| # taz.de -- Berlins Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe: „Wenn ich meinen Job gu… | |
| > Zu wenig Ausbildungsplätze, Kürzungen im Haushalt, Krach mit der CDU: | |
| > Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) im Interview über ihre vielen | |
| > Baustellen. | |
| Bild: „Wir könnten 2028 mit der Ausbildungsumlage starten“: Berlins Arbeit… | |
| taz: Frau Kiziltepe, an diesem Montag beginnt das neue Ausbildungsjahr. | |
| Wieder werden tausende junge Menschen ohne Ausbildung dastehen. Ist das | |
| [1][vor genau zwei Jahren gegründete Bündnis für Ausbildung] gescheitert? | |
| Cansel Kiziltepe: Jeder Akteur im Bündnis arbeitet intensiv daran, | |
| zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen. Alle strengen sich an. Wir | |
| schauen uns die Ausbildungszahlen zum Jahresende an und werten sie aus. | |
| Nach diesem Ergebnis handeln wir dann. Die aktuellen Zahlen bereiten mir | |
| jedenfalls große Sorge. | |
| taz: Werden bis Jahresende keine 2.000 zusätzlichen Verträge abgeschlossen, | |
| [2][soll die Ausbildungsplatzumlage kommen]. Nach am Freitag | |
| veröffentlichten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit gibt es aktuell aber | |
| sogar rund 2.100 Ausbildungsplätze weniger als im Vorjahr. Das Ziel „2.000 | |
| mehr“ ist doch realistisch nicht zu erreichen. | |
| Kiziltepe: Schaffen wir es nicht, die Zielmarke zu erreichen, sage ich | |
| klar: Die Ausbildungsplatzumlage kommt. Das ist unsere Vereinbarung im | |
| Koalitionsvertrag. Denn in Berlin liegt die Ausbildungsquote im Vergleich | |
| zu anderen Bundesländern unter dem Durchschnitt. Deshalb wollen wir | |
| Betriebe, die ausbilden, mit einem solidarischen Umlagesystem finanziell | |
| unterstützen. | |
| taz: Sie gehen auch davon aus, dass es keine 2.000 zusätzlichen Verträge | |
| geben wird? | |
| Kiziltepe: Wir warten es ab. | |
| taz: Der Gesetzentwurf dafür ist derzeit in der Abstimmung. Wann könnte er | |
| in Kraft treten? | |
| Kiziltepe: Bremen hat bereits so eine Umlage. Dort gab es eine | |
| Übergangszeit von zwei Jahren, das wird auch in Berlin so sein. Wir müssen | |
| erst mal alle Daten sammeln und eine Ausbildungskasse einrichten. Wir | |
| könnten voraussichtlich 2028 mit der Umlage starten. | |
| taz: Damit junge Menschen in Berlin eine Ausbildung machen können, brauchen | |
| sie bezahlbaren Wohnraum. Schon im März forderten Azubis von Ihnen [3][mehr | |
| Unterstützung bei der Wohnungssuche]. Wie ist der aktuelle Stand beim | |
| Azubiwerk, das die Wohnungen organisieren soll? | |
| Kiziltepe: Berlin braucht ein Azubiwerk nach dem Vorbild von München und | |
| Hamburg. Das Studierendenwerk gibt es seit über 100 Jahren, aber keines für | |
| Auszubildende. Wir haben eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben und | |
| werden bis Jahresende wissen, wie hoch der Bedarf ist. | |
| taz: Erklärtes Ziel des Senats ist es auch, Wohnungs- und Obdachlosigkeit | |
| bis 2030 abzuschaffen. [4][Tatsächlich aber steigen die Zahlen.] Nun soll | |
| laut Haushaltsentwurf 2026 auch noch fast eine Million Euro bei Projekten | |
| für Wohnungslose wie Housing First gekürzt werden. Wie passt das zusammen? | |
| Kiziltepe: Unsere Housing-First-Projekte werden nicht gekürzt. Es ist ein | |
| wichtiges Ziel, Wohnungs- und Obdachlosigkeit zu überwinden. Wir haben | |
| viele Maßnahmen, Housing First gehört dazu, die Hitze- und Kältehilfe und | |
| die gesamte Unterbringung, für die die Bezirke zuständig sind. Wir planen | |
| gerade die gesamtstädtische Steuerung der Unterbringung von geflüchteten | |
| und obdachlosen Menschen. Wir wollen das bisherige Verfahren | |
| digitalisieren. Das Gesetz dafür kommt bald in den Senat. | |
| taz: Was genau soll jetzt dadurch besser werden? | |
| Kiziltepe: Wir erhoffen uns eine bessere Koordinierung. Die Unterkünfte des | |
| Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten erfüllen Qualitätsstandards. | |
| Wenn die Ankunftszahlen bei den Geflüchteten weiter sinken, möchten wir | |
| deshalb den Bezirken unsere qualitätsgesicherten Unterkünfte zur Verfügung | |
| stellen. Die Unterkünfte dort sind eben nicht qualitätsgesichert und | |
| trotzdem sehr teuer. Berlin zahlt dafür jedes Jahr etwa 360 Millionen Euro. | |
| taz: Und deswegen streichen Sie jetzt Gelder? Die Bezirke haben ja auch | |
| nicht mehr Mittel. | |
| Kiziltepe: Wir haben eine angespannte Haushaltslage. Auch in meinem Haus | |
| wird es Kürzungen geben. Aber ich habe immer gesagt, ich will keinen | |
| sozialen Kahlschlag. Wir wollen die Strukturen erhalten, die in den | |
| vergangenen Jahren aufgebaut wurden, auch bei den Wohnungs- und | |
| Obdachlosenprojekten. Und das tun wir auch. | |
| taz: Aber wenn die Abschaffung der Wohnungs- und Obdachlosigkeit so ein | |
| wichtiges Ziel ist, noch mal: Warum wird dann bei Housing First gekürzt? | |
| Kiziltepe: Noch mal: Unsere Housing-First-Projekte werden nicht gekürzt und | |
| das Ziel haben wir nicht aufgegeben. Wir tun alles, was mit den vorhandenen | |
| Mitteln getan werden kann. Die Aufstellung des neuen Haushalts war wirklich | |
| nicht einfach. Aber auch mein Haus muss die Sparvorgaben einhalten. | |
| taz: Wohnungslosigkeit bei Frauen liegt häufig an gewalttätigen Partnern. | |
| [5][In Berlin gibt es aber immer noch zu wenig Frauenhausplätze.] Wann wird | |
| das versprochene neunte Frauenhaus eröffnet? Berlin erfüllt bei weitem | |
| nicht die Vorgaben der Istanbul-Konvention. | |
| Kiziltepe: Das stimmt. Wir sind noch nicht so weit, dass wir die Vorgaben | |
| der Istanbul-Konvention erfüllen. Dabei ist das ein so drängendes Thema, | |
| denn Fälle von häuslicher Gewalt und Femizide steigen. Wir haben zugleich | |
| wesentliche Fortschritte in den vergangenen Jahren gemacht, etwa bei der | |
| Forderung nach einer elektronischen Fußfessel und anderen Maßnahmen zum | |
| Schutz der Frauen. Das neunte Frauenhaus ist auch in der Planung. | |
| taz: Das ist schon seit 2020 in Planung. Gibt es einen Zeitplan, wann es | |
| auch öffnet? | |
| Kiziltepe: Das neunte Frauenhaus ist fest eingeplant und die Finanzierung | |
| steht. Wir kommen voran. Aber das Haus muss zunächst umfassend saniert | |
| werden. | |
| taz: Eigentlich bräuchte es noch ein zehntes Frauenhaus. | |
| Kiziltepe: Nun müssen wir erst mal das neunte fertigstellen. | |
| taz: Bleiben wir beim Haushalt, der noch andere Zumutungen in Ihrem Bereich | |
| enthält, [6][etwa beim Sozialticket]. Der Zuschuss an die BVG soll erneut | |
| um 10 Millionen auf jetzt 51 Millionen Euro gesenkt werden. Das Ticket wird | |
| also noch teurer? | |
| Kiziltepe: Das Sozialticket hat anfangs 27,50 Euro gekostet, dann wurde es | |
| auf 9 Euro abgesenkt und im vergangenen Jahr wegen der Einsparungen auf 19 | |
| Euro angehoben. Jetzt kann es eine Rückkehr auf den Ausgangswert geben. Was | |
| ich sagen will: 9 Euro würde ich mir auch wünschen, aber ich muss sparen | |
| und schauen, was vertretbar ist. Ich habe verhindert, dass das Sozialticket | |
| künftig noch teurer wird. Wir wollen das Sozialticket als freiwillige | |
| soziale Leistung im Land Berlin erhalten, damit auch Menschen mit wenig | |
| Geld weiterhin Bus und Bahnen fahren können. Mein Entwurf wird jetzt im | |
| Abgeordnetenhaus beraten. | |
| taz: Sollen Ihnen nun die Abgeordneten das Geld für das Ticket wieder in | |
| Ihren Haushalt schreiben? | |
| Kiziltepe: Nicht wir im Senat sind der Haushaltsgesetzgeber, sondern die | |
| Abgeordneten. Und, na klar: Ich würde es mir wünschen. Aber es ist eben | |
| auch viel Geld. | |
| taz: Ganz anderes Thema. Anfang Juli knallte es im Senat, als Sie [7][eine | |
| Ansprechperson für antimuslimischen Rassismus] einsetzen wollten. Das | |
| scheiterte. Sie erklärten, es gebe noch Abstimmungsbedarf. Haben Sie sich | |
| inzwischen abgestimmt? | |
| Kiziltepe: Wir brauchen in Berlin eine Ansprechperson für alle Menschen, | |
| die von antimuslimischem Rassismus betroffen sind. Und die gibt es jetzt | |
| seit dem 1. Juli in meinem Haus. | |
| taz: Aber eben nur in Ihrem Haus, nicht, wie ursprünglich geplant, als | |
| offizielle Ansprechperson des Landes. | |
| Kiziltepe: Ich glaube, niemand bezweifelt, wie notwendig eine | |
| Ansprechperson für antimuslimischen Rassismus ist. Die zunehmende Zahl der | |
| Angriffe ist besorgniserregend. Muslime und Menschen, die als Muslime | |
| wahrgenommen werden, werden bespuckt, beschimpft, attackiert. Diese | |
| Menschen müssen geschützt werden, auch politisch, und dafür sorge ich. | |
| taz: Kommt das Thema im Senat erneut auf den Tisch? Nach unseren | |
| Informationen soll das noch im September der Fall sein. | |
| Kiziltepe: Wir werden Gespräche führen, ob die Ansprechperson auch eine | |
| Ansprechperson des Landes werden kann. | |
| taz: Sie sagen, niemand bezweifle die Notwendigkeit. Da hören wir anderes | |
| aus der CDU. Dort wird darauf verwiesen, dass es weit mehr antisemitische | |
| als antimuslimische Vorfälle gibt. | |
| Kiziltepe: Natürlich ist Antisemitismus ein großes Problem, die Zahl | |
| antisemitischer Verfälle ist gestiegen. Wir erleben auch Antiziganismus und | |
| eben antimuslimischen Rassismus in unserer Stadt. Da gilt es für den | |
| gesamten Senat, eine klare Haltung zu zeigen. Wir dulden keine der | |
| genannten Angriffe und Diskriminierungen, und da mache ich keine | |
| Unterschiede. | |
| taz: Nicht nur beim Thema antimuslimischer Rassismus, bei unzähligen | |
| Debatten gibt es Krach mit Ihren Senatskolleg:innen. Würden Sie noch mal | |
| Senatorin in einem schwarz-roten Senat werden wollen? | |
| Kiziltepe: Ich freue mich, dass ich Senatorin dieses Hauses bin, dass | |
| Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Inklusion, | |
| Antidiskriminierung und Vielfalt meine Arbeitsgebiete sind. Das ist für | |
| mich der schönste Job. Und wenn ich meinen Job als Senatorin gut machen und | |
| vorankommen will, gehören eben auch Konflikte dazu. | |
| 31 Aug 2025 | |
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