# taz.de -- Berliner reagieren auf Anschlag: Trauer am Pariser Platz | |
> Rund 1.000 Menschen gedenken vor der französischen Botschaft in Berlin | |
> der Opfer des Terroranschlags auf „Charlie Hebdo“. | |
Bild: Trauer am Pariser Platz in Berlin am Mittwochabend. | |
BERLIN taz | „Manipulierte Presse“ – auf dieses Schlagwort kommt Heidrun | |
Achilles sehr schnell zu sprechen. In der kalt ausgeleuchteten Abendluft | |
auf dem Pariser Platz nahe dem Brandenburger Tor wirken die Augen der | |
60-Jährigen besonders rot. Sie sind gerötet vor „Entsetzen“, nicht vor | |
Trauer. Das unterscheidet Frau Achilles von den meisten hier, auf der | |
Gedenkkundgebung vor der französischen Botschaft. | |
Heidrun Achilles ist Mittwochabend, gute neun Stunden nach dem Attentat, | |
eine der wenigen „Eingeborenen“, wie sie verärgert feststellt, neben | |
Hunderten Teilnehmenden, zumeist Franzosen. Es hätten schon mehr Deutsche | |
kommen können, meint die Steglitzerin. Für sie scheint das alles irgendwie | |
hineinzupassen in die gegenwärtige Diskussion um die Presse hierzulande: | |
Die einen würden kuschen, die anderen würden ermordet. Und die 17 Thesen | |
von Pegida habe noch keines der Medien veröffentlicht. – Nein, bei | |
Pegida-Demos ist sie „bis jetzt nicht dabei“, stellt sie klar, „zu prolli… | |
seien einige von denen. | |
Heute geht es Heidrun Achilles allein um Pressefreiheit: „Die haben wir uns | |
in der späten Nachkriegszeit erkämpft. Wenn aber eine Karikatur nicht mehr | |
Karikatur ist, dann ist die weg.“ So klingt Entsetzen, wenn es noch eine | |
Sprache findet. Viele der jungen Menschen scharen sich still um brennende | |
Teelichter, die am Boden liegen. Dazwischen auf Papier in vielen Sprachen | |
das Statement der Solidarität: Je suis Charlie – Ich bin Charlie. | |
Erschöpft steht Tony Azarias, etwa 40, Bart, Pudelmütze, blaue Daunenjacke, | |
am Rand der Menge. Er hat seine dreijährige Tochter auf dem Arm. Azarias | |
hat seit diesem Vormittag nichts anderes mehr getan, als über das Attentat | |
mit Freunden und Kollegen am Telefon zu sprechen und nach Nachrichten im | |
Internet und auf sozialen Netzwerken zu suchen. Er ist selbst Zeichner, | |
einen der getöteten Karikaturisten, Tignous, habe er gekannt, erzählt er | |
mit heiserer Stimme: „Wir wohnten im selben Viertel in Paris, tranken ab | |
und zu ein Glas zusammen.“ | |
## Fassungslos oder ironisch | |
Als Azarias vom Moment erzählt, an dem er von dem Attentat erfuhr, verbirgt | |
er sein Gesicht und weint. Wie er dieses Ereignis seinen Kindern erklärt? | |
Azarias atmet schwer: „Ich muss die Menschen in zwei Gruppen einteilen: In | |
Böse und Gute. Das tue ich nicht gern.“ | |
Die meisten hier sind unter 30, studentische Grüppchen. Manche sehen | |
fassungslos auf das Botschaftsgebäude, einige stellen sich bei einem | |
Polizei-Bus an, der den Weg zum Eingang versperrt. Nur 20 Leute auf einmal | |
dürfen zu den Stufen, an denen sich die Kerzen zu einem flackernden | |
Lichterteppich aneinanderreihen. | |
Andere verarbeiten das Ganze nach Art der Satiriker. Mathieu Brohan, Anfang | |
20, teilt sich mit seinen Freunden eine Flasche billigen Weißwein. Mit | |
ironischem Schalk in der Stimme erläutert er ihre Art des Abschieds von den | |
Charlie-Hebdo-Idolen: „Wir trinken, getreu dem Satz aus einem | |
Dick-und-Doof-Film: 'Wenn du auf meiner Beerdigung weinst, rede ich nie | |
wieder mit dir!'“ Eine Portion Galgenhumor auf dem eisigen steinernen Platz | |
vor der Kulisse des Brandenburger Tors – an diesem traurigen Abend. | |
## „Da soll ganz offensichtlich Hass geschürt werden“ | |
Um 20 Uhr harren nur noch etwa 50 Menschen vor der Botschaft aus. Ein | |
Saxofonspieler vor der Kunstakademie improvisiert tragende Jazzmelodien. | |
Ein Mann, etwa Mitte 60, mit 50er-Jahre-Tolle, steht etwas abseits auf dem | |
Platz und atmet Nebel ins Flutlicht. Der Polizeibeamte aus Charlottenburg, | |
der nicht namentlich zitiert werden will, ist aus Solidarität gekommen, wie | |
er sagt. Und aus Sorge: „Da soll ganz offensichtlich Hass geschürt werden – | |
um in allen Ländern das friedliche Miteinander zu zerstören.“ | |
Gerade in Großstädten wie Berlin sei das so wichtig, in der Beziehung zu | |
„ausländischen Mitbürgern“. Er besteht auf die Bezeichnung „ausländisc… | |
Mitbürger“, mit denen habe er gute Erfahrungen gemacht. Der Beamte hofft, | |
„dass die Verantwortlichen kalt und überlegt handeln, damit die | |
barbarischen Taten keine barbarischen Reaktionen nach sich ziehen“, sagt er | |
und legt die Hände hinter dem Rücken zusammen. | |
Kurz nach acht hat sich die Gedenkkundgebung fast komplett aufgelöst. Die | |
letzten Vereinzelten stehen da auf dem Pariser Platz, manche in Tablets und | |
Smartphones vertieft. Das Unfassbare ist hier sehr nah. Dann kommen wieder | |
die Touristen. | |
8 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Tobias Krone | |
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