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# taz.de -- Wohnungslosigkeit in Berlin: Außer Kontrolle
> Die Zahl der Wohnungslosen in Berlin steigt immer weiter. Dabei will die
> Politik Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis 2030 abschaffen. Kann das
> klappen?
Bild: Wohnen ist in Berlin zwar Grundrecht, für viele aber doch unmöglich
Berlin taz | Bis 2030 sollen Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit in
Deutschland „überwunden“ sein. So lautet das ambitionierte Ziel von Bund,
Ländern und sogar der EU. Eine aktuelle Antwort der [1][Senatsverwaltung
für Soziales] auf eine Anfrage der Grünen zeigt jedoch, dass genau das
Gegenteil passieren wird: Die sogenannte Bedarfsprognose für Unterkünfte
liegt derzeit bei rund 55.000 Plätzen. Bis Ende 2029 sollen es mehr als
85.000 werden. Das entspricht einem Anstieg von 55 Prozent. Dabei hat sich
die Zahl der untergebrachten Wohnungslosen in den vergangenen drei Jahren
bereits mehr als verdoppelt.
Die Berechnung ergibt sich aus der Summe der aktuell untergebrachten
Personen, der erwarteten Neuzugänge und der Abgänge, etwa durch
Wohnungsvermittlung, Rückreisen oder Abschiebungen. Inklusive der
Geflüchtetenunterkünfte liegt der prognostizierte Gesamtbedarf 2029 sogar
bei rund 114.000 Plätzen.
„Wir werden es nicht schaffen, die Zahl auf Null zu setzen. Aber wir müssen
es schaffen, dass Wohnungslosigkeit nicht weiter ansteigt“, sagt Taylan
Kurt, der sozialpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, der die Anfrage
gestellt hat. „Die Zahlen zeigen, dass wir schon lange nicht mehr von einer
Randgruppe reden“, sagt Kurt zur taz. Er spricht von einer
„Wohnungslosengesellschaft“.
Als wohnungslos gilt, wer keinen eigenen Wohnraum besitzt oder mietet. In
der Statistik werden nur untergebrachte Wohnungslose erfasst, die etwa in
Wohnheimen oder Notübernachtungen leben. Dazu kommen mutmaßlich mehr als
2.000 in Berlin verdeckt lebende Wohnungslose, die bei Angehörigen oder
Bekannten wohnen, sowie rund 6.000 Obdachlose, die auf der Straße oder in
Behelfsunterkünften leben.
Mangel an bezahlbarem Wohnraum
Die Gründe für Wohnungslosigkeit werden von der Statistik nicht erfasst.
Julia Stadtfeld, Sprecherin der Senatssozialverwaltung, sieht die
Hauptursache in der unzureichenden Bekämpfung struktureller Ursachen. Das
zentrale Problem sei dabei der eklatante Mangel an bezahlbarem Wohnraum.
Stadtfeld sieht die Verantwortung dafür auch beim Bund. Dieser müsse
finanziell, strukturell und gesetzgeberisch handeln, um die Obdachlosigkeit
bis 2030 zu beenden. „Es darf beispielsweise nicht am Datenschutz
scheitern, wenn Wohnungsunternehmen Sozialbehörden frühzeitig über
Mietrückstände informieren wollen, um Wohnungslosigkeit rechtzeitig zu
verhindern.“
Auch Taylan Kurt prangert den Berliner Wohnungsmarkt und die explodierenden
Mieten, Zwangsräumungen und Eigenbedarfskündigungen an. Der schwarz-rote
Senat würde auf die immer weiter steigenden Wohnungslosenzahlen nicht
angemessen reagieren, kritisiert der Grünen-Abgeordnete. „Es reicht nicht,
einfach nur soziale Projekte vor Kürzungen zu schützen“, so Kurt. Es
brauche im Gegenteil einen Ausbau sozialer Projekte. Aber: „Keiner traut
sich mehr, das zu verlangen, weil CDU und SPD mit der Sparkeule gedroht
haben.“
Die Verwaltung von Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) führt in ihre
Antwort eine Liste an „wichtigen Bausteinen zur Überwindung der Wohnungs-
und Obdachlosigkeit“ an. Darunter Präventionsarbeit, Housing First und eine
gesamtstädtische Steuerung der Unterbringung.
Für Wohnungslose bleibt kaum etwas übrig
Diese Maßnahmen findet Kurt „schön und gut, das dauert aber viel zu lange�…
So wurden seit der Einführung von Housing First 2018 bis zum vergangenen
Jahr lediglich 227 Obdachlose untergebracht. Zudem fehle es an Unterkünften
für vulnerable Gruppen wie etwa alte oder queere Menschen oder
[2][alleinerziehende Mütter].
Die Grünen fordern daher einen bedarfsspezifischen Wohnungsbau. Außerdem
wollen sie Zwangsräumungen verhindern oder zumindest so lange hinauszögern,
bis etwas Neues gefunden ist. Unter Schwarz-Rot sind derartige Vorhaben
eher unwahrscheinlich: Ein Pilotprojekt der Linken, das Zwangsräumungen
durch die persönliche Zustellung von Räumungsklagen verhindern sollte,
wurde von der CDU-Justizsenatorin Felor Badenberg vor zwei Jahren gestoppt.
Elfriede Brüning leitet seit mehr als 20 Jahren die zentrale
Beratungsstelle der Caritas für [3][Menschen in Wohnungsnot]. „Der Senat
müsste Geld in die Hand nehmen, damit Vermieter Interesse daran haben,
sozial schwache Mieter zu nehmen“, sagt Brüning der taz. Bisher seien die
Investitionen zu kurzfristig gedacht, meistens nur für die nächste
Legislaturperiode. Stattdessen müssten Wohnungen gebaut, Unterkünfte
ausgebaut und Übergänge angeboten werden.
Dass Wohnen ein Menschenrecht ist, habe keine Substanz, solange die
Wohnungswirtschaft vom Geld regiert werde, sagt Brüning. Sie fordert, dass
der Wohnungsmarkt nicht länger Angebot und Nachfrage überlassen wird. Denn
für Wohnungslose bleibe dabei kaum etwas übrig.
Beratungsstellen an der Belastungsgrenze
„Wohnungslos kann jeder von uns werden“, sagt Brüning. Etwa, wenn viele
Krisen zusammenkommen. Pro Jahr wenden sich 2.500 Menschen in Wohnungsnot
an die Caritas Berlin. Viele seien völlig frustriert, würden immer
depressiver, weil sie nicht mal eine Rückmeldung erhalten.
Wie die Einrichtungen in den kommenden Jahren bis zu 60 Prozent mehr
Menschen aufnehmen sollen, bleibt daher ein Rätsel. Sie sind schon jetzt an
der [4][Belastungsgrenze]. Auch das Konzept der kurzfristigen
Schutzunterbringung sei mittlerweile überholt. „Die Menschen wohnen da über
Monate und Jahre und kommen nicht weiter“, sagt Brüning. Notübernachtungen
sind sowieso voll. Elfriede Brüning findet klare Worte: „Bei allen ist
Oberkante Unterlippe.“ Jetzt schon.
4 Aug 2025
## LINKS
[1] https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-23…
[2] /Mietvertrag-fuer-Schutzraum-laeuft-aus/!6088232
[3] /Sozialarbeiter-ueber-Wohnungslosigkeit/!6064209
[4] /Wohnungsnotfallhilfe-in-Berlin/!6076521
## AUTOREN
Lea Knies
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