| # taz.de -- Neues Buch „Israel – eine Utopie“: Traum von der „Republik … | |
| > Der Philosoph Omri Boehm schlägt in seinem Buch „Israel – eine Utopie“ | |
| > eine binationale Lösung für den Nahostkonflikt vor. Wie realistisch ist | |
| > sie? | |
| Bild: Theodor Herzl erhoffte sich in Palästina ein autonomes jüdisches Gebiet… | |
| Palästina [darf] weder ein jüdischer noch ein arabischer Staat sein, | |
| sondern [muss] ein „binationaler“ Staat sein, in dem Juden und Araber die | |
| gleichen bürgerlichen, politischen und nationalen Rechte genießen.“ | |
| Nein, dieses Zitat entstammt nicht der gerade erschienenen Streitschrift | |
| von [1][Omri Boehm] über die Zukunft Israels. Es findet sich im Memorandum | |
| der jüdischen Friedensbewegung Brit Schalom vom Januar 1930. Deren wenige | |
| Mitglieder waren damals, während der britischen Mandatszeit, bestrebt, | |
| einen Ausgleich der Interessen zwischen Palästinensern (die damals noch | |
| nicht so hießen) und den jüdischen Einwohnern des Landes zu finden. | |
| Die Bewegung von größtenteils aus Europa stammenden Intellektuellen | |
| scheiterte kläglich. Auf arabischer Seite fand sie kaum Fürsprecher, denn | |
| dort beharrte man darauf, dass ganz Palästina ein arabisches Land bleiben | |
| müsse. Die arabischen Aufstände in den 1930er Jahren waren Ausdruck dieser | |
| Haltung. Aber auch jüdischerseits blieb Brit Schalom isoliert. | |
| 90 Jahre später unternimmt Omri Boehm den (wievielten?) Versuch, an diese | |
| Bewegung anzuknüpfen. Der Philosoph verlangt in seinem Buch „Israel – eine | |
| Utopie“ nichts weniger als die Ablösung des 1948 gegründeten jüdischen | |
| Staates durch einen jüdisch-palästinensischen Bundesstaat mit gleichen | |
| Rechten für alle Einwohner. Und nicht nur das: Er behauptet, damit zu den | |
| wahren Wurzeln des Zionismus zurückzukehren und einem Vermächtnis der | |
| Gründerväter und -mütter zu folgen. Was ist da dran? | |
| Boehm erinnert zu Recht daran, dass es [2][Theodor Herzl] und seinen | |
| Mitstreitern zu Beginn des 20. Jahrhunderts keineswegs darum ging, einen | |
| jüdischen Staat zu schaffen. Mit dem damals gleichwohl propagierten | |
| „Judenstaat“ erhoffte sich Herzl die Begründung eines autonomen Gebiets auf | |
| dem Boden Palästinas. | |
| Deshalb – wie Boehm – Herzl das Streben nach einer „binationalen Republik… | |
| nachzusagen, ist zumindest mutig. Vor allem aber verkennt der Autor, dass | |
| diese Ursprünge des Zionismus eben nicht erst infolge des Holocaust zur | |
| Makulatur wurden, sondern schon deutlich früher an Einfluss verloren. | |
| ## Anschluss an den Zionismus | |
| Den führenden Zionisten ging es vor allem um die Bildung einer jüdischen | |
| Majorität in Palästina, dank deren sie sich erhofften, die Geschicke des | |
| Landes zur ihren Gunsten beeinflussen zu können. Sie waren damals, in den | |
| 1920er und 1930er Jahren, viel zu realistisch, um deshalb gleich einen | |
| eigenen Staat zu fordern. | |
| Dieser Streit mag akademisch klingen, er berührt aber den Kern von Boehms | |
| Buch. Denn der Autor sucht mit seiner Schrift ja gerade den Anschluss an | |
| den Zionismus, offenbar auch in der Hoffnung, dadurch Mitstreiter in Israel | |
| gewinnen zu können. | |
| Ein taktisches Vorgehen kann man ihm dabei allerdings nun wirklich nicht | |
| vorwerfen. Boehm denunziert so ziemlich alle linken und liberalen Kräfte im | |
| Lande, von [3][Amos Oz] bis zu [4][David Grossman], denen er vorwirft, zu | |
| lange an der Zweistaatenlösung eines Israels und eines Palästinas | |
| festgehalten zu haben. Der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem wirft er | |
| Paktieren mit Rechtsradikalen und unwissenschaftliche Veröffentlichungen | |
| vor, der Liste „Blau-Weiß“ um Benny Gantz „Militarismus und Populismus�… | |
| Dennoch hat Boehm da einen Punkt. Tatsächlich ist die jüdische Besiedlung | |
| des Westjordanlands inzwischen so umfassend, dass diese kaum mehr | |
| reversibel erscheint. Folgerichtig erklärt der Autor die vermeintliche | |
| Lösung durch die Begründung zweier Staaten für politisch tot. Und er wirft, | |
| nicht zu Unrecht, den Verfechtern dieser Lösung vor, keine realistische | |
| Perspektive mehr anbieten zu können, was wiederum zum Niedergang der linken | |
| und liberalen Kräfte in Israel geführt habe, während die Rechte durch ihren | |
| zur Schau gestellten Nationalismus zur Hochform auflief. | |
| ## Begegnung mit einer großen Leere | |
| Schaut man sich nach Alternativen zur Zweistaatenlösung um, dann gleicht | |
| dies einer Begegnung mit einer großen Leere. Nur auf der rechten Seite ist | |
| das Angebot groß, von der Annexion des Westjordanlands bis hin zur | |
| Vertreibung seiner arabischen Einwohner. Boehm bietet mit seiner „Republik | |
| Haifa“ genannten Lösung eine scheinbare Alternative an. | |
| Er macht es sich dabei nicht einfach. Das Postulat eines liberalen | |
| jüdischen Staats erklärt er zu einer „Illusion“, weil dieses Konstrukt | |
| zwangsläufig zur Diskriminierung der nichtjüdischen Einwohner führen müsse. | |
| Deshalb sei die Errichtung einer binationalen Republik „notwendig“: „für | |
| Israelis, für Palästinenser und für das Weltjudentum“. Darunter geht’s | |
| nicht. | |
| Was Boehm bei dieser Vorstellung verkennt respektive auslässt: Zu einer | |
| Friedenslösung gehören mindestens zwei Partner. Die Palästinenser aber | |
| bleiben in seinem Werk schattenhafte Gestalten, die sich höchstens einmal | |
| zur Wehr gesetzt haben, aber nicht als handelnde Subjekte auftauchen. Schon | |
| Brit Schalom scheiterte in den 1930er Jahren an der ablehnenden Haltung der | |
| arabischen Seite. | |
| ## Wenig Friedenssehnsucht auf beiden Seiten | |
| Es lässt sich nicht behaupten, dass die palästinensische Führung (von der | |
| es inzwischen zwei gibt, eine im Westjordanland, eine im Gazastreifen) | |
| immer von Friedenssehnsucht geprägt gewesen sei, im Innern wie im Äußeren. | |
| Im Gegenteil: Sie hat bewiesen, wie man noch die realistischsten Bemühungen | |
| torpedieren kann. | |
| Nicht viel besser schaut es derzeit freilich auf israelischer Seite aus, | |
| und das weiß auch Boehm. Er spricht daher bei der Vorstellung seiner | |
| „Republik Haifa“ von einem „utopischen Traum“ – und endet wenige Sät… | |
| weiter doch bei Theodor Herzls Ausspruch: „Wenn ihr wollt, ist es kein | |
| Märchen.“ | |
| Da allerdings gibt es einen Unterschied: Herzl stieß bei seinen | |
| Vorstellungen auf ein Bedürfnis vieler unterdrückter Juden weltweit, den | |
| Diskriminierungen zu entfliehen. Deshalb wurde er zum Begründer einer | |
| erfolgreichen Bewegung. Boehms Vorstellungen dagegen dürften in Israel | |
| ähnlich viele Anhänger finden wie Jerusalem verschneite Tage kennt. | |
| 18 Jul 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Sprechen-ueber-Israel/!5279411 | |
| [2] /Buch-zur-Zionismus-Debatte/!5300832 | |
| [3] /Kommentar-Abschied-von-Amos-Oz/!5556446 | |
| [4] /Neuer-Roman-von-David-Grossman/!5307336 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Hillenbrand | |
| ## TAGS | |
| Politisches Buch | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Israel | |
| zionismus | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Philosophie | |
| Skateboard | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Israel | |
| Israel | |
| zionismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Jüdisch-arabisches Zusammenleben: Haifa ist ein Versprechen | |
| In der Küstenstadt leben jüdische und arabische Israelis friedlicher | |
| zusammen als anderswo. Doch seit dem 7. Oktober wachsen auch hier die | |
| Spannungen. | |
| Philosoph Kant im Dialog: Im Namen des moralischen Gesetzes | |
| Der Philosoph Omri Boehm erhält in Leipzig den Buchpreis für Europäische | |
| Verständigung. Mit Daniel Kehlmann spricht er, in Buchform, über Kant. | |
| Israels Skaterinnen: Vereint durchs Board | |
| Bei den Jerusalem Skater Girls leben jüdische, christliche und muslimische | |
| Frauen ihren Sport aus. Nebenbei reißen sie gesellschaftliche Barrieren | |
| ein. | |
| Philosoph Omri Boehm über Israel: „Gegen ethnischen Nationalismus“ | |
| Die Idee einer jüdischen Demokratie sei ein Widerspruch in sich, sagt Omri | |
| Boehm. Und plädiert für eine binationale Republik. | |
| Zipi Livni über Israels Annexionspläne: „Ein schwerer Schlag“ | |
| Israels frühere Außenministerin lehnt die bevorstehende Annexion im | |
| Westjordanland ab. Sie gehe viel zu weit und gefährde den Frieden in der | |
| Region. | |
| 70 Jahre Israel: Der Sehnsuchtsstaat | |
| Heute vor siebzig Jahren rief Ben-Gurion den Staat Israel aus. Das Land ist | |
| eine Erfolgsstory – vor allem wegen seiner Einwanderer. Fünf Geschichten. | |
| Israel feiert 70 Jahre Unabhängigkeit: Gretels Jahrhundert | |
| Den 1. Weltkrieg, Weimar, die Nazizeit – das alles hat Gretel Merom erlebt. | |
| Sie ist 105 Jahre alt. 1934 ging sie als überzeugte Zionistin nach | |
| Palästina. | |
| Buch zur Zionismus-Debatte: Das Märchen, das doch keines wurde | |
| In „Herzl Reloaded“ wird die Idee vom Judenstaat diskutiert und damit | |
| zugleich: israelische Politik, neuer Antisemitismus und jüdische Diaspora. |