# taz.de -- Bodo Ramelow über Linke und Religion: „Die PDS war toleranter“ | |
> Seine Partei sei gegenüber Gläubigen zu intolerant, meint Bodo Ramelow. | |
> Deshalb hat er gegen das Bundestagswahlprogramm der Linken gestimmt. | |
Bild: In einer bayrischen Schule wird das Kruzefix entfernt. | |
taz: Herr Ramelow, Sie haben auf dem Bundesparteitag im Juni gegen das | |
Wahlprogramm Ihrer Partei gestimmt, weil Ihnen im Wahlprogramm eine Passage | |
zur Religion missfiel. | |
Bodo Ramelow: Religion ist kein Thema, über das man nachts auf einem | |
Parteitag spricht. Das Thema muss so gründlich behandelt werden wie unsere | |
sozialen Stammthemen. | |
Was folgt für Sie daraus? | |
Das war ein Betriebsunfall, der bedauerlich ist. Als ich am nächsten Tag in | |
einer Erklärung meine Entscheidung für mein Nein begründet hatte, bekam ich | |
viel Applaus. Seitdem gibt es in der Linken eine Diskussion, bei der mein | |
Werben für die Bedeutung der Religion auf viel Zustimmung stößt. | |
Was bedeutet für Sie Religion? | |
Ich entstamme einer christlichen Familie, evangelische Traditionen sind bei | |
uns zu Hause gelebt worden. Die zweite Ebene ist der öffentliche Raum. Da | |
sage ich: Religion gehört zu Spiritualität, zum geistigen Wesen der | |
Menschheit dazu. | |
Was heißt das konkret? | |
Jeder kann für sich sagen: Ich glaube an den christlichen Gott, an den | |
islamischen Gott. Oder: Ich glaube an gar nichts, ich will mit all dem Zeug | |
nichts zu tun haben. Diese spirituelle Wahlfreiheit möchte ich ungern | |
verstellt wissen – unabhängig davon, was ich ganz persönlich glaube. | |
Damit stehen Sie in Ihrer Partei allein da. Keine andere Partei in | |
Deutschland gibt sich so areligiös wie Ihre. | |
Religion gehört tatsächlich nicht zu unseren Stammthemen. Und wenn es um | |
Religion geht, werden in meiner Partei darunter vielfältige Dinge | |
verstanden, Kritik an der Amtskirche etwa. Es gibt einen Genossen bei uns, | |
der als Arbeitnehmervertreter in einem kirchlichen Sozialbetrieb tätig ist | |
und der sehr präzise Kritik an den dort nur sehr eingeschränkt vorhandenen | |
Mitbestimmungsrechten übt. Darüber diskutieren wir häufig. Aber mit | |
Religiosität und Spiritualität hat das nichts zu tun | |
Wie steht Ihre Partei zur Religion? | |
Die PDS hatte ein höheres Maß an Toleranz im Umgang mit Christen als die | |
Linkspartei. Durch die Erinnerungen an die Intoleranz der SED-Diktatur auch | |
gegenüber der Kirche hatte sich innerhalb der PDS gleich nach der Wende der | |
Vorsatz durchgesetzt, eine ähnliche Intoleranz nie wieder zuzulassen. Das | |
zog sich wie ein roter Faden durch die PDS-Geschichte. Nicht zufällig | |
befand sich in der ersten linken Bundestagsgruppe unter Gregor Gysi schon | |
ein Pastor, der nicht Mitglied der Partei war. | |
Wie sehen Gläubige Ihre Partei? | |
Das Verhältnis war nicht immer einfach. Das habe ich ganz persönlich | |
erfahren: An jenem Sonntag im Jahr 1999, nachdem bekannt wurde, dass ich | |
für die PDS kandidieren werde, blieben in meiner Kirchgemeinde die Plätze | |
auf der Kirchenbank neben mir leer. Da saß ich ganz allein. Das hat sich | |
später geändert, ich habe viel Zustimmung aus meiner Gemeinde erfahren. | |
Aber am Anfang war der Schock in der Gemeinde über meine politische | |
Entscheidung groß. | |
Warum hat sich die Haltung zur Religion von der PDS zur Linkspartei | |
geändert? | |
Das hat mit der Antiklerikalität der 68er in der Bundesrepublik zu tun, die | |
vor allem in der Westberliner SPD einen Kristallisationspunkt gefunden | |
hatte. Durch die Eintritte ehemaliger SPD-Mitglieder in die PDS/WASG sind | |
solche Strömungen verstärkt in die Linkspartei vorgedrungen. | |
Karl Marx soll gesagt haben: „Religion ist Opium für’s Volk“. | |
So hat Marx den Satz nicht gesagt, sondern: „Religion ist das Opium des | |
Volkes.“ Lenin hat später daraus gemacht: „Opium für’s Volk“. Marx hat | |
gemeint: Das Volk betäubt sich mit Religion, weil die Verhältnisse so | |
schlimm sind, wie sie sind. Lenin meinte: Die Amtskirche betäubt das Volk | |
mit Religion. Das ist eine völlig andere Aussage. Es lohnt sich, Marx’ Text | |
anzuschauen. | |
22 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Haak | |
## TAGS | |
Linke | |
Linkspartei | |
Bodo Ramelow | |
PDS | |
Wahlprogramm | |
Kirche | |
Religion | |
Opium | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
Menschen | |
Schwerpunkt Landtagswahlen | |
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin | |
Menschen | |
Linkspartei | |
Bernd Riexinger | |
Parteien | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
Linke | |
Prenzlauer Berg | |
Die Linke | |
Staat | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Landtagswahl in Thüringen: Ich, sagt Bodo Ramelow | |
Er könnte als erster Linkspartei-Politiker Ministerpräsident werden. Doch | |
auf dem Weg dahin gibt es Hindernisse. Ist eines davon Ramelow selbst? | |
Ramelow über Koalitionspolitik der SPD: „Matschie kommt in der Realität an�… | |
Bodo Ramelow, Fraktionschef der Linkspartei in Thüringen, lobt die | |
Dehnungsübungen der SPD, die sich mit der Rolle als Juniorpartner | |
anfreundet. | |
Gregor Gysi über das Altern: „Es gibt Altersrassismus“ | |
Der Fraktionschef der Linken ist gelassener als in seiner Jugend. Ein | |
Gespräch über Eitelkeit, einsame Abendessen und Privilegien des Alters. | |
Kneipenabend mit Gysi und Sonneborn: „Ich rate zu Bier” | |
Wenn Satire auf Politik trifft, kann es amüsant werden. Muss es aber nicht. | |
Nicht einmal, wenn sich Gregor Gysi mit Martin Sonneborn auf ein Bier | |
trifft. | |
Die Linke geht auf SPD und Grüne zu: Nur Inhalte entscheiden | |
Käme es zu einer Mehrheit gegen Merkel, zählten für die Linke nur die | |
Inhalte: Mit diesem Angebot öffnet sich die Partei gegenüber SPD und Grünen | |
weitreichender denn je. | |
Junge CDU-Mitglieder: Autos – oder halt Politik | |
Warum tritt ein Student in eine Partei ein? Und dann auch noch in die CDU? | |
Eine Begegnung mit einem, der so an der Basis etwas bewegen will. | |
Parteitag der Linken: Tanzabend statt Desaster | |
Kein Flügelstreit, keine langen Debatten: Die Linkspartei absolviert einen | |
entspannten Parteitag. Lafontaine blieb mit seinem Anti-Euro-Kurs isoliert, | |
und die SPD bekam Hiebe. | |
Linkspartei in Ost und West: Eine Linke in Deutschland | |
Am Wochenende beschließt die Linke ihr Wahlprogramm. Aber wie sieht es an | |
der Basis aus, fern der Prominenz um Gysi, Lafontaine und Co? Eine | |
Spurensuche. | |
Konfirmation in Berlin: Gott ist zurück | |
Ganz Berlin ist eine säkularisierte Stadt. Ganz Berlin? Nein: Gerade in | |
Bezirken wie Prenzlauer Berg steigt die Zahl der Konfirmanden. | |
Wahlprogramm der Linken: In herzlicher Abneigung | |
Die Linkspartei will allein gegen alle kämpfen – und zugleich mit allen. | |
Sie präsentiert diese Botschaft mit einem Satz von Bert Brecht. | |
Umstrittene Staatsleistungen: Milliarden-Segen für die Kirchen | |
Die Linkspartei möchte die hohen Zahlungen an die Kirchen ablösen – so wie | |
es das Grundgesetz verlangt. Andere Parteien haben es damit nicht eilig. |