| # taz.de -- Debatte Brückeneinsturz in Italien: Die Gönner der Benettons | |
| > Bei der Suche nach Schuldigen geraten die Benettons unter Druck. Die | |
| > Geschwister sind für die Instandhaltung weiterer Autobahnstrecken | |
| > zuständig. | |
| Bild: Die Benetton-Familie könnte für den Brückeneinsturz mitverantwortlich … | |
| In diesen aufgewühlten Tagen [1][nach dem Einsturz der Morandi-Brücke] hat | |
| sich so mancher in der Wortwahl vergriffen: „Das ist unser Ground Zero“, | |
| kommentierte der sozialdemokratische Bürgermeister von Genua. Worauf man | |
| sich unweigerlich fragt: Und wer sind dann die Terroristen? Unternehmen wie | |
| Autostrade per l’Italia, das der Familie Benetton gehört und knapp die | |
| Hälfte des italienischen Autobahnnetzes betreibt? Oder die italienischen | |
| Politiker, die ihnen diese Autobahnen großherzig überlassen haben? | |
| 43 Menschen starben unter den Trümmern – und das am Tag vor Ferragosto, dem | |
| italienischsten aller Feiertage, der traditionell mit einem ausgiebigen | |
| Mittagessen im Familien- und Freundeskreis begangen wird. Für die | |
| Unternehmerfamilie Benetton wurde das Familienessen an Ferragosto | |
| allerdings zum PR-Fiasko: Während die Italiener es bereits als | |
| Taktlosigkeit empfanden, dass die Benettons ganze zwei Tage brauchten, um | |
| endlich ihre Trauer zu bekundeten, waren sie fassungslos, als sie erfuhren, | |
| dass die Familie nach dem Unglück nicht auf ihr Festmahl im eleganten | |
| Cortina verzichtete. | |
| Der Mangel an Feingefühl erstaunt. Schließlich sind die Benettons erst dank | |
| ihrer geschickten Öffentlichkeitsarbeit reich und berühmt geworden. Stets | |
| stellten sie sich auf die Seite der Schwachen. Fotos von einem todgeweihten | |
| Aidskranken und von einander umarmenden Jugendlichen aller Hautfarben | |
| trugen das Unternehmen zum Erfolg. Mit einem Benetton-Pullover konnte man | |
| sich eine Weltanschauung kaufen. Die Benettons schufen sich damit ein | |
| Imperium. | |
| Von Philanthropie war auch nichts zu spüren, als der Vorstandsvorsitzende | |
| von Autostrade per l’Italia selbst Tage nach dem Unglück noch darauf | |
| beharrte, nicht gewusst zu haben, dass die Brücke gefährlich war. Auch der | |
| für die Sicherheit zuständige Manager wiederholte gebetsmühlenartig, dass | |
| die Brücke völlig stabil gewesen sei, was angesichts der Tatsache, dass die | |
| von Benetton betriebenen Autobahnen nicht von neutralen Sachverständigen | |
| kontrolliert werden, sondern von Spezialisten, die das Unternehmen selbst | |
| beauftragt, kaum überrascht. | |
| Mit einer gewissen Kaltblütigkeit ermahnte der Sicherheitsmanager die | |
| Opferfamilien dann auch noch, abzuwarten, bis die Verantwortlichkeiten | |
| endgültig durch Gerichtsurteile geklärt seien. In Italien, wo Prozesse | |
| endlos dauern, klingt das wie eine Drohung. | |
| ## „Privatisierung oder Tod“ | |
| 86 Prozent des italienischen Autobahnnetzes sind seit Ende der 1990er Jahre | |
| in privater Hand. Die Benettons waren dabei auf der Überholspur unterwegs. | |
| Dank der Gefallen, die ihnen die politische Klasse von rechts bis links | |
| erwies, konnten sich die Autobahnen in „Benettons Bankautomaten“ | |
| verwandeln, wie der Chef der nationalen Beobachtungsstelle des | |
| Transportwesens bemerkte. | |
| Im Jahr 2017 lag der Bruttogewinn bei 2,4 Milliarden Euro, die allerdings | |
| nicht in die Instandhaltung der Autobahnen gesteckt wurde, sondern in den | |
| Flughafen von Nizza und den Kauf von Anteilen am größten Betreiber des | |
| spanischen Autobahnnetzes und an der Gesellschaft, die den Eurotunnel | |
| betreibt. Dies alles dank bizarrer Klauseln, die in Verträgen enthalten | |
| sind, deren genauer Inhalt bis heute geheim ist. „Der Staat hat abgedankt“, | |
| sagte der Generalstaatsanwalt von Genua. Man könnte auch sagen: Demokratie | |
| ist nichts für Feiglinge. | |
| Wer in Italien mit dem Fluch der frühen Geburt geschlagen ist, erinnert | |
| sich noch an die Jubelarien, die von den italienischen Politikern und in | |
| den Medien angestimmt wurden, als die Regierung Prodi Mitte der 1990er | |
| Jahre verhieß: „Privatisierung oder der Tod.“ Verkauft wurden nicht nur | |
| Banken, Industriebetriebe und die Telecom, sondern auch die Autobahnen. | |
| Der Markt reguliere alles von selbst, hieß es, private Besitzer seien | |
| weniger verschwenderisch als der Staat. Nur so gelinge es, die | |
| Staatsschulden abzubauen, um den Euro einzuführen. Operation gelungen, | |
| Patient tot: Die Staatsschulden stiegen weiter, und der italienische | |
| Staatsbesitz ist so gut wie verkauft. | |
| ## Parteispenden für die Lega | |
| Die Benettons revanchiertensich mit Parteispenden und später mit | |
| finanziellen Zuwendungen an parteinahe Stiftungen, vorzugsweise links, aber | |
| auch rechts: Benetton hat in Veneto Wahlkampf für den Ministerpräsidenten | |
| der Lega gemacht: Luca Zaia, der sich jetzt für sie in die Bresche warf, | |
| als die Fünf-Sterne-Minister ankündigten, den Benettons ihre Konzession zu | |
| entziehen. | |
| Dank ihrer Nähe zu den Mächtigen genoss die Unternehmerfamilie bei | |
| Ausschreibungen und Vertragsabschlüssen eine Vorzugsbehandlung. Die | |
| Privilegien reichten über [2][Berlusconis] „Rettet-die-Benettons“-Dekret | |
| (die Autobahngebühren unabhängig von der Inflationsrate zu erhöhen) bis hin | |
| zur Verlängerung der Konzession bis 2042, die Verkehrsminister Graziano | |
| Delrio von der Partito Democratico (PD) im letzten Jahr verfügte. | |
| Der EU gegenüber wurde sie dadurch gerechtfertigt, dass die Benettons den | |
| Bau der „Gronda“ übernähmen, einer weiteren Autobahntrasse durch das | |
| Genueser Tal. Von den Fünf Sternen in Genua wurde das Projekt heftig | |
| kritisiert: Die Sanierung und Umwandlung der Morandi-Brücke in eine | |
| vierspurige Autobahn hätte weniger gekostet und weniger Auswirkungen auf | |
| das Tal und seine Bewohner gehabt. | |
| Bei der Beerdigungsfeier wurden die beiden einzigen anwesenden Politiker | |
| der PD ausgepfiffen. Der Staatspräsident, Fünf-Sterne-Minister und | |
| Lega-Chef Salvini wurden hingegen beklatscht. Ihnen traut man zu, die | |
| Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Allerdings: Italiener lieben | |
| es nicht nur, sich Götter zu erschaffen, sondern diese auch vom Sockel zu | |
| stoßen. Die Smitizzazione, die Entmythologisierung, ist eine nationale | |
| Leidenschaft. Auch wenn sie manchmal Jahrzehnte auf sich warten lässt. Das | |
| sollte jeder, der jetzt beklatscht wird, bedenken. | |
| 26 Aug 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Petra Reski | |
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