# taz.de -- Brückeneinsturz von Genua: Eine angekündigte Tragödie | |
> In Italien wird immer weniger für die Instandhaltung der Autobahnen | |
> ausgegeben. In Genua wurde schon lange vor der maroden Brücke gewarnt. | |
Bild: Schon vor Jahren wurde vor der maroden Morandi-Brücke in Genua gewarnt, … | |
Die italienische Sprache kennt seit Langem einen festen Begriff, um | |
Unglücke wie den [1][Sturz der Morandi-Brücke in Genua] zu beschreiben. Er | |
lautet: „tragedia annunciata“, „angekündigte Tragödie“. Das Bild eines | |
Autobahnviadukts, das 40 Meter in die Tiefe stürzt, mag unfassbar | |
erscheinen. Vor allem, weil dieser Unfall allein bis Redaktionsschluss | |
ungefähr 40 Menschen das Leben kostete. Unvorstellbar war dieses Bild aber | |
nicht gewesen. Anwohner und Experten warnen bereits seit Jahren vor der | |
„Brooklyn-Brücke“, wie sie in Genua genannt wurde. | |
Es sei ein [2][„Versagen der Ingenieurwissenschaft“, behauptete 2016 | |
Antonio Brencich], Professor für Bauwesen an der Universität Genua. Und | |
schon im Jahr 2012 hatte der damalige Präsident des lokalen | |
Industrieverbandes, Giovanni Calvini, erklärt: „Wenn in zehn Jahren die | |
Morandi-Brücke einstürzen wird und wir stundenlang im Stau stehen, werden | |
wir uns an diejenigen erinnern, die jetzt Nein zur Gronda gesagt haben“. | |
Die sogenannte Gronda di Ponente ist eine geplante, 72 Kilometer lange | |
Autobahntrasse, die das Morandi-Viadukt entlasten sollte und beispielhaft | |
für einige der Infrastrukturprobleme Italiens steht: die ineffiziente | |
Bürokratie, die überlangen Planungsarbeiten und die großen Widerstände vor | |
Ort. | |
Über das Projekt ist nach dem Einsturz der Morandi-Brücke erneut ein | |
politischer Streit entflammt. Im Gespräch ist die Trasse seit 1984. Gebaut | |
wurde sie nie. Seit Jahren wird sie von zahlreichen Protesten lokaler | |
Initiativen begleitet, die die in Italien mitregierende | |
Fünf-Sterne-Bewegung unterstützt. Man sollte das Vorhaben mithilfe „der | |
italienischen Armee“ stoppen, sagte 2014 [3][der Gründer der Bewegung, | |
Beppe Grillo.] „Uns wird abwechselnd das Märchen eines bevorstehenden | |
Einsturzes der Morandi-Brücke erzählt“, schrieb ein Jahr zuvor eine | |
No-Gronda-Gruppe auf einer Webseite der Fünf-Sterne-Bewegung. | |
## Umfangreiche Infrastrukturprobleme | |
Mittlerweile steht die Genehmigung, die Bauarbeiten sollten 2019 beginnen. | |
Vor zwei Wochen hat allerdings der italienische Verkehrsminister, Danilo | |
Toninelli von der Fünf-Sterne-Bewegung, das Projekt auf Eis gelegt und eine | |
neue Kosten-Nutzen-Analyse angeregt, obwohl die Finanzierung bereits steht. | |
Im April 2018 hat die Europäische Kommission 8,5 Milliarden Euro für | |
Autobahnprojekte in Italien freigegeben. Die Hälfte davon soll ausgerechnet | |
in die Gronda fließen. Die EU taugt also kaum als Sündenbock – auch wenn | |
Innenminister Matteo Salvini die Sparvorgaben aus Brüssel mitverantwortlich | |
für die Katastrophe von Genua macht. | |
Die Tragödie vom Dienstag fördert die Spannungen innerhalb der | |
italienischen Regierung zutage: Auf der einen Seite steht eine Partei – die | |
Lega –, die am liebsten zahlreiche Infrastrukturprojekte durchboxen würde, | |
ohne viel Rücksicht auf Umwelt- und EU-Auflagen zu nehmen. Auf der anderen | |
Seite ist eine Bewegung, die in der Umweltbewegung ihre Wurzeln hat, | |
traditionell gegen Großprojekte zu Felde zieht, weil sie sie als | |
ineffizient ansieht und Korruption und Misswirtschaft wittert und am | |
liebsten mehrere Vorhaben blockieren würde, zum Beispiel die | |
Hochgeschwindigkeitseisenbahnstrecke zwischen Turin und Lyon. | |
Die Infrastrukturprobleme Italiens sind allerdings umfangreicher. In den | |
vergangenen fünf Jahren sind zehn Brücken eingestürzt. Die Bausubstanz ist | |
veraltet: Die meisten Brücken und Viadukte wurden zwischen 1955 und 1980 | |
gebaut, schreibt die Tageszeitung La Stampa. Insgesamt seien 300 Brücken | |
und Galerien in Gefahr, warnte ein Experte im Blatt La Repubblica. Eine | |
davon liegt bei Agrigento auf Sizilien und ist seit 2017 gesperrt: Sie | |
wurde von Riccardo Morandi entworfen, demselben Ingenieur, der auch die | |
Genua-Brücke geplant hatte. | |
## Das Problem der Kontrollen | |
Hinzu kommen die komplexen Verwaltungsstrukturen für das Straßenwesen und | |
der Rückgang der Investitionen. Die staatliche Anas ist zuständig für nur | |
rund 1.000 der insgesamt mehr als 7.000 italienischen Autobahnkilometer. | |
Von den restlichen 6.000 Kilometern liegen mehr als zwei Drittel in den | |
Händen zweier privater Investoren: der Gruppen Gavio sowie Atlantia, die | |
Autostrade kontrolliert, also die Betreibergesellschaft der Genua-Strecke. | |
Obwohl die Mauteinnahmen seit Jahren steigen (plus 21 Prozent auf 5,7 | |
Milliarden Euro zwischen 2009 und 2016) und Italien die höchsten | |
Autobahngebühren Europas aufweist, sanken laut Corriere della Sera zwischen | |
2015 und 2016 die Investitionen um 23,9 Prozent und die | |
Instandhaltungsausgaben für das Netz um 7,3 Prozent. | |
Hinzu kommt das Problem der Kontrollen. Autostrade, die der Benetton-Gruppe | |
gehört und für etwa 3.000 Autobahnkilometer in Italien zuständig ist, | |
kontrolliert sich selbst: Sie ist für die Wartungsarbeiten und deren | |
Überprüfung verantwortlich. Nun plant die Regierung den Entzug der | |
Genehmigung für Autostrade. Innenminister Salvini und Arbeitsminister Di | |
Maio verlangen eine Strafe von bis zu 150 Millionen Euro, während | |
Verkehrsminister Toninelli den Rücktritt der Manager fordert. | |
Autrostrade erklärte dagegen, das Unternehmen habe sogar zusätzliche | |
Prüfungen vorgenommen und dafür modernste Technologien eingesetzt und | |
externe Experten befragt. | |
15 Aug 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Brueckeneinsturz-in-Italien/!5524904 | |
[2] https://www.sueddeutsche.de/panorama/katastrophe-in-genua-die-morandi-bruec… | |
[3] /Kommentar-Lampedusa-und-Beppe-Grillo/!5057398 | |
## AUTOREN | |
Alessandro Alviani | |
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