| # taz.de -- Bürgerschaftswahl in Hamburg: Plötzlich Rivalen | |
| > Am 23. Februar hat Hamburg die Wahl: Entweder bleibt ein Mann von der SPD | |
| > Bürgermeister – oder eine Frau von den Grünen löst ihn ab. | |
| Bild: Spitzenkandidatin der Hamburger Grünen: Katharina Fegebank | |
| Eine Handvoll Stofftaschenträger kommt aus dem U-Bahnhof | |
| Hamburg-Alsterdorf. Auf der Rückseite der Taschen ist eine Sonnenblume | |
| gedruckt, auf der Vorderseite steht „Team Fegebank“. Eine schwarze | |
| Limousine mit den Initialen „KF“ im Kennzeichen fährt vor und Katharina | |
| Fegebank, Hamburgs Zweite Bürgermeisterin und grüne Spitzenkandidatin für | |
| die Bürgerschaftswahl am 23. Februar, steigt aus. Sie lächelt in die Runde | |
| und los geht's – Haustürwahlkampf. | |
| Ein paar Schritte vom Bahnhof entfernt fangen die gepflegten Wohnblocks an, | |
| Klinker, drei bis vier Geschosse, Gegensprechanlagen mit Kameras. Die | |
| Gegend hat einen hohen Potenzial-Score. Das hat eine Statistik-Firma für | |
| die Grünen ausgerechnet, aus Wahllokal-Ergebnissen vergangener Jahre. | |
| Potenzial-Score bedeutet, dass viele Leute schon mal die Grünen gewählt | |
| haben und dass es viele Wechselwähler gibt. | |
| „So'n Winterwahlkampf ist nicht immer vergnügungssteuerpflichtig“, sagt | |
| Katharina Fegebank. Die Grünen machen in diesem Jahr so viel | |
| Haustürwahlkampf wie noch nie. Statistiker sagen, dass man mit zehn | |
| Kontakten eine Wählerstimme gewinnen kann, gegenüber eins zu hundert am | |
| Stand in der Fußgängerzone. Dafür kann man schon mal ein paar Treppen | |
| steigen. | |
| Fegebank nimmt lieber den Aufzug. „Meine Schuhe sind für so was nicht | |
| geeignet“, sagt sie und weist auf ihre weinroten Highheels. Sie drückt den | |
| Klingelknopf. Die Tür öffnet sich einen Spalt. Laminat, Spiegelkommode. | |
| „Guten Tag, darf ich Ihnen Informationen zur Bürgerschaftswahl geben?“, | |
| fragt sie. Die meisten Leute sind perplex, nehmen die Flyer dankend an, | |
| auch wenn sie die Frau mit der Wollmütze nicht erkannt haben. „Viele | |
| realisieren erst später, dass die Spitzenkandidatin bei ihnen war“, sagt | |
| Fegebank. Macht nichts. „Wir setzen darauf, dass das gute Wort sich | |
| verbreitet.“ | |
| Peter Tschentscher ist keiner der auffällt. Auf dem Wochenmarkt vor dem | |
| Billstedt-Center aus den 70er Jahren laufen die meisten Leute vorbei, ohne | |
| den schlanken Mann zu bemerken. „Guten Tag, ich bin Ihr Bürgermeister“, | |
| sagt der SPD-Kandidat und versucht, die Leute in ein Gespräch zu | |
| verwickeln. | |
| 90 Prozent Migranten in den Schulklassen seien ein bisschen viel, klagt ein | |
| Marktbeschicker mit Schürze. Im Einkaufszentrum komme man sich vor wie in | |
| Klein-Istanbul, ärgert sich eine Frau mit Rollator. Tschentscher antwortet | |
| vage was mit Vielfalt und spricht über die geplanten Bauarbeiten auf der | |
| Marktfläche, die die Existenz der Kaufleute bedrohen, und dass die SPD die | |
| öffentliche Kantine nebenan erhalten hat. | |
| Früher war es mal die CDU, die der SPD in Hamburg einen | |
| Bürgermeisterkandidaten entgegen stellte. Heute sind es die Grünen, von | |
| denen es zumindest ein paar Wochen lang so schien, als könnten sie dem | |
| Amtsinhaber gefährlich werden. Was für die SPD ein weiteres Debakel wäre, | |
| wäre für die Grünen ein Meilenstein auf dem Weg in die Mitte. | |
| Inhaltlich tun sich die Koalitionäre nach Jahren einträchtigen Regierens | |
| schwer, wirkliche Differenzen herauszuarbeiten. Oft geht es darum, wer die | |
| Urheberschaft politischer Ideen für sich reklamieren kann. Umso wichtiger | |
| ist deshalb in diesem Wahlkampf das Personal. Das könnte unterschiedlicher | |
| nicht sein: Hier die quirlige, junge Frau von den Grünen, dort der kühle, | |
| ältere Mann von der SPD. | |
| Dass Tschentscher 2018 Nachfolger von Olaf Scholz im Amt des Ersten | |
| Bürgermeisters wurde, war eine Überraschung. Viele Beobachter bezweifelten, | |
| dass es Tschentscher gelingen würde, das Amt auszufüllen. Er habe die | |
| „Ausstrahlung eines Ärmelschoners“, sei „Antimaterie der Fotografie“ | |
| spottete die taz. | |
| Ihm wurde vorgeworfen, eine Kopie seines Vorgängers zu sein, keine eigene | |
| Botschaft zu haben. Ob sich Hamburg unter Tschentscher weiterhin so gut | |
| entwickeln werde wie unter Scholz sei „jedenfalls höchst ungewiss“, unkte | |
| die Welt. Ein Vierteljahr nach Amtsübernahme lief Tschentscher beim | |
| Sommerfest der Hamburgischen Bürgerschaft verloren über den Hof des | |
| Rathauses. | |
| All das hat sich geändert. Das befürchtete Chaos bei der SPD ist | |
| ausgeblieben. Hatte CDU-Fraktionschef André Trepoll den Bürgermeister zu | |
| Beginn seiner Amtszeit noch als leicht zu erledigenden „Lieblingsgegner“ | |
| bezeichnet, fährt die CDU inzwischen schlechtere Werte ein als je zuvor. 66 | |
| Prozent der Hamburger sind nach der jüngsten Infratest-Dimap-Umfrage mit | |
| Tschentschers Arbeit zufrieden. | |
| Fegebank kann man praktisch nicht nicht kennen. Ihr Gesicht ist in der | |
| ganzen Stadt plakatiert, ein Lächeln andeutend vor einem gediegenen | |
| Dunkelgrün, mit sehr einfachen Botschaften: „Für Frauen mit Power“, „F�… | |
| Mieten ohne Wahnsinn“ – oder, noch einfacher: „Für Hamburg“. Keine and… | |
| Partei setzt so entschieden auf ihre Spitzenkandidatin wie die Grünen, seit | |
| Umfragen ihnen die Chance prognostizierten, bei der Bürgerschaftswahl ihren | |
| Koalitionspartner SPD zu überholen. Fegebank könnte die erste Frau im Amt | |
| des Hamburger Bürgermeisters werden. | |
| „Die Zeit ist jetzt“ heißt deshalb der Slogan von Fegebanks Kampagne; für | |
| die erste Frau, für die erste Grüne. | |
| Fegebank, heute 42 Jahre alt, wurde als 31-Jährige die jüngste Parteichefin | |
| in der Geschichte der Hamburger Grünen. Es waren stürmische Zeiten. | |
| Fegebank musste 2008 den Eintritt in die erste schwarz-grüne Koalition | |
| moderieren. Die Grünen stimmten dem Bau der Kohlekraftwerks Moorburg zu, | |
| die Pläne für eine sechsjährige Primarschule scheiterten in einer | |
| Volksabstimmung und der liberale CDU-Bürgermeister Ole von Beust warf hin. | |
| Sein Nachfolger Christoph Ahlhaus vom rechten Flügel war für viele | |
| Grünen-Sympathisanten nicht tragbar. Fegebank bekam das zu spüren. | |
| Zwei Monate später ließen die Grünen die Koalition platzen. Die SPD holte | |
| die absolute Mehrheit, erst vier Jahre später brauchte Olaf Scholz die | |
| Grünen. Es gehe nicht um einen „grünen Umbau, sondern um einen grünen | |
| Anbau“, sagte Scholz damals. Dass er das nie wiederholen dürfe, bleute ihm | |
| die damalige Verhandlungsführerin Fegebank ein. Er hielt sich daran. | |
| Fegebank wird Wissenschaftssenatorin und Zweite Bürgermeisterin. Die | |
| Zusammenarbeit mit ihrem selbstbewussten Partner ist so geräuschlos, dass | |
| man vergessen könnte, dass es eine Koalition ist. | |
| Selbst vor dem G20-Gipfel entgegnen die Grünen Scholz nichts, als er | |
| behauptet, das Treffen werde auch nicht viel anders als das alljährliche | |
| Volksfest Hamburger Hafengeburtstag. „Wir haben zu spät erkannt, dass der | |
| Gipfel hier nicht hätte stattfinden dürfen“, sagt Fegebank heute. „Das | |
| ärgert mich, weil ich sonst eigentlich ein gutes Bauchgefühl, einen guten | |
| Kompass für Stimmungen und Situationen habe.“ | |
| Ein Mitglied des engsten Führungszirkels der Hamburger Grünen bestätigt: | |
| „Katharina hört sehr stark in die Partei hinein, hat einen klaren Kompass | |
| und entscheidet oft aus dem Bauch heraus.“ Und: „Das ist nicht immer streng | |
| argumentativ hergeleitet. Aber dafür sind dann ja auch noch andere da, das | |
| passt schon.“ | |
| Fegebank, die Instinktpolitikerin. Im Wahlkampf eckte die Politologin mit | |
| der Forderung aus dem Grünen-Programm an, Vermummung auf Demonstrationen | |
| künftig nur als Ordnungswidrigkeit zu ahnden, nicht als Straftat. „Das | |
| wurde nicht verstanden, sondern hat ganz große Sorge vor allem bei | |
| Bürgerinnen und Bürgern ausgelöst“, sagt sie. „Das Thema hat in vielen | |
| Runden die für mich relevanten Zukunftsfragen überlagert: wie wir schon bis | |
| 2035 statt bis 2050 Klimaneutral werden, wie die Mobilitätswende gelingt, | |
| wie wir das Thema ‚Klare Kante gegen Rechts‘ noch stärker in der Stadt | |
| verankern können.“ Nach ein paar Wochen hatte sie genug und kassierte die | |
| Vermummungs-Forderung ein. In der Partei waren nicht alle amüsiert. Aber | |
| sie hielten still. Sie wissen: Fegebank ist das Zugpferd. | |
| Tschentscher hat sich systematisch bekannt gemacht. Er ließ kaum einen | |
| Fototermin aus. Von seinem Vorgänger Scholz übernahm er die Tradition der | |
| Stadtteilgespräche. Zweimal in anderthalb Jahren habe er die Tour durch | |
| alle Wahlkreise gemacht, sagt er – und im Wahlkampf gibt er sich das noch | |
| einmal. | |
| In einem gläsernen Kirchenanbau in Eimsbüttel zeigt er einen Imagefilm und | |
| spricht dann eine halbe Stunde darüber, wohin er die Stadt führen will. Er | |
| gestikuliert sparsam, die Hände immer im Bereich des Rumpfs, so wie es | |
| Kommunikationstrainer empfehlen. Will er etwas betonen, ballt er die | |
| Fäuste. Einen Spickzettel braucht er nicht. | |
| Während des Vortrages sammeln die Wahlkreiskandidaten Fragen aus dem | |
| Publikum, aber Tschentscher stellt sich am Ende der Veranstaltung auch dem | |
| ungefilterten Kontakt. Ein paar Leute kommen an seinen Stehtisch, um sich | |
| für die Zukunft eines Künstlerhofs einzusetzen. Ein Funktionär des | |
| Taxi-Verbandes beklagt sich über die Konkurrenz, die elektrischen | |
| Sammeltaxen des VW-Konzerns. | |
| Tschentscher biedert sich nicht an, verspricht nichts, verteidigt aber die | |
| Sammeltaxen, die zum Konzept seines „Fünf-Minuten-Takts“ gehören: In 10 | |
| Jahren sollen 85 Prozent der Hamburger von zu Hause aus in 5 Minuten einen | |
| Bus oder eine Bahn erreichen. | |
| Tschentschers Kernthemen sind Wohnungsbau, Verkehr, Klimaschutz, Bildung | |
| und Digitalisierung. Die zentrale Botschaft, mit der er sich von den Grünen | |
| absetzen will: „Die ganze Stadt im Blick“. Das bedeutet, dass er viele | |
| Interessen unter einen Hut bringen muss. Dazu gibt es ein leicht | |
| beängstigendes Großplakat Marke „Tschentscher sieht dich an“. | |
| Katharina Fegebank weiß, dass sie die Grünen noch weiter fürs bürgerliche | |
| Milieu öffnen muss, wenn sie mehrheitsfähig werden will. Sie nennt das | |
| „unterschiedliche Bedürfnisse adressieren“. | |
| Altbürgermeister Ole von Beust von der CDU hat kürzlich der Zeit gesagt, | |
| Fegebank sei eine „respektable Frau, die nicht alles durch die grüne Brille | |
| sieht“, sondern „über die Parteigrenzen hinaus“ denke. Sie empfindet das | |
| nicht als vergiftetes Lob, nennt sich selbst eine „pragmatische Visionärin“ | |
| und hat keine Berührungsängste. Schon seit vielen Jahren besucht sie etwa | |
| regelmäßig Rotary-Clubs in der Stadt. Vielleicht ist das eigene Lager | |
| darüber ein bisschen kurz gekommen. Jedenfalls sagen nur 59 Prozent der | |
| Grünen-Wähler*innen, dass sie Fegebank zur Bürgermeisterin wählen würden, | |
| wenn es eine Direktwahl gäbe, während 81 Prozent der SPD-Anhänger*innen | |
| Tschentscher unterstützen. | |
| Eine Villa in Harvestehude. Der Stuck ist sorgsam freigelegt, das Parkett | |
| sieht aus wie ein Mosaik. Die Hausherren pflegen eine Art Salon zu | |
| gesellschaftlichen und politischen Themen, zu dem sie Freunde und Bekannte | |
| einladen. Ein paar Wochen vor der Wahl sind Katrin Göring-Eckhardt und | |
| Katharina Fegebank unter dem Motto „Grün im Wohnzimmer“ zu Gast. Es sind | |
| Rechtsanwälte da und eine Reihe junger Klima-Aktivist*innen. | |
| ## „Die kann das“ | |
| Fegebank sitzt plaudernd auf der Fensterbank. Sie erzählt, wie ein Besuch | |
| im Nachkriegs-Sarajevo sie politisiert habe. Dass der Mietendeckel nach | |
| Berliner Vorbild keine Option sei, weil dann selbst Genossenschaften das | |
| Bauen einstellten. Wie sie in den vergangenen Wochen mit der Aluminiumhütte | |
| Trimet über klimafreundlichere Produktionsweisen gesprochen habe, mit dem | |
| Stahlwerk von Arcelor Mittal. „Die stehen in den Startlöchern“, sagt sie. | |
| „Die warten nur auf stabile Rahmenbedingungen.“ | |
| Fegebank schwärmt vom Forschungs-Windpark, den die Stadt in Bergedorf | |
| errichtet hat – „und dann wird da ein Uhu gesichtet!“ Sie rollt mit den | |
| Augen. Halb resigniert klingt der Einwand aus der hintersten Stuhlreihe: | |
| „Es ist nicht nur der Uhu, sondern auch die Kornweihe, ein wunderbarer | |
| Vogel, der fast ausgerottet ist.“ | |
| Später gibt es noch Wein und Häppchen. Ein Herr in den Siebzigern mit | |
| Tweed-Jackett sagt: „Ich werd' sie zwar nicht wählen, aber ich werd auch | |
| nicht gleich emigrieren, wenn sie es wird. Die kann das.“ Fegebank plaudert | |
| weiter, hört geduldig zu, beantwortet Fragen. Es ist fast elf, als sie | |
| sagt: „So, jetzt muss ich mal zu meinen einjährigen Zwillingen.“ | |
| Die Frage, wie sie das Amt der Bürgermeisterin mit kleinen Kindern | |
| vereinbaren will, regt sie „tierisch“ auf. „Männern wird diese Frage in … | |
| Regel nicht gestellt“, sagt Fegebank am nächsten Abend beim | |
| Kandidaten-Check im taz Salon. „Jedes Amt muss sich der jeweiligen | |
| Familiensituation anpassen. Das ist mein Führungsanspruch.“ | |
| Tschentscher glaubt an die Kraft des Arguments, weiß aber auch, dass | |
| Argumente verstanden werden müssen. „Redet mal Klartext und seid einfach in | |
| den Botschaften“, hat er seinen Wahlkämpfern gesagt. Auch sich selbst muss | |
| er hin und wieder daran erinnern. Aber obwohl er Labormediziner ist und | |
| über die „Immunchemische Unterscheidung hochhomologer Strukturen am | |
| Beispiel der Schwangerschaft-spezifischen Glykoproteine“ promoviert hat, | |
| kann er auch einfach. | |
| Sein Wahlkampf trägt die Handschrift eines Analytikers: die wichtigsten | |
| Probleme identifizieren, Lösungen vorschlagen – und behaupten, dass nur die | |
| SPD die Umsetzung garantieren kann. Tschentscher verweist dann auf die mehr | |
| als 10.000 Wohnungen, die fertiggestellt wurden, auf kostenlose Kitaplätze | |
| und die 30 Prozent Sozialwohnungen. „Ohne die SPD wird das nicht | |
| weitergehen“, warnt er bei einem Bautstellenbesuch in Altona, wo auf einem | |
| ehemaligen Bahnhofsgelände Hamburgs größter neuer Stadtteil entsteht. | |
| In mehr als 30 Jahren Kommunalpolitik für die SPD hat Tschentscher | |
| verinnerlicht, überall präsent zu sein und das Ohr am Volk zu haben. | |
| ## Kein reiner Zahlenmensch | |
| Tschentscher ist zwar weder volkstümlich noch hemdsärmelig, doch es nützt | |
| ihm, dass er ein Normalo ist: Er wuchs als einer von vier Brüdern in einem | |
| Reihenhaus mitten in der Bremer Hochhaussiedlung Tenever auf, einem | |
| Wohnungsbau-Experiment der 1970er Jahre. Als Junge habe er sich vor den | |
| dort umherziehenden Straßenbanden fürchten müssen, erzählte er der Welt. Er | |
| weiß, warum die soziale Mischung in den Quartieren stimmen muss. Die grüne | |
| Martina Gregersen bescheinigt ihm Bodenständigkeit. „Früher hatte er kein | |
| Auto“, sagt sie. „Seine Gattin traf ich neulich im Bus.“ | |
| Schildert ihm jemand Probleme eines bestimmten Viertels, vergleicht er sie | |
| mit den Verhältnissen „bei uns in Barmbek-Nord“, einem Kleinbürger- und | |
| Arbeiterstadtteil mit Gentrifizierungspotenzial. Man nimmt es ihm ab, wenn | |
| er sagt: „Wir sind eine solidarische Stadtgesellschaft – und alle gehören | |
| dazu.“ | |
| Ein reiner Zahlenmensch ist Tschentscher nicht. Beim Gespräch über Musik | |
| blüht er auf. Obwohl er das Klavier seit Jahren links liegen lässt, trat er | |
| Anfang Januar in der Elbphilharmonie auf. Er spielte das Präludium in C-Dur | |
| aus Bachs Wohltemperierten Klavier. | |
| Klimaschutz hält er für notwendig. Mit dem grünen Umweltsenator Jens | |
| Kerstan streitet er darüber, wem das größere Verdienst an der | |
| Fortschreibung des Klimaplans gebührt. Tschentscher findet, wenn Hamburg | |
| auf dem eingeschlagenen Pfad weiterwandele, werde es das zurzeit | |
| festgeschriebene Zwischenziel von minus 55 Prozent CO2 bis 2030 erreichen. | |
| Das ist weniger ehrgeizig, als es die Grünen gerne hätten und bedeutet | |
| nicht, dass Wälder und Moore für Autobahnen und Gewerbegebiete tabu wären. | |
| „Allein auf Radwegen kommen wir nicht ins 21. Jahrhundert“, sagt | |
| Tschentscher dann und dass er zwar gerne mit den Grünen zusammenarbeite, | |
| aber davon überzeugt sei, „dass die Grünen nicht in der Lage sind, diese | |
| Stadt zu regieren“. | |
| „Herr Tschentscher hat ja gesagt, auf dem Radweg komme man nicht ins 21. | |
| Jahrhundert – in dem ich schon seit 20 Jahren lebe.“ Der Saal tobt. | |
| Katharina Fegebank steht auf der Bühne im Zentrum der Markthalle. Für diese | |
| Wahlkampfveranstaltung war auch Annalena Baerbock angekündigt. Ein paar | |
| hundert Menschen sind gekommen, über hundert müssen draußen bleiben. | |
| ## Tschentscher schaltet auf Attacke | |
| Baerbock ist wegen des Sturms Sabine nur kurz per Video aus Berlin | |
| zugeschaltet. Fegebank genießt ihr Heimspiel. Geflüchtete, Wohnungsbau, | |
| Mietpreisbremse, Landwirtschaft – bei jeder Frage bleibt sie freundlich, | |
| antwortet immer wortreich, oft witzig. Doch nicht selten fragt man sich | |
| hinterher, was sie eigentlich gesagt hat. | |
| Ein junger Mann klagt, die Politik, die Fegebank mache, habe mit seinem | |
| Leben nichts zu tun. Fegebank kitzelt behutsam aus ihm heraus, dass er | |
| Radfahrer ist, und skizziert, wie die Grünen beim Radverkehr Kopenhagen | |
| nacheifern wollen. | |
| Den Tierversuchsgegnern, die seit Monaten auf praktisch jeder öffentlichen | |
| Veranstaltung mit ihr auftauchen, sagt sie das x-te Mal, in ihrer | |
| Eigenschaft als Wissenschaftssenatorin habe sie gerade eine Professur für | |
| tierversuchsfreie Forschung eingerichtet. Aber wann genau der letzte | |
| Tierversuch in Hamburg durchgeführt werde – „das kann ich Ihnen nicht | |
| sagen, das halte ich nicht für seriös“. Sie schließt mit dem Satz: „Ich | |
| hoffe, dass Sie sich zumindest aufgehoben fühlen mit ihrem Interesse.“ Nur | |
| wer ganz genau hinhört, kann daran, wie sie die Endsilben bei „aufgehoben“ | |
| und „fühlen“ dehnt, ahnen, dass sie eine Spur genervt ist. | |
| Im Wahlkampfendspurt hat sich der Ton verschärft. Schon dass Tschentscher | |
| ganz ohne die Grünen ins Rathaus einlädt und ein „Senatskonzept“ für die | |
| Innenstadt vorstellt, ist eine Art Kriegserklärung. Und dann liest es sich | |
| auch noch wie aus dem grünen Wahlprogramm abgekupfert. Tschentscher | |
| schaltet punktuell auf Attacke und hat so Boden gut gemacht. Möglicherweise | |
| verfängt seine Behauptung, nur die SPD könne garantieren, dass die von | |
| einer Mehrheit gewünschte rot-grüne Politik auch umgesetzt wird. | |
| ## Der Finanzskandal könnte die Karten neu mischen | |
| Vier Wochen vor der Wahl hatte es noch nach einem Patt ausgesehen. Doch die | |
| jüngste Umfrage sieht die SPD wieder 15 Prozentpunkte vor den Grünen. Das | |
| war allerdings, bevor rauskam, dass Tschentscher als Finanzsenator auf 47 | |
| Millionen Euro Steuern von einer Privatbank verzichtet hat. Die Affäre | |
| könnte seinen Wahlsieg auf den letzten Metern noch gefährden. | |
| Am Ende wäre Platz 2 auch für die Grünen zu verschmerzen. Als Lars Haider, | |
| Chefredakteur der Hamburger Abendblatts, Fegebank im Kandidatentduell | |
| fragt, was für ein Chef der Tschentscher sei, muss sie einen Augenblick | |
| nachdenken. Dann sagt sie: „Er lässt viel Gestaltungsspielraum.“ | |
| 16 Feb 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Gernot Knödler | |
| Jan Kahlcke | |
| ## TAGS | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Wahl in Hamburg 2025 | |
| Rot-Grün Hamburg | |
| Rot-Grün | |
| Autoverkehr | |
| Frauenquote | |
| Wahlkampf | |
| Wahl in Hamburg 2025 | |
| Migration | |
| Wahl in Hamburg 2025 | |
| Wahl in Hamburg 2025 | |
| Wahl in Hamburg 2025 | |
| Die Linke Hamburg | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Hamburgs Bürgermeister über Optionen: „Rot-Grün ist naheliegend“ | |
| Peter Tschentscher (SPD) kann sich ein Bündnis mit den Grünen vorstellen, | |
| wenn diese große Infrastrukturprojekte und den Hafenausbau mittragen. | |
| Wer kandidiert bei der Hamburger Wahl?: Weiß, männlich und Ü50 | |
| Überraschung: Die Linke hat die gleiche Frauenquote wie die CDU. Eine | |
| taz-Datenanalyse zur Hamburger Bürgerschaftswahl. | |
| Wahlplakate aus Pappe und Plastik: Erst Werbung, dann Müll | |
| Tausende Wahlplakate prägen derzeit das Straßenbild Hamburgs. Eine Petition | |
| macht auf den dadurch entstehenden Müll aufmerksam und fordert ein Verbot. | |
| SPD-Spitzenkandidat über Wahl in Hamburg: „Im klassischen Sinne links“ | |
| Peter Tschentscher bezeichnet seinen Landesverband als | |
| „ursozialdemokratisch“. Einen Hamburger Mietendeckel würde es unter ihm | |
| trotzdem nicht geben. | |
| Politologin über Migranten in Parteien: „Nicht nur alte weiße Männer“ | |
| Migrant*innen können für Konflikte sorgen, wenn sie neu in eine | |
| Organisation kommen. Sie brechen Strukturen auf, die schon immer so waren. | |
| Cum-Ex-Skandal: Vorwürfe gegen Hamburger SPD | |
| Die Hamburger Finanzbehörde soll auf eine Rückforderung gegen eine Bank | |
| verzichtet haben. Olaf Scholz räumt ein Gespräch mit Bankchef ein. | |
| Mieten im Hamburger Wahlkampf: Aufbau West | |
| In Hamburg steigen die Mieten – aber weniger als anderswo. Denn es wird so | |
| viel gebaut wie sonst nirgends in der Republik. Ist alles prima? | |
| Unterbringung von Geflüchteten: Fensterlose Mehrbettzimmer | |
| Immer noch leben Geflüchtete in Hamburgs „Ankunftszentrum“ unter prekären | |
| Bedingungen. Die SPD findet das okay, die Grünen äußern sanftes Unbehagen. | |
| Wahlkampf in Hamburg: Das soziale Gewissen der Stadt | |
| Die Prognosen für Die Linke in Hamburg liegen bei bescheidenen 8 Prozent. | |
| Dabei hat die kleine Fraktion aus der Opposition einiges bewirkt. |