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# taz.de -- Linkspartei in Ost und West: Eine Linke in Deutschland
> Am Wochenende beschließt die Linke ihr Wahlprogramm. Aber wie sieht es an
> der Basis aus, fern der Prominenz um Gysi, Lafontaine und Co? Eine
> Spurensuche.
Bild: Zwei kleine rote Männer: Fraktionschef Gregor Gysi in Trier neben einer …
BITTERFELD/GELSENKIRCHEN taz | Als Bitterfeld vor zwei Wochen wegen der
drohenden Flut evakuiert wurde, stand Jan Korte, Bundestagabgeordneter der
Linkspartei, am See und füllte Sandsäcke. Unternehmer, Arbeitslose,
Schulklassen, alle halfen. „Das war die maximale Solidarität“, so Korte.
Und: „Ich habe ein paar Kilo abgenommen und Muskelkater wie nie.“ Als
Angela Merkel samt Kameras und Entourage auf Kurzvisite nach Bitterfeld
kam, gab es auch Pfiffe. Manche nervte der Katastrophen-Polittourismus. Die
Dämme haben, anders als 2002, gehalten.
Der Rathausplatz von Bitterfeld hat die typisch ostdeutsche Mixtur von
repräsentativ renovierten Gründerzeitbauten und Ramschläden. Mittwoch ist
Markttag. Reiner Mahlow, ein stämmiger Mittsechzigjähriger, steht vor
seinem Stand. „Schlüpfer aus Sachsen – Drei Stück 6 Euro“ werden dort
angeboten. Mahlow sagt: „Die Kundschaft stirbt mir weg.“ Seine
Stammklientel ist zwischen 60 und 80 Jahre alt. Immerhin: „Wenn der Mann
ins Krankenhaus kommt, dann braucht man einen neuen Schlafanzug“.
Mahlow baut jeden Morgen um halb sieben seinen Stand auf. Vor ein paar
Jahren wollte ihm die Stadt die Lizenz entziehen. Weil der Markt schick
werden sollte, nur mit frischen Lebensmitteln und ohne lachsfarbene BHs aus
Sachsen. Wie im Westen.
Damals hat ihm Korte geholfen. „Er hat einen Brief an die Bürgermeisterin
geschrieben, mit Bundestagsbriefkopf, das hat gewirkt“, sagt Mahlow. In der
Lokalpresse wurde der Zwist zum „Schlüpper-Krieg“ stilisiert, ein
symbolischer Kampf zwischen östlichem Eigensinn und Anpassung an westliche
Lebenstilästhetik. Also zwischen Gut und Böse, Opfer und Täter. Wer da in
Bitterfeld-Wolfen gewinnt, ist klar.
## Mit der Gulaschkanone auf dem Marktplatz
„Korte ist in Ordnung“, sagt Mahlow. Auch Hans-Gerd Riemer, der mit seiner
Gulaschkanone auf dem Markt steht, nickt. Warum? Weil die Linkspartei oft
auf dem Markt ist, während man CDU und SPD nur vor Wahlen sehe, so das
Urteil . Überhaupt ist es für Hans Gerd Riemer ein gelungener Tag. Um halb
zwölf sind alle Wirsingrouladen ausverkauft. „Essen und sterben tun die
Leute immer“, sagt er.
„Ich weiß nicht, ob die mich wählen. Aber sie wissen, wer ich bin“, sagt
Korte. 2009 wurde er direkt in den Bundestag gewählt, mit ein paar Stimmen
mehr als der CDU-Kandidat. Korte ist untypisch für Bitterfeld und die
Linkspartei. Er kommt aus dem Westen, ist jung, 36. Beides ist selten in
Bitterfeld-Wolfen.
## Das Geheimnis des Erfolgs: Man muss da sein
„Wir sind hier eine Volkspartei“, sagt er. Das ist der Unterschied zum
Westen, zu einer Stadt wie Gelsenkirchen. Die Probleme sind ähnlich,
Abwanderung, zusammengebrochenen Industrie. In Bitterfeld sind 11,9 Prozent
arbeitslos gemeldet, in Gelsenkirchen sind es 12,9 Prozent. Aber die Partei
tickt, hier und dort, anders.
Korte hat Sinn für Stimmungen und Effekte – wie im „Schlüpper-Krieg“ –
bewiesen. Für die Sandsack-Helfer spendierte er Eis. Das Geheimnis des
Erfolgs der Linkspartei ist simpel: Man muss da sein. Auf dem Marktplatz,
auf dem wie auf der Agora der attischen Stadtstaaten, nicht nur Waren,
sondern auch Informationen fließen.
Dort ist oft zuerst zu erfahren, wenn sich politisierbare Konflikte in der
Stadtgesellschaft anbahnen. Zum Beispiel, als einer bestens integrierten
vietnamesischen Familie die Abschiebung drohte oder Mietern in Wolfen
gepfefferte Mieterhöhungen ins Haus flatterten. Die Linkspartei war stets
vorneweg dabei. Dafür verfügt die Partei über genug Kontakte, Leute. Geld.
Noch jedenfalls.
Frank Malitte ist Geschäftsführer der Verbandes Mittelständischer
Unternehmen und nicht sonderlich Linkspartei-affin. Er sagt: „Korte hat bei
den Bürgern großen Zuspruch, weil er offen auf sie zugeht.“ Und ihnen
„nicht erzählt, wo es langgeht.“ Das mag man im Osten nicht, schon gar
nicht von Westlern. 2009 kandidiert für die SPD der Unternehmer Klaas
Hübner, erfolglos. Malitte urteilt kühl über den Unternehmer: „Von dem kam
nichts.“ Politischer Erfolg ist weniger von Weltanschauungen als von
Stilfragen abhängig.
Manche Straßen, etwa die vom Bahnhof zum Marktplatz, erscheinen zu breit
für so wenig Autos und Fußgänger. Vieles wirkt wie ein Relikt aus besseren
Zeiten. In der Innenstadt von Bitterfeld gibt es Brachflächen, wie in
vielen, schrumpfenden ostdeutschen Städten.
Bitterfeld ist ein Symbol, fest verknotet mit einer Assoziationskette:
marode, dreckige DDR-Industrie, dann abgewickelt, eine Stadtruine.
Bitterfeld-Wolfen hat in den letzten 20 Jahren ein Drittel seiner Einwohner
verloren. 44.000 wohnen noch hier. Tendenz fallend. Ein steile
Abstiegsgeschichte. So sieht es aus, von außen.
Cornelia Al-Turk, resolut wirkende Mitfünfzigerin, arbeitet für die
städtische Wohnungsbaugesellschaft „Neubi“ und sieht das anders. Sie zeigt
stolz modernisierte, recht wohnlich wirkende Plattenbauten. Vor allem die
Neubauten am Stadthafen: dreigeschossige yuppietaugliche Häuser mit Blick
auf den See, der die Stadt zu überfluten drohte.
## Klischeebild kränkt den Bürgerstolz
Jahrzehntelang wurde hier Braunkohle abgebaut. Als der Himmel aufreißt,
fühlt man sich eher wie an der Müritz als in einer lange
industrievergifteten Region. „Ich gucke ja gerne Olli Welkes ’Wochenshow‘
“, sagt Al-Turk. „Aber wenn der Welke noch mal sagt: „Dann kaufen Sie sich
doch gleich eine Immobilie in Bitterfeld“, schreib ich ihm einen Brief“,
sagt sie und schaut auf den See.
Man reagiert in Bitterfeld empfindlich auf das Bild, das der Westen von der
Stadt hat. Auf ein Bild ohne renovierte Plattenbauten, ohne noble, etwas
verloren wirkende Jugendstilvillen, ohne das postindustrielle Bitterfeld am
See. Das Klischeebild kränkt den kleinstädtischen Bürgerstolz, der zwischen
Trotz und Zaghaftigkeit changiert.
„Die Leute haben kleine Träume: dass die Kinder einen Job finden, am besten
in der Region“, sagt Korte. Man könne ihn nicht „mit großen Theorien“ o…
linken Krisengemälden kommen. Will sagen: nicht mit der scharfen
antikapitalistischen Kampfrhetorik, die die Linkspartei im Westen oft
pflegt.
Hier arbeitet man lieber am Machbaren, vernetzt mit der Zivilgesellschaft,
mit Vereinen, Volkssolidarität, Verbänden, Wohnungsbaugesellschaft, den
Aktivposten der Stadt.
## Was es nicht gibt: die Idee, alles müsse anders werden
Und den Kleingärtnern, in deren Kolonien Rentner mit gelegentlich
furchterregendem Ordnungssinn die Ideale der verlorenen Arbeitswelt
imitieren.
Die Partei gibt sich geerdet, reformistisch. Was es nicht gibt, ist die
Idee, dass alles anders werden muss. Die Linkspartei im Osten erinnert in
manchem an die SPD vor Godesberg: Sonntags werden bei Bedarf aufrührerische
Reden gehalten, am Montag macht man Politik für die kleinen Träumen kleiner
Leute.
Korte ist ein libertärer Westlinker. Er stammt aus Hannover, bis zum
Kosovokrieg 1999 war er bei den Grünen. „Vor zehn Jahren als linker Student
in Hannover hätte ich mir das nicht träumen lassen“, sagt er. Dass er im
Kulturhaus Bitterfeld-Wolfen bei Jugendweihen redet und sich um den
Parzellenleerstand der Kleingärten sorgt. Aber es gefällt ihm, in
Bitterfeld „der Jahn“ (im Osten gern mit langem Vokal) zu sein, den man
kennt. Beim Griechen, weil er schon mal mit Gregor Gysi dort war. Auf dem
Marktplatz sowieso.
Das Problem der Partei ist nicht der Mangel an revolutionärem Elan, sondern
etwas Handfestes. In Bitterfeld boomen Altenpflegeheime, die Linkspartei
ist überaltert. 2007 gab es in Sachsen-Anhalt mehr als 6.000 GenossInnen,
jetzt sind es noch 4500. Nicht mal jeder zehnte ist unter dreißig. Die
Jüngeren finden sich vor allem in den Unistädten, in Magdeburg und Halle.
In der Provinz so gut wie nicht. Es gibt erste Fälle, in denen die Partei
ein Mandat im Ortsbeirat nicht besetzen konnte. Das ist die Ausnahme, noch.
Was wird, wenn die Vernetzung von Partei und Zivilgesellschaft ausdünnt?
Korte zuckt die Achseln. Bei der Konkurrenz, bei CDU und SPD, sieht es auch
nicht viel besser aus. Die Untergangsszenarien hört man schon seit zehn
Jahren. „Manches müssen dann die Büros der Abgeordneten übernehmen“, sagt
er lakonisch. Es ist ja gut gegangen, bis jetzt.
Die Linkspartei hatte Ende 2012 in ganz Deutschland 63.761 Mitglieder,
Tendenz fallend – im Osten war der Mitgliederverlust größer als im Westen.
Dort hat die Linkspartei bei allen Landtagswahlen seit 2010 verloren, bis
zu zwei Drittel ihrer WählerInnen.
Die Gründe: Etwa ein Drittel der Linksparteiwähler ist zur SPD
zurückgekehrt, ein Drittel hat Piraten gewählt, ein Drittel sich frustriert
zurückgezogen. Es ist eine widersprüchliche, schwer zu entschlüsselnde
Botschaft der Wähler an die Partei. Ingrid Remmers, Direktkandidatin der
Linkspartei in Gelsenkirchen, kennt die Analyse. „Schwierig“ sagt sie.
Remmers, kurze blonde Haare, dünnes, dunkelgrünes Jackett, ist 2004 über
die WASG zur Politik gekommen. Sie gehört nicht zu den ehemaligen
Sozialdemokaten, die ihre frühere Partei mit Inbrunst verachten. Und auch
nicht zu denen, die in kommunistischen Kaderorganisationen gelernt haben,
wie man sich in Parteien durchbeißt. Sie ist Bundestagsabgeordnete – noch.
Bei der Wahl der Landesliste für die Bundestagswahl haben die Vertreter des
linken Flügels in Nordrhein-Westfalen fast alle aussichtsreichen Plätze
gekapert. Remmers zählt zu den Gemäßigten. Listenplatz 19 ist das Ende
ihrer Karriere im Parlament.
## Dürrezeit im Westen
2009 hatte die Linkspartei in NRW bei den Bundestagswahlen mehr als 8
Prozent. Wenn es im Herbst 4 Prozent werden, wäre das ein Erfolg. Noch
wichtiger ist etwas anderes: Hat die Partei im Westen genug eigenes
Gewicht, genug Verankerung im Kommunalen, um Dürrezeiten zu überstehen?
Martin Gatzemeier hat es zur Sitzung des Kreisvorstands der Linkspartei in
Gelsenkirchen geschafft, trotz Stau, trotz Arbeit. Er ist Schreiner und
baut Fenster. Anstrengender Job. Der scheue, großgewachsene Mann blättert
in der WAZ und zeigt freudig auf eine Meldung im Lokalteil: eine
Ankündigung der Bürgersprechstunde der Linkspartei am Samstag. Man steht in
der Zeitung. 20 Zeilen auf Seite fünf. Ein Erfolg.
Dem Kreisvorstand gehören sechs GenossInnen an. Man tagt in einem knapp 20
Quadratmeter großen Raum. Es gibt viel zu organisieren: ein offenes Zelt,
Kaffee, wer bringt Filtertüten mit? Die Bürgersprechstunden am Samstag, den
8. Juni, wird die aufwändigste Aktion des Jahres für die Gelsenkirchener
Linkspartei. Man hat ein Plakat entworfen „Was können wir für Sie tun?“,
steht darauf.
Man will zeigen, dass man offen ist für die Stadt, für alle, und bloß nicht
ideologisch wirken. Man will zeigen, dass man konstruktive Politik machen
will. Gatzemeier echauffiert sich über den Euro-Hawk-Skandal: „Da packse
dich annen Kopp“ sagt er. Gelsenkirchen hat eine Milliarde Euro Schulden.
Der Staat braucht mehr Einnahmen, von den Reichen, so der Tenor. Viel
anders klingt es in manchem SPD-Ortsverein auch nicht.
Als schwierig erweist sich die Idee, später im Wahlkampf mal eine Band
spielen zu lassen. Dafür braucht man eine Bühne. Letztes Mal hatte man eine
von der MLPD ausgeliehen, einer maoistischen Sekte, die stark ist in
Gelsenkirchen. „Jetzt im Wahlkampf kriegen wir die nicht noch mal“,
fürchtet Gatzemeier. Es ist nicht leicht, in der Linkspartei in
Gelsenkirchen zu sein.
Die Kreisverband Gelsenkirchen hat eine konfuse, verworrene Geschichte.
## Das Chaos war besonders krass, aber kein Einzelfall
2009 zog die Partei in den Stadtrat ein, aber die Ratsfraktion ist komplett
aus der Linkspartei ausgetreten. Sie nennt sich nun
„Bürger-Bündnis-Gelsenkirchen“ und fällt gelegentlich durch irrlichternd…
Populismus auf. „Das waren keine Linken“ sagt Ingrid Remmers knapp.
Das Chaos war in Gelsenkirchen besonders krass, aber es war kein
Einzelfall. Nach 2005, als es mit der Linkspartei steil bergauf ging, zog
die Partei im Westen auch schwierige Leute an: Unzufriedene, Gestrandete,
Egozentriker. Es gab Clanbildungen, manipulierte Kampfabstimmungen,
Mandatsträger, die kein Geld an die Partei abführten. Parteiausschlüsse.
530 Abgeordnete in Stadträten und Bezirksparlamenten hatte die Linkspartei
in Hochzeiten in Nordrhein-Westfalen. 110 sind inzwischen aus der Partei
ausgetreten.
## Immer brauchte man schnell Kandidaten
Die Partei ist zu schnell gewachsen, war zu rasch erfolgreich: Auch wo sie
fast nur auf dem Papier existierte, wurde sie gewählt. Und immer stand eine
wichtige Wahl an, für den Bundestag, zweimal für den Landtag, für die
Kommune. Immer musste mobilisiert werden, immer brauchte man schnell
Kandidaten. Die Wahlen bestimmten den Takt der Partei.
Was auf der Strecke blieb, war das unspektakuläre Alltagsgeschäft:
Bildungsarbeit, der innere Zusammenhang, lokale Vernetzung. 6.800
GenossInnen gibt es zwischen Rhein und Ruhr noch. Rüdiger Sagel, Parteichef
in NRW, sagt: „Wir sind jetzt in NRW auf niedrigem Niveau stabil.“
In Gelsenkirchen hat die Linkspartei 90 Mitglieder, es waren mal 250. Viele
haben sich in den chaotischen Jahren, als die Exratsfraktion das Sagen
hatte, abgewendet. Aktiv sind von den 90 GenossInnen zehn. Zehn für 250.000
Einwohner. Der Kreisvorstand ist fast identisch mit der aktiven Partei. Wie
in Jim Knopfs Lummerland, wo der König zwei Untertanen regiert.
Die Handvoll linke Aktivisten sind geerdete Leute, die versuchen, die
Drähte zur Stadtgesellschaft zu behalten. Eine kommt aus der kurdischen
Community, eine aus einer Mieterinitiative. Einer ist Chef der örtlichen IG
Metall. Einer ist Stadtplaner und stolz auf das postindustrielle
Gelsenkirchen.
Wie den Nordsternpark, ein großzügiges, im demokratischen Geist des
Bauhauses angelegtes Grünarreal, wo vor 15 Jahren noch eine verrostete
Kokerei stand. Eine kommt aus der Anti-Hartz-IV-Bewegung, die längst
ausgefranst ist.
Sie wollen etwas Ähnliches wie Korte & Co in Bitterfeld: konkrete Politik
vor Ort. Doch es fehlen Kontakte, Leute, Geld. Und ohne Fraktion im
Stadtrat auch Informationen. Die soziale Protestbewegung, die der Sprit
beim Aufstieg der Linkspartei nach 2005 war, ist längst versiegt.
So tut man in Gelsenkirchen, was man kann: die Organisation
aufrechterhalten, bei den linken Hochämtern, am 1. Mai und am
Antikriegstag, Flagge zeigen. Man hofft auf auf die Kommunalwahl im Mai
2014. Auch wenn der Kreisvorstand noch nicht weiß, wo die 33
Direktkandidaten herkommen werden.
## SPD: Die Linkspartei findet hier so gut wie nicht statt
Heike Gebhardt, SPD-Landtagsabgeordnete aus Gelsenkirchen, äußert sich
knapp: Die Linkspartei „ist im politischen Leben in Gelsenkirchen
bedeutungslos, sie findet hier so gut wie nicht statt.“
Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat sagt auf Anfrage gar nichts. Die
Linkspartei ist nicht satisfaktionsfähig, soll das heißen, nicht mal ein
Gegner. In Gelsenkirchen gibt es 3.500 GenossInen mit SPD-Parteibuch,
35-mal so viel wie in der Linkspartei.
Am Samstag strömen Hunderte, Tausende an dem offenen Zelt der Linkspartei
am Bahnhofvorplatz vorbei. Man hat Tische, Bänke, Kaffee, Kekse, ein
Mikrofon organisiert. Alles ist bereit. Das Transparent „Wir sind für Sie
da“ hängt etwas versteckt irgendwo hinten im Zelt.
## Gegen den SPD-Mann kommen sie nicht an
Ingrid Remmer blinzelt in die Sonne und sagt: „Frank Baranowski macht es
uns schwer“. Baranowski ist SPD-Oberbürgermeister und der Star der hiesigen
Sozialdemokratie.
Er hat die Ende der 90er Jahre desolate SPD vorsichtig reformiert und ist
fast mit Zweidrittelmehrheit zum Oberbürgermeister gewählt worden.
Auch bei den örtlichen Grünen gilt er als jemand, der in misslicher Lage,
trotz Fastbankrott und Wohnungsleerstand von 6 Prozent, vorbildliche
Politik macht. „Beim 1. Mai redet der wie ein Linker“, sagt Remmers. „Geg…
den ist kein Blumentopf zu gewinnen.“ So ähnlich ist es auf Landesebene:
Auch gegen Hannelore Kraft, die das soziale Image der SPD restauriert hat,
war die Linkspartei hilflos.
Remmers schaut auf den Strom der vorbeihastenden Passanten. Die
Gelsenkirchener Innenstadt ist migrantisch geprägt – und arm. Es ist keine
Klientel, die den Eindruck macht, dass ihr Politik und das Gelsenkirchener
Gemeinwesen eine Herzenssache ist. Der Zuspruch ist bescheiden.
Remmers spricht kurz mit einem jungen Mann, der zu verstehen gab, sowieso
„Linkspartei“ zu wählen. Ein Gespräch mit einer älteren Dame endet wenig…
erfreulich. Sie schimpft über die Ausländer. „Das ist nicht unsere
Zielgruppe“, sagt Remmers danach entschieden.
Es kommt auch vor, dass Passanten, wenn sie das Logo „Die Linke“ sehen,
knapp auf die Mauerbauer schimpfen, auf Kommunisten, DDR. Der Osten ist in
Gelsenkirchen weit weg, ein böses Gespenst der Vergangenheit. Das sitzt, so
ein Linksparteigenosse, „tief, gerade bei alten Sozialdemokraten“. Will
sagen: Ohne Linkspartei Ost, ohne Ex-SED und PDS, gäbe es dieses Hindernis
so nicht.
Mittags schließt man das Mikrofon an. Remmers redet mit Johanna Voß,
ebenfalls linke Bundestagsabgeordnete, über Wasserprivatisierung. „Die
Wasser- und Stromversorgung ist Aufgabe des Staates“ sagt sie. Und wettert,
dass „in Bottrop Stadtteilbibliotheken geschlossen werden“.
Gegenüber schlürft man beim Backdiscounter Billigkaffee. Achtlos zieht der
Strom der Passanten vorbei. Niemand bleibt stehen. Politik ohne Publikum.
Einmal halten zwei Rentner mit Rollatoren, kurz. Es ist ein Bild, das
trostlos zu nennen untertrieben ist.
„Ein Gespräch kommt bei den Leuten besser an, als wenn nur einer redet“
sagt Remmers, nachdem das Mikrofon abgeschaltet ist. Da ist eine recht
kühne Deutung.
„Man muss“, sagt Remmers mit rauchiger Stimme, „einfach Geduld haben.“
14 Jun 2013
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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