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# taz.de -- Bilder zur Unzeigbarkeit der Shoah: Zwischen Glanz und Rauch
> Künftig wird Gerhard Richters „Birkenau“-Zyklus im Reichstag zu sehen
> sein. Er versucht zu zeigen, was nicht zu vermitteln ist: die Barbarei
> der Shoah.
Bild: Nicht alles, was man sehen kann, kann man auch zeigen
Am Westeingang des Reichstags hängt auf einer der dreißig Meter hohen Wände
des Eingangsbereichs eine vertikale „Flagge“. Das Kunstwerk „Schwarz, Rot,
Gold“ schuf Gerhard Richter im Jahr 1999. Ursprünglich hatte Richter
geplant, an dieser Stelle vier Bilder anzubringen, die Häftlinge aus
Auschwitz zeigen. Doch dann zog der Künstler die Idee zurück. Richter
gelang es zum einen nicht, die richtigen Motive zu finden, zum anderen
stellte sich die räumliche Situation als schwierig heraus: Der Betrachter
kann nur wenig Abstand nehmen, wenn er die Bilder an der hohen Wand in
Augenschein nehmen will.
Stattdessen installierte der Künstler, in einem klassischen Richter-Move,
sechs rechteckige, jeweils monochrom in Schwarz, Rot und Gelb emaillierte
Glasscheiben in Form eines Banners, zusammen 21 Meter hoch, die weder eine
Flagge noch ein Gemälde sind. Die glänzende Trikolore ist eine
Gemäldeperformance, perfekt kompatibel mit der Architektur des Reichstags.
Sie fängt die helle, aber auch beschichtete Atmosphäre einer Demokratie
ein, die vor Drama, Pathos und Charisma zurückschreckt.
Es ist eine inaktive Flagge, die durch das Fehlen einer Hierarchie
zurückverweist auf jene andere Flagge mit dem Hakenkreuz in der Mitte.
Richters antisymbolische Abstraktion verbindet sich mit der symbolischen
Abstraktion der Flagge und reagiert pfiffig – und adäquat für den
ästhetischen wie politischen Kontext – auf die Frage, ob und wie Kunst sich
in den Dienst deutscher Kultur- und Repräsentationspolitik stellen soll.
Am vergangenen Montag wurden gegenüber der Richter’schen Fahne vier Tafeln
des Künstlers aufgehängt, die den Titel „Birkenau 2014 (Fotoversion CR 937
A)“ tragen. Es sind digitale Reproduktionen von vier Gemälden, die Gerhard
Richter im Sommer 2014 gemalt hat und 2015 zum ersten Mal im Albertinum in
Dresden zeigte. Damals hieß der Bilderzyklus noch „Abstraktes Bild“, dann
aber nannte Richter ihn in „Birkenau“ um. Die 2,60 mal 2 Meter großen
Ölgemälde bestehen aus mehreren Schichten pastöser Farbe, die eine
Gitterstruktur aus mit dem Rakel gewischten weißen, roten, schwarzen und
grünen Streifen bilden, deren Vermischung graue und braune Flächen
entstehen lässt.
## Die Vernichtung verwischt
Unter den Farbschichten begraben ist der Ausgangspunkt der Bilder: Richter
hat vier Fotografien abgemalt, die 1944 von Mitgliedern des Sonderkommandos
in Auschwitz-Birkenau aufgenommen wurden. Die Häftlinge des Sonderkommandos
mussten die Körper der Ermordeten aus den Gaskammern in die Krematorien
bringen. Die Angehörigen des Kommandos wurden als Zeugen des Verbrechens
regelmäßig ausgetauscht und ermordet.
Die vier Fotos sind die einzigen, die von Häftlingen aufgenommen wurden und
die den Vorgang der Vernichtung dokumentieren. Sie zeigen eine Gruppe
nackter Frauen, die wahrscheinlich in die Gaskammer getrieben werden. Ein
weiteres dokumentiert die Verbrennung übereinandergeworfener Leichen.
Schwarze Rahmen lassen vermuten, dass durch ein Fenster oder einen
aufgeschnittenen Eimer fotografiert wurde. Offensichtlich konnte der
Fotograf den Ausschnitt nicht kontrollieren. Die Bilder wurden dem
polnischen Widerstand übergeben, der sie ihrerseits aber nicht
weitervermittelte.
Seit diese Fotos 1985 der Öffentlichkeit bekannt wurden, wird darüber
gestritten, ob Fotos das Geschehen der Shoah auf adäquate Weise
dokumentieren und repräsentieren können: Die barbarische Verletzung der
Integrität des menschlichen Körpers hat Auswirkungen auf den Status des
Verhältnisses von Bildern zur Geschichte.
Claude Lanzmann argumentierte, dass Bilder, dokumentarisch oder fiktiv, das
Gegenteil von dem erreichten, was zu tun sie vorgeben: Sie schirmten den
Betrachter von den Grausamkeiten ab, die sie zeigen. Georges Didi-Huberman
dagegen verteidigte das Vermögen speziell dieser vier Fotografien, uns
Zugang zur Geschichte zu gewähren, ohne uns zu betrügen. Es ist möglich,
dass sie die wichtigsten Aufnahmen in der Geschichte der Fotografie sind.
Gerhard Richter erfuhr von ihnen in einer Rezension von Didi-Hubermans Buch
„Bilder trotz allem“.
## Das Unmalbare durchdringt Richters Werk
Bis dahin hatte Richter auf die Frage der Repräsentation mit Löschen,
Enthaltung und Maskierung geantwortet. Schon in Bild Nummer 1 von 1962,
„Tisch“, wird ein grauer Designertisch durch „expressive“ Pinselstriche
teilweise überschrieben. Richters Bild Nummer 3, das er später zerstörte,
bearbeitete auf ähnliche Weise ein Porträt Hitlers. In den späten sechziger
Jahren plante Richter eine Ausstellung mit Gemälden auf der Grundlage von
Fotos, die Häftlinge aus Buchenwald und Bergen-Belsen sowie Ausschnitte aus
deutschen Pornomagazinen zeigten.
Doch auch hier entschied sich Richter schließlich, die Bilder zu zerstören,
die auf Aufnahmen aus den Lagern der Nazis basierten. Das Unmalbare oder
Nichtrepräsentierbare macht so eine ganze Sektion seines Werks aus.
Die Duplikate der vier Gemälde, die nun im Reichstag hängen, hatte Richter
unmittelbar nach den Gemälden hergestellt. Sie übermitteln eine Simulation
der Gemälde, und stehen somit für einen weiteren Dreh im Hin und Her
zwischen Fotografie und Malerei, dem Realen und dem Vorgestellten, der
schon mit den Originalen der bearbeiteten Fotos aus Birkenau beginnt, deren
Negative verschollen sind. Richter bringt die Fotos auf die Leinwand, und
übersetzt sie in ein Foto zurück. Es ist typisch für Richters Arbeitsweise,
eine metaphorische Glasscheibe zwischen Werk und Betrachter einzuziehen.
Wie aber ist die Transformation zu verstehen, dass jene fragilen Fotos, die
von Häftlingen, die später ermordet wurden, unter Lebensgefahr als Zeugnis
aufgenommen worden waren, nun – wenn auch unsichtbar – in eine monumentale
Darstellung am Eingang des Reichstags verwandelt wurden?
## Jedes verwischte Bild hätte dieselbe Funktion erfüllt
Die Kontrolle über diese Perspektive einzunehmen und sie zu ästhetisieren,
produziert einen blinden Fleck. Die Bilder legen eine Aneignung der
Perspektive der Ermordeten nahe und konvertieren sie in ein Genre, das in
gewissem Grad dekorativen Charakter hat, dessen sich Richter wohl bewusst
ist. Wenn die adäquate Reaktion auf die Frage der Darstellbarkeit
tatsächlich in der Auslöschung und Negation des Bilds besteht, warum
werden so viele Bücher und Texte darüber veröffentlicht? Warum werden dem
„Birkenau“-Zyklus Reproduktionen der vier Fotos zur Seite gestellt? Der
Titel „Birkenau“ funktioniert wie ein Etikett, das bereits die Prozedur
des Entzifferns aktiviert. Jedes andere verwischte Bild hätte dieselbe
Funktion erfüllt.
Die vier Bilder von „Birkenau“ werden auf der Hochglanzoberfläche von
„Schwarz Rot Gold“ reflektiert. Zusammen stehen die Arbeiten für ein Vor-
und Nachher. Sie konstituieren eine dramatische Geste Deutschlands
gegenüber sich selbst, zwischen dem Glanz und dem Rauch.
Wer nun den wichtigsten Ort der deutschen Demokratie betrete, wird zwischen
„Schwarz Rot Gold“ und „Birkenau“ hindurchgehen müssen, sagte
Bundestagspräsident Norbert Lammert am Montag. Er beschrieb in Gegenwart
des Künstlers seine Begegnung mit Birkenau und erklärte, warum er Gerhard
Richter darum gebeten hat, dieses Werk dem Bundestag zur Verfügung zu
stellen: Es gehöre an keinen anderen Ort als diesen.
10 Sep 2017
## AUTOREN
Tal Sterngast
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