# taz.de -- Brücke in Genua: Schlammschlacht nach dem Einsturz | |
> Wer ist schuld am Brückenunglück von Genua? In Italien überziehen sich | |
> Politiker aller Parteien gegenseitig mit Anschuldigungen. | |
Bild: Sorgt für Zoff im politischen Rom: die Brücke von Genua | |
ROM taz | „Genua im Herzen“: Mit diesem Motto auf den Trikots werden am | |
nächsten Spieltag alle Mannschaften der Ersten und Zweiten Liga auf den | |
Platz gehen. Ganz Italien findet in der Trauer um die 43 Opfer des | |
Brückeneinsturzes von Genua zusammen – dies ist das Signal, das der Fußball | |
senden will. | |
Im Sport mag das funktionieren. In der Politik dagegen prägt nach dem | |
Unglück vom Dienstag vergangener Woche Zwietracht das Bild. Schnell sind | |
Schuldzuweisungen bei der Hand, noch schneller die Antworten auf die Frage, | |
wie ähnliche Desaster in Zukunft vermieden werden können. | |
Für die 5-Sterne-Bewegung (M5S), die im Verein mit ihrem Juniorpartner, der | |
Lega, die Regierung stellt, war die Antwort vom ersten Tag an klar: Dem | |
privaten Autobahnbetreiber Autostrade per l’Italia (Aspi) muss umgehend die | |
Konzession entzogen werden. Ein Gerichtsurteil müsse gar nicht erst | |
abgewartet werden, „das Urteil sind die 40 Toten und die eingestürzte | |
Brücke“, dekretierte der M5S-Chef und Vizepremier Luigi Di Maio umgehend. | |
Doch Di Maio begnügte sich nicht damit, das vom Benetton-Clan beherrschte | |
Privatunternehmen auf die Anklagebank zu setzen; er schlug gleich auch den | |
Bogen zur Politik: „Der Einsturz der Brücke ist eine Folge all der | |
Vorzugsbehandlungen und Gefälligkeiten, die Aspi gewährt wurden.“ | |
Damit erinnerte Di Maio an die Geschichte der italienischen | |
Autobahnprivatisierung im Jahr 1999 durch die Mitte-links-Regierung unter | |
Romano Prodi. Die Benettons, die bis dato im Textilgewerbe aktiv waren, | |
konnten sich damals für Aspi 3.000 Kilometer des italienischen | |
Autobahnnetzes sichern. Schon dies war eine „Gefälligkeit“. Dank der | |
Mauteinnahmen belief sich das Geschäftsrisiko auf null. Jahr für Jahr waren | |
Millionenerträge gewährleistet, auch wenn Aspi sich zum Unterhalt der | |
Autobahnen, Brücken und Tunnel verpflichtete. | |
Recht hat Di Maio auch, wenn er auf weitere Gefälligkeiten verweist, ein | |
2015 verabschiedetes Gesetz zum Beispiel, das die Konzession ohne erneute | |
Ausschreibung bis 2038 verlängerte. Wie konnte das sein? Die Benettons, | |
sagt Di Maio, hätten ganz legal „die Wahlkämpfe und die Regierungen | |
finanziert“ – wohlgemerkt die Wahlkämpfe der gemäßigt linken Partito | |
Democratico (PD), die in den Jahren 2013 bis 2018 in Rom regierte. | |
## Streit über Spenden | |
Spätestens mit dieser Behauptung war die Schlammschlacht eröffnet. Eine | |
Benetton-Spende an die PD war in jenen Jahren nicht zu verzeichnen. Die | |
letzte Zuwendung war 2006 erfolgt, als auch die Lega von Matteo Salvini mit | |
einer Benetton-Spende bedacht wurde. | |
Von dieser Spende aber redete Di Maio ebenso wenig wie von einem Gesetz, | |
verabschiedet im Jahr 2008 von der Rechtskoalition unter Silvio Berlusconi, | |
bei der auch die Lega mit im Boot saß. Damals wurden den | |
Autobahnkonzessionären größere Spielräume bei der periodischen Erhöhung | |
der Mautgebühren eingeräumt, ohne dass sie – wie zuvor – groß nachweisen | |
mussten, welchen Anteil sie in Erhalt und Verbesserung der Infrastruktur | |
steckten. Lega-Boss Salvini, angesprochen auf jenes Gesetz, bemerkte | |
trocken, er könne sich „nicht erinnern“. Damit war das Thema für ihn vom | |
Tisch. | |
Dass seine Rechnung aufging, zeigte sich dann bei der staatlichen | |
Trauerfeier in Genua am vergangenen Samstag. Salvini und Di Maio wurden im | |
Dom mit Beifall empfangen. Die beiden einzigen PD-Politiker, die sich zur | |
Zeremonie eingefunden hatten – der Übergangsvorsitzende Maurizio Martina | |
und die frühere Verteidigungsministerin Roberta Pinotti – mussten sich | |
auspfeifen lassen. Die Botschaft von M5S und Lega war angekommen. Sie, die | |
beiden Anti-Establishment-Parteien, hatten es geschafft, als mutige | |
Vertreter des Volkes gegen das Establishment zu erscheinen. | |
Vor allem die 5-Sterne-Bewegung wirkt als kohärente Vertreterin der | |
Bürgerinteressen. Schon immer hatte sie gegen Privatisierungen gestritten, | |
jetzt fordert sie, dass die Autobahnen wieder unter die Ägide der | |
staatlichen Straßengesellschaft Anas kommen. Das erscheint vielen als | |
plausibel, auch wenn es so plausibel gar nicht ist. Die Tageszeitung Il | |
Fatto Quotidiano listete am Donnerstag die sieben Prozesse auf, die derzeit | |
in Italien wegen Brückeneinstürzen laufen. In sechs von ihnen sitzen | |
Vertreter der öffentlichen Anas auf der Anklagebank. | |
24 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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