# taz.de -- Berliner Philharmonie feiert 60.: Ein musikalisches Tortenstück | |
> In der Berliner Philharmonie lässt sich Musik demokratisch hören. Sie ist | |
> radikal neu gedacht und Vorbild für die Hamburger Elbphilharmonie. | |
Bild: Golden schimmernde Verheißung für den philharmonischen Genuss | |
BERLIN taz | Es kommt ja immer darauf an. So kann man durchaus einen | |
angeregten Konzertabend auch in einem Kellerloch oder einer besseren | |
Schuhschachtel erleben, wenn nur die Musik richtig rummst. Beim Rock etwa | |
kommt es bei einem Konzert doch mehr auf die Intensität an, weniger auf den | |
perfekten Sound, der selbst in der besseren Schuhschachtel halt kaum zu | |
haben ist. | |
Bei einem sinfonischen Konzert dagegen geht es um Intensität – aber | |
gleichzeitig auch den bestmöglichen Sound. Das eine hängt hier unmittelbar | |
mit dem anderen zusammen. Und da ist es dann schön, wenn man an so einem | |
Konzertort wie der Berliner Philharmonie seinen Platz eingenommen hat – am | |
besten gleich mit den Berliner Philharmonikern wie jüngst beim Musikfest, | |
als die das wirklich gewaltige Orchesterstück [1][„Jonchaies“ von Iannis | |
Xenakis] aufführten; dagegen hört sich selbst avanciertester Metal arg | |
kleinmmütig an. | |
Im Oktober vor 60 Jahren wurde der Bau von Hans Scharoun in Tiergarten | |
eröffnet. Die Kosten betrugen etwa 17 Millionen Mark, was sich aus heutiger | |
Perspektive wie ein wirkliches Schnäppchen ausnimmt, selbst wenn es am | |
Schluss natürlich auch hier teurer geworden ist als ursprünglich | |
veranschlagt. Zur Eröffnung dirigierte Herbert von Karajan Beethovens | |
Neunte. | |
Man kann die Philharmonie durchaus als einen Tempel der Hochkultur | |
bezeichnen, allein schon wegen ihrer goldschimmernden Hülle, mit der sie da | |
am Berliner Kulturforum steht. In der Form irgendwas zwischen Kristall, | |
Zeltstruktur und einer etwas aus der Fasson geratenen riesenhaften Torte, | |
die hier auf einem weißen Betonbaiser-Boden aufgerichtet ist. | |
## Ein Bau zum Schnäppchenpreis | |
Hat man nach dem Durchsteigen der durchaus für Verwirrung sorgen könnenden | |
labyrinthischen Aufgänge erst seinen Platz gefunden, ist drinnen dann | |
bereits der Raum für sich und ohne Orchester ein Spektakel: die von der | |
Decke hängenden Scheinwerfer und Lautsprecher, ein so riesenhaft wie | |
filigranes Mobile. Die ineinander geschichteten und verkeilten Waben mit | |
den Plätzen für das Publikum: Als „aufsteigende Weinberge“ bezeichnete der | |
Architekt Scharoun die Besucherblöcke. Wie in einem Amphitheater – eine | |
Form, die bis dahin für einen Konzertsaal gar nicht vorgesehen war. | |
Die Berliner Philharmonie war das erste Konzerthaus, bei dem das Podium | |
inmitten des Publikums positioniert wurde. „Man ist einfach da. Man ist da, | |
wo die Musik herkommt. Ich sehne mich nach diesem Raum – in großer | |
Bewunderung“, schrieb der Schweizer Schriftsteller Max Frisch, der ja auch | |
Architekt war. | |
Mit diesem Rundumerlebnis wurde die Berliner Philharmonie zum Vorbild für | |
andere Häuser, gleich nebenan zum Beispiel beim später in den 80er Jahren | |
dazugekommenen Kammermusiksaal. Für den hatte man dann am Ende bereits 123 | |
Millionen Mark ausgegeben, fünfmal so viel wie eigentlich geplant. | |
Auch die 2017 eröffnete [2][Hamburger Elbphilharmonie] folgt letztlich dem | |
Berliner Modell, bis hin zur charakteristischen Schwunglinie des Daches. | |
Dass in Hamburg die Baukosten von ursprünglich gleichfalls schnäppchenhaft | |
klingenden 77 Millionen am Ende auf 866 Millionen Euro stiegen, sorgte | |
zwischendurch schon für Schnappatmung. | |
## Was man sich eben so kosten lässt | |
Das sind Summen, bei denen man in der Tat irre werden mag. Was ist denn | |
aber mit den ganzen Kindergartenplätzen, die man selbst damals vor 60 | |
Jahren bereits mit den Millionen für die Berliner Philharmonie hätte | |
finanzieren können? So viel gäbe es anderswo zu tun, mit dem Geld, während | |
da ein paar Musikliebhaber ihre Hintern in derart teuer finanzierte und | |
subventionierte Sessel drücken dürfen. | |
Und ich muss jetzt sagen: Ja, toll! | |
Es ist doch wirklich toll, dass es das gibt hier, diese Sinfonieorchester | |
mit diesen Häusern drumherum. Und dass man sich das was kosten lässt, was | |
es eben kostet. Dass wir uns das leisten, diese Orte und diese Musik, für | |
die eben etliche Aufwände betrieben werden muss. Bei einem | |
Sinfonieorchesterkonzert können sich schon mal um die 100 MusikerInnen auf | |
der Bühne tummeln. | |
Und selbst kann man sich das eben auch leisten. In der Philharmonie gibt es | |
Tickets zu Preisen, zu denen man mittlerweile nicht mal mehr in ein | |
mittelprächtiges Rockkonzert kommt. Die billigen Plätze in der | |
Philharmonie, die aber in Sachen Sicht und Sound keineswegs die | |
schlechteren der insgesamt 2.447 Plätzen in den Berliner Weinbergen sind. | |
Also eine Teilhabe in einer durchaus demokratisch zu nennenden Sitzordnung. | |
Ist doch auch schön. | |
23 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tagesspiegel.de/kultur/berliner-philharmoiker-beim-musikfest-be… | |
[2] /Fuenf-Jahre-Elbphilharmonie/!5824940 | |
## AUTOREN | |
Thomas Mauch | |
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