# taz.de -- Buch zur Zionismus-Debatte: Das Märchen, das doch keines wurde | |
> In „Herzl Reloaded“ wird die Idee vom Judenstaat diskutiert und damit | |
> zugleich: israelische Politik, neuer Antisemitismus und jüdische | |
> Diaspora. | |
Bild: Zum Jahrestag von Nakba – der Unabhängigkeitserklärung des Staates Is… | |
Es jährt sich der Tag, da der Staat Israel gegründet wurde – der 14. Mai | |
1948 – zum achtundsechzigsten Mal. Vor einhundertundzwanzig Jahren, 1896, | |
publizierte der Wiener Journalist Theodor Herzl seine Schrift „Der | |
Judenstaat“, das historisch wirkmächtigste Programm des auch heute immer | |
wieder heftig kritisierten Zionismus. | |
Obwohl inzwischen angesichts des syrischen Bürgerkriegs mit seiner halben | |
Million Todesopfern und seinen mindestens drei Millionen Flüchtlingen | |
unübersehbar deutlich geworden sein dürfte, dass der | |
Israel-Palästina-Konflikt keineswegs das Kernproblem des Nahen Ostens ist, | |
stoßen sich noch immer viele politisch Interessierte am Zionismus – nicht | |
selten mit antisemitischen Untertönen. Aber auch Jüdinnen und Juden sind | |
angesichts der Siedlungstätigkeit israelischer Rechtsregierungen beunruhigt | |
– in den USA verliert der Staat Israel unter jüngeren Juden rapide an | |
Zustimmung und Sympathie. | |
In dieser Situation ist es eines differenzierten Urteils wegen | |
unerlässlich, sich mit der Geschichte des Zionismus auseinanderzusetzen. So | |
hat kürzlich der israelische Historiker Shlomo Avineri eine neue, freilich | |
durchaus konventionelle Biografie von Theodor Herzl, zwar nicht dem | |
einzigen, wohl aber dem bedeutendsten Theoretiker eines Judenstaates, | |
vorgelegt. | |
Mehr Spannung, Disput und anregende Kontroverse als diese Biografie bietet | |
der von dem israelischen Soziologen Natan Sznaider und dem österreichischen | |
Historiker und Romancier Doron Rabinovici gemeinsam verfasste – nein, nicht | |
Brief-, sondern Mailroman: „Herzl Reloaded. Kein Märchen“. | |
## Was wurde aus Herzls Traum? | |
In ebenso kenntnisreicher wie humorvoller Weise fingieren Sznaider und | |
Rabinovici einen Wechsel von E-Mails zwischen ihnen und dem schon 1904 | |
verstorbenen Herzl, der sich mit beiden aus jenseitigen Sphären in | |
Verbindung setzt: „Von: [email protected] – Betreff: Herzl | |
reloaded“. | |
Tatsächlich hatte sich Theodor Herzl mindestens zweimal grundsätzlich zum | |
Projekt eines Judenstaates, also eines Staates der Juden, nicht aber eines | |
jüdischen Staates geäußert: das erste Mal in seiner bündigen | |
Programmschrift „Der Judenstaat“ , dann aber – weniger bekannt – in sei… | |
Roman „Altneuland“ aus dem Jahre 1902, in dem sich der Autor in epischer | |
Breite vorstellt, wie ein solcher Staat der Juden aussehen könnte: Modern | |
in Technik und Kultur, allen seinen Bürgern, Juden, Christen und Muslimen, | |
gleiche Rechte und Toleranz garantierend sowie so sozial, wie sich das ein | |
Journalist wie der fortschrittsgläubige Herzl nur vorstellen konnte. | |
Es ist dieser Hintergrund, vor dem sich die jüdischen Intellektuellen | |
Sznaider und Rabinovici kontrovers, aber freundschaftlich darüber klar zu | |
werden versuchen, was heute aus Herzls Traum tatsächlich geworden ist und – | |
vor allem: was aus ihm noch zukünftig werden kann. | |
So pocht Sznaider in einer E-Mail an Herzl etwa auf das, was den meisten | |
realistischen Beobachtern inzwischen klar sein dürfte: Das Projekt einer | |
„Zweistaatenlösung“ ist endgültig erledigt! „Die Zweistaatenlösung“,… | |
Sznaider an Herzl „ist in der Tat eine Idee und eine Vorstellung, aber sie | |
entspricht nicht der Wirklichkeit.“ | |
Mit Verweis auf die Siedlungen fährt Sznaider fort: „Natürlich kann man | |
sich theoretisch vorstellen, dass all diese Häuser und Institutionen | |
zerstört werden, die Menschen ins Kernland – notwendigerweise auch mit | |
Gewalt, gebracht werden, das Land an den Rand eines Bürgerkriegs gedrängt | |
wird, nur dass ein Palästina entstehen kann, dessen Form und Zustand keiner | |
voraussehen kann.“ | |
## Das Für und Wider der Zweistaatenlösung | |
In diesem Kontext plädiert Sznaider dann in freilich höchst problematischer | |
Weise für eine „liberale Ungleichheit“ gegenüber den Palästinensern sowie | |
dafür, wieder mehr über Minderheits- denn über Menschenrechte nachzudenken. | |
Aus den fingierten Antworten Herzls wird klar, dass er als Denker der | |
Jahrhundertwende für diese Problematik in seinem Optimismus weder | |
Kategorien noch Antworten hatte. | |
Ähnliches gilt auch für Rabinovici, der aus Gründen politischer Korrektheit | |
an dem Programm der „Zweistaatenlösung“ festhält. | |
Bei allen Differenzen mit Blick auf Zukunft und Menschenrechte der | |
Palästinenser sind sich Sznaider und Rabinovici jedoch darin einig, dass | |
die etwa von kirchlich organisierten Menschenrechtsgruppen sowie von | |
jüdischen Linken wie Judith Butler getragene Boykottbewegung gegen Israel | |
kontraproduktiv ist, denn – so Rabinovici: „Das Fatale an der | |
Boykottbewegung ist, dass sie die nationalen Fronten auf Kosten der | |
intellektuellen Auseinandersetzung verhärtet. Durch so einen Boykott werden | |
vor allem die kritischen Kräfte des Landes getroffen …“ Mit der Folge eines | |
weiteren Erstarkens der israelischen Rechten. | |
Wer also daran interessiert ist, die Diskussionen einer jüdischen Linken in | |
Israel und in der Diaspora in ihren unterschiedlichen, kontroversen | |
Haltungen zum jüdischen Staat und seinen rechten, nationalkonservativen | |
Regierungen mitsamt ihrer völkerrechtswidrigen Siedlungspolitik | |
kennenzulernen und nachzuvollziehen, der möge zu Doron Rabinovicis und | |
Natan Sznaiders „Herzl Relaoded“ greifen. | |
Kurzweiliger und eindringlicher kann man sich derzeit nirgends über Israel | |
und den Zionismus informieren. | |
16 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Micha Brumlik | |
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