# taz.de -- Bewegende Kunst: Mehr Leben durch Tod | |
> Zum 25-jährigen Bestehen des Museums schockt und lockt die Weserburg mit | |
> Werken aus der Sammlung Reydan Weiss | |
Bild: Direktor Peter Friese mag nicht, wenn Penck beim Sammler überm Sofa hän… | |
BREMEN taz | „Wenn ich in die Wohnung eines Kunstsammlers komme und dort | |
hängen ein Penck und ein Baselitz überm weißen Ledersofa, dann gehe ich | |
gleich wieder“, sagt Weserburg-Chef Peter Friese. Als er Reydan Weiss in | |
Essen besuchte, stand im Wohnzimmer eine viktorianische Ausstellungsvitrine | |
als Blickfang, proper gefüllt mit Voodoo-Objekten, Heiligenfiguren und dem | |
Personal eines schamanistischen Puppenspiels – einige der Geschöpfe | |
scheinen direkt aus Alpträumen gecastet worden zu sein. Zwischendrin hocken | |
kuschelniedliche Häschen – als Stellvertreter der australischen Künstlerin | |
Linde Ivimey, Spitzname Bunny. | |
Dieses Panoptikum der Angst schuf sie, als sie eine Krebsdiagnose erhalten | |
hatte: Es wirkt wie eine Wunderkammer zusammengeklauter Andenken kolonialer | |
Kulturgutsammler. Alles ist aber selbst gebastelt. Nämlich genäht, geklebt, | |
geschweißt und gehäkelt aus groben Garnen, tierischen Häuten, menschlichen | |
Haaren, textilen Fetzen, Knochen und Krimskrams, den Puppendoktoren | |
irgendwo herausoperiert haben. | |
In Weiss’ guter Stube stand neben diesem Kunstmöbel, achtlos an eine Säule | |
gelehnt, auch ein Werk Bernard Frizes, an dem Friese „der Balanceakt | |
zwischen freiem Farbfluss und gewolltem Malakt“ interessiert: ineinander | |
verlaufende Acrylfarbbalken, die von Weitem wie asiatisch dahingetuschte | |
Gebirgszüge im Nebel aussehen. | |
Davor platziert hatte Weiss eine Nagerfalle, von Andreas Slominski zum | |
Mäusetotem aufgehübscht. Dazu eine Weltkugel aus Mäuseschädelknochen, die | |
Alastair Mackie aus dem Gewölle der in seinem Atelier hausenden Eule gepult | |
hat. Und im Stil spanischer Stillleben fotografierte Speisen – es sind | |
Henkersmahlzeiten aus texanischen Todeszellen. Friese jedenfalls war | |
begeistert. Keine Trophäensammlung, um zu zeigen, was sich andere nicht | |
leisten können. | |
„Weiss lebt mit ihrer Kunst, die ihr persönlich etwas bedeutet“, sagt er. | |
Klar, es gibt auch die großen Namen, Anselm Kiefer, Gerhard Richter, Cindy | |
Sherman, aber vor allem Entdeckungen über Entdeckungen. Gerade aus Asien, | |
Ozeanien, Afrika, Lateinamerika und der Karibik. „Mir ist das Leben | |
lieber“, heißt die Präsentation von etwa 100 Werken jetzt in der Weserburg. | |
Es ist die derzeit reizvollste Ausstellung in Bremen, ideal zum 25. | |
Geburtstag des Sammlermuseums. Da es kunsthistorisch noch unabgesicherte | |
und zeitgenössisch bereits gefeierte Positionen in beeindruckender | |
Vielgestaltigkeit gegenüberstellen und dabei frische Einblicke ins globale | |
Panorama der Gegenwartskunst bieten kann. Warum die Kuratoren des Museums | |
dazu eine Sammlerin brauchen? Weil die das Geld hat. | |
Ihr Ehemann ist Ralf Roger Weiss, der 1987 die Management für Immobilien AG | |
gegründet hat. Mit Shoppingcentern erwirtschaftete sie ein | |
Milliarden-Vermögen. Weiss verkaufte über 90 Prozent seiner | |
Unternehmensaktien. Heute pendeln die Weissens zwischen ihren Häusern in | |
Deutschland, der Türkei und Neuseeland hin und her. Und sammeln Kunst. | |
Deswegen ist die Weserburg aber kein Selbstdarstellungsort der | |
Kulturschickeria. | |
Dort präsentierte Sammlungen, auch die der Weissens, sind nicht als reine | |
Wertanlage oder Spekulationsobjekt zusammengestellt worden, sondern auch | |
Liebhaberei. Reydan Weiss kann sich diese Art intellektueller Verheimatung | |
leisten. Und fühlt sich zu Hause in der Offenheit dem Fremden gegenüber. | |
So wuchs sie auf, wurde in Istanbul geboren, dann nach Jordanien | |
umgesiedelt, ist in Jerusalem auf eine Klosterschule gegangen und vor den | |
Folgen des Sechstagekrieges nach München geflohen. Hat im Spannungsfeld | |
kultureller Widersprüche gelernt, Verschiedenheit als Anregung zu genießen. | |
Ohne zu hierarchisieren. Auch ohne zu harmonisieren. Weiss sammelt nicht | |
nach Themen, Kunstepochen, Herkunftsland – sondern nach dem | |
Gänsehautprinzip. | |
Friese: „Wenn sie bei der Begegnung mit immer neuen künstlerischen | |
Weltsichten auch erst mal nichts versteht, aber erstaunt, erschreckt, | |
berührt, fasziniert ist – dann kauft sie.“ Die Weserburg lädt nun zu dies… | |
Dialog mit dem Disparaten. Da hängt pointilistische Aboriginal Art neben | |
rechteckiger Minimal Art von Imi Knoebel. Da steht eine weibliche Figur aus | |
Bronze, mit Kopftuch, aber nackt (Olaf Metzel: Turkish delight) – in ihrem | |
Rücken hängen Daniela Rossells Porträts gelangweilter Millionärsgattinnen. | |
Nur einige Vasen wirken etwas verloren. „Die mussten wir aufstellen, das | |
war Weiss’ einzige Bedingung“, erklärt Mitkurator Guido Boulboullé. Und | |
nun? „Weder ist unser Haus marode noch das Konzept ein Auslaufmodell“, | |
stellt Friese klar. „Demnächst wollen wir Sammlungen der U 40-Generation | |
kuratieren.“ | |
3 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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