßen | |
immunisiert. | |
Diese Bürgerschaft ist nicht bürgerlich im Sinne des Bourgeois, was man in | |
Hamburg wahrscheinlich mit dunkelblauen Goldknopfzweireiern oder grünen | |
Wachsjacken verbindet und mit Pfeffersack übersetzt. Und erst recht bildet | |
sich hier nicht jene „bürgerliche Koalition“, mit der sich die AfD zu | |
maskieren versuchte. In Hamburg wirken Bürger als Citoyens, sie tragen das | |
Gemeinwesen, stellen es über ihre Interessen, und ja: Dazu zählt auch eine | |
Protestkultur, die nicht erst seit G20 hart für Bürgerrechte streitet. | |
Das ganze Setting ist umso eindrucksvoller, je mehr Deutschlands klassische | |
bürgerliche Partei verfällt, die CDU. In Hamburg, wo es ihr sowieso selten | |
gut ging, schaffte sie jetzt den Totalausfall. SPD und Grüne veranstalteten | |
mit Peter Tschentscher und Katharina Fegebank einfach frech ihr eigenes | |
Rennen. | |
## Sozial-ökologische Spektrum wächst | |
[3][Der strategische Erfolg der Grünen] besteht auch darin, dass es ihrer | |
Anhängerschaft mittlerweile völlig wurscht ist, dass die Partei im Bund auf | |
eine Koalition mit der Union hinarbeitet, im Land aber Rot-Grün propagiert. | |
Die Grünen nehmen trotzdem der Linkspartei Stimmen weg – als praktisch | |
einzige Konkurrenz überhaupt. | |
Linke quer durch die Parteien heben nach Wahlen gern den Zeigefinger. Sie | |
sagen dann mit gutem Grusel: Strukturell sind die Parteien rechts im | |
Spektrum gefährlich stark, zwischen SPD, Grünen und Linkspartei wurden aber | |
wieder mal nur Stimmen umverteilt. | |
Nun, in Hamburg kommen die drei zusammen auf 72,3 Prozent. Das liegt daran, | |
dass sie mehr und mehr ausgreifen. Die Linkspartei profiliert sich mit | |
Sozialthemen, hat zudem Erfolg bei Unter-25-Jährigen. Die SPD lässt der CDU | |
wenig Raum, ist Honoratiorenpartei, Rentnerpartei und Polizeipartei. Die | |
Grünen sind das Original in der Klimafrage. Kein linkes Lager ist das, | |
sondern ein breites, links-liberal-sozial-ökologisches Spektrum voll | |
Citoyens, die was wollen. | |
Und dafür steht Hamburg eben schon: Die Bürgerschaft, die diese Republik | |
trägt, sie wandert nach links. | |
24 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://wahl.tagesschau.de/wahlen/2020-02-23-LT-DE-HH/index.shtml | |
[2] /Hamburg-hat-gewaehlt/!5665569 | |
[3] /Buergerschaftswahlen-in-Hamburg/!5664989 | |
## AUTOREN | |
Georg Löwisch | |
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