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# taz.de -- Das Diptychon von Melun: Blicke, die sich nicht treffen
> Eine Mätresse als Vorbild für die Mutter Gottes: Der französische
> Hofmaler Jean Fouquet, das moderne Museum und der Hass auf Kunst.
Bild: Mutter Gottes mit Kind und Engeln. Die rechte Tafel des Diptychons von Je…
Die Madonna strahlt. Ihr Bild, dem jede lineare Perspektive fehlt, ist
vollkommen künstlich in seiner Flachheit. Eingerahmt wird die Mutter Gottes
von skulpturalen, ineinander verwobenen Engeln, die den Raum vollständig in
Dunkelrot und Indigo ausfüllen. Sie zeugt eher von einer menschlichen
Erotik als von Heiligkeit. Tatsächlich zeigt das delikat glänzende, auf
Eiche gemalte Bild aller Wahrscheinlichkeit nach Agnes Sorel, die zum
Zeitpunkt seiner Entstehung bereits zwei Jahre tot war.
Sorel hatte als schönste Frau Frankreichs gegolten, aber auch als die erste
Frau, die offiziell als Mätresse von Karl VII. von Frankreich anerkannt war
und herrschaftliche Privilegien besaß. Ihre Machtfülle brachte ihr viele
Feinde ein. Sie wurde im Alter von 28 Jahren vergiftet, schwanger mit ihrem
vierten Kind.
Ihr metallisch blaues Kleid betont eine extrem dünne und zarte Taille. Das
Korsett entblößt schneeweiße Haut und eine runde Brust, glänzend wie eine
Perle. Perlen schmücken auch ihren Thron und ihre Krone, die sie zusammen
mit dem transparenten Schleier als Himmelskönigin identifizieren und so das
Historische, das Politische und das Heilige vermengen.
Als Madonna lactans, also als Madonna, die Jesus die Brust gibt, sitzt sie
im Vordergrund des Bilds. Das Kind, von ihr auf ihrem linken Knie gehalten,
richtet seinen Blick auf den linken Flügel des Diptychons, das den knienden
Stifter des Bildes zeigt: Étienne Chevalier, Schatzmeister der
französischen Könige Karl VII. und Ludwig XI., daneben Chevaliers
Schutzheiliger, der heilige Stephanus. Dieser blutet rote Tropfen von Farbe
und hält einen scharfen Stein, der mit dem Kopf des Kindes korrespondiert.
Der Stein steht für sein Martyrium. Stephan wurde in Jerusalem gesteinigt.
Hinreißend und beispiellos
Chevalier hatte das Diptychon bei Jean Fouquet in Auftrag gegeben, um es in
der Gruft seiner früh verstorbenen Frau in Notre Dame in Melun aufzuhängen.
Die beiden Bildtafeln, die um 1455 entstanden, blieben in der Kathedrale,
bis sie 1775 separat verkauft wurden. Die rechte Tafel mit der Madonna, die
damals vom Bürgermeister Antwerpens gekauft worden war, gehört heute dem
dortigen Koninklijk Museum voor Schone Kunsten. Die linke Tafel kaufte die
Gemäldegalerie 1896 von der Sammlung Ludwig Brentanos in Frankfurt am Main.
Heutigen Betrachtern erscheinen die beiden Bilder auf überraschende Weise
hinreißend und außergewöhnlich. Die Formen und Farben scheinen in der
Malerei beispiellos zu sein. Die Madonna wirkt außerirdisch, die Engel wie
bionische Kreaturen. Es ist schwer einzuschätzen, wie zeitgenössische
Betrachter auf das Diptychon von Melun reagiert haben mögen, das eine Figur
zeigt, die auf säkulare Weise modisch und formal so radikal neu erscheint.
## Neue Zentralperspektive
Das Diptychon, damals ein übliches Format, wurde zuletzt vor achtzig Jahren
anlässlich der Weltausstellung 1937 in Paris zusammen gezeigt und dabei als
nationales Emblem für ein Frankreich des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt.
Im 18. Jahrhundert noch hatte das Bild als hässliche Abbildung einer
kontroversen Frau gegolten und hing an einer wenig prominenten Stelle in
den Räumen des Antwerpener Museums.
Die beiden Flügel wurden erst im vergangenen September wieder
zusammengebracht und werden wegen des großen Interesses der Besucher nun
noch bis bis Anfang Oktober 2018 in der Berliner Gemäldegalerie zu sehen,
im Rahmen einer Ausstellung von Arbeiten, anhand derer den Spuren des
ästhetischen und historischen Kontexts nachgegangen werden kann.
Während sich die Madonna und das Jesuskind in einem flachen,
nicht-illusionistischen Raum zu befinden scheinen, ist auf der linken Tafel
perspektivisch eine mit Marmor verkleidete Wand zu sehen, die Zeugnis
abgibt von der Zeit, die Jean Fouquet in den 1440er Jahren in Italien
verbracht hatte, wo er der Zentralperspektive in der Renaissance-Malerei
begegnet war.
Die Ikonografie der Madonna dagegen steht in einer Tradition nördlich der
Alpen, so wie die prägnanten Linien charakteristisch für die
Miniaturmalerei und die detaillierte Ausführung sind, die man aus der
flämischen Malerei kennt – die feinen Reflektionen eines Fensters auf der
glänzenden Oberfläche von zwei der Kugeln, die den Thron schmücken,
erinnern an Details aus Bildern Jan van Eycks.
Die beiden Tafeln, die auf den ersten Blick so unterschiedlich zu sein
scheinen, bilden eine räumliche Einheit, deren Fluchtpunkt genau unter dem
Kinn der Madonna liegt. Während ihr introvertierter Blick nach außen hin
dem Kind zugewandt ist, kreuzen sich die Blicke des Auftraggebers, des
Heiligen und des Kindes im Raum, ohne sich je zu treffen.
## Ein Image herstellen
Jean Fouquet wurden 1415 in Tour geboren. Er arbeitete für König Karl VII.
und wurde unter Karls Nachfolger Ludwig XI. zum peintre du roy, also zum
Hofmaler ernannt. Er starb 1480. Die Behauptung und Zurschaustellung der
hingebungsvollen Tugendhaftigkeit und Pietät seines Auftraggebers hatte
eine politische Funktion im Kontext des neuen Königtums und der
nationalen Identität. Frankreich war erst nach einem hundertjährigen
Krieg vereint, das Königtum gegründet worden.
Zugleich dient das Bild als Vehikel der Darstellung eines neuen, säkularen
und höfischen Verhältnisses zwischen Künstler und Auftraggeber. Als private
Auftragsarbeit eines mächtigen Mannes sollte das Diptychon nicht nur seine
eigene Gruft schmücken, sondern von Kirchgängern gesehen werden und ein
bestimmtes Bild von ihm zeichnen.
## Pädagogischer Auftrag
Es wäre allerdings falsch, sich Fouquet klischeehaft als Beispiel für die
individuelle geniale Künstlerpersönlichkeit vorzustellen, die auf dem Weg
zum modernen Künstler aus der mittelalterlichen Anonymität hervortritt.
Fouquet war einer der größten französischen Maler, und er besaß eine große
Manufaktur, die Bilder und Manuskripte herstellte.
Der Status jedes Bildes ist von seiner Provenienz bestimmt, wird aber durch
den Kontext verändert, in dem es gezeigt wird. Nachdem der eine Teil des
Bildes 1896 von der Sammlung der Gemäldegalerie in Berlin erworben wurde
und nicht mehr in der Kirche oder einer privaten Sammlung hängt, wird es
nun wie eine Perle in einer Kette behandelt: die ein Stadium in der
Evolution einer Kunstgeschichte repräsentiert, die ihre Exponate in Genres
gruppiert und geografisch und chronologisch einordnet.
Die Berliner Gemäldesammlung ist die erste Sammlung alter europäischer
Malerei, die nach streng kunsthistorischen Gesichtspunkten konzipiert
wurde. Sie sollte den Besuchern einen enzyklopädischen Überblick über alle
europäischen Malschulen bis zum 18. Jahrhundert verschaffen.
Die Sammlung wurde vom preußischen Staat konzipiert. Sie hatte den
pädagogischen Auftrag, an der Transformation einer Öffentlichkeit
mitzuwirken, die nun nicht mehr aus Untertanen, sondern Bürgern bestehen
sollte. Der Staat begann damit, Kunstwerke zu erwerben, um öffentliche
Kunstsammlungen aufzubauen, die zugleich als nationale Schätze gedacht
waren.
## Der Hass auf die Kunst
In gewisser Hinsicht ersetzt das moderne Museum die Kirche als
Manifestation von Autorität und als Versammlungsort. Im vergangenen
Jahrhundert hat es sich extrem verändert. Es wurde von der Massenkultur
herausgefordert, aber auch von der modernen Kunst und vom Hass großer Teile
der Öffentlichkeit auf eben diese. Inzwischen ist der Wunsch, Macht und
Einfluss auszudrücken, in den Händen einer neuen Klasse von Patronen –
Unternehmen oder reichen Privatleuten, die eigene Sammlungen und Museen
einrichten.
Das pädagogische Prinzip, die bürgerliche Öffentlichkeit zu erziehen, wird
oft durch Konsum, Unterhaltung oder Tourismus ersetzt. Obwohl Statistiken
zeigen, dass museale Ausstellungen von zeitgenössischer Kunst inzwischen
weitaus populärer und besser besucht sind als die gesammelten Alten
Meister, besteht das Ressentiment gegenüber kompromisslosen
Kunstausstellungen weiter und zeigt sich manchmal versteckt, manchmal
offen: als Parodie, Aufruf zur Zensur, seltener in direkter Aggression
gegenüber Kunstwerken.
Neben dem Diptychon wird in Berlin ein Emaillemedaillon gezeigt, das vom
Louvre ausgeliehen wurde. Es war ein Teil des originalen Rahmenschmucks der
Bildtafeln, der nicht mehr existiert. Das einzig übrig gebliebene Medaillon
zeigt Jean Fouquets Selbstporträt. Das Gesicht des Malers ist in Gold auf
den glänzenden dunklen Untergrund gemalt. Darunter seine Signatur.
Das hat es in der Kunstgeschichte vorher nicht gegeben, ein eigenständiges
signiertes Selbstporträt. Fouquet blickt klar und nüchtern auf den
Betrachter. Er scheint sich seines Status als Künstler an der Schwelle zur
Neuzeit wohl bewusst zu sein.
5 Jan 2018
## AUTOREN
Tal Sterngast
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