# taz.de -- Berlinale-Serien und Diversität: Sechs von sieben haben bestanden | |
> In den Serien der diesjährigen Berlinale sind starke Frauenfiguren die | |
> Stars. In Sachen Diversität ist man aber kaum weiter. | |
Bild: Natalie Dormer in „Picnic at Hanging Rock“. | |
Miranda wehrt sich. Während sie verträumt ein Pferd streichelt, wird sie | |
von einem Stalljungen gestört, der sie sexuell belästigt. In der Not rammt | |
Miranda (Lily Sullivan) ihm eine Mistgabel in den Fuß. Die #MeToo-Debatte | |
um Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt ist nicht nur in „Picnic at | |
Hanging Rock“ angekommen, sondern in vielen Filmen und Serien auf der | |
Berlinale. Im Zuge der Drama Series Days, eine Erweiterung des European | |
Film Market, fand am Dienstag die Diskussionsrunde „The New Normal – | |
Diversity As Selling Point“ statt. | |
Drei Frauen saßen auf dem Podium, die hinter der Kamera arbeiten: Laurence | |
Lascary, Nadin Hadi und Adrienne Frejacques. Sie sind sich einig: Frauen | |
müssen sichtbarer werden und brauchen mehr Macht im Fernsehbusiness. „Es | |
ist ein institutionelles Problem, die Machtinhaber müssen sich ändern. Die | |
Menschen hinter der Kamera müssen diverser werden, dann werden es auch die | |
vor der Kamera“, sagt Hadi. | |
Bei den Serien, die in der Sektion Berlinale Special gezeigt wurden, klappt | |
das erstaunlich gut. Sieben Serien aus Australien, Israel, Norwegen, | |
Deutschland, USA, Großbritannien und Dänemark feierten ihre Welt- oder | |
Internationalen Premieren im Zoo Palast. Sechs der Serien bestehen in den | |
jeweils zwei gezeigten Episoden den Bechdel-Test, der Sexismus aufzeigen | |
soll. Beim Bechdel-Test müssen drei Kriterien erfüllt werden: Zwei Frauen | |
müssen vorkommen, die beide einen Namen haben und sich über etwas | |
unterhalten, wobei Männer nicht das Thema sein dürfen. | |
## Sofiacoppolaesk | |
„Picnic at Hanging Rock“ (Foxtel) eröffnete am Montag die Serien-Sektion | |
der diesjährigen Berlinale. Die sechsteilige Miniserie ist ein Remake des | |
gleichnamigen Films von 1975, der wiederum auf dem Roman von Joan Lindsay | |
beruht. Die Mystery-Serie zeichnet eine romanische und märchenhafte | |
Atmosphäre aus, die durch Musik und grelle pinke Schrift konterkariert | |
werden. Die Szenerie erinnert an Sofia Coppolas „Marie Antoinette“. | |
Bei einem Ausflug am Valentinstag 1900 verschwinden drei Schülerinnen. | |
Während die Leiterin eines Mädchenpensionats, Mrs Hester Appleyard (Natalie | |
Dormer, bekannt aus „Game of Thrones“), vor ihrer eigenen Vergangenheit | |
davonläuft, kämpfen die Schüler*innen gegen bestehende Machtverhältnisse | |
an, widersetzen sich sexualisierter Gewalt und versuchen ihren Platz in der | |
Gruppe zu finden. Eine Welt der Frauen – aus dem weiblichen Blick. | |
Die Charaktere der Serien dürfen stark sein, aber auch schwach. Sie sind | |
erfolgreich oder scheitern. In „Sleeping Bears“, eine israelische | |
Miniserie von Regisseurin und Drehbuchautorin Keren Margalit, bekommt die | |
Lehrerin Hadas (Noa Koler) anonyme Drohbriefe zugestellt, die | |
Sitzungsprotokolle ihres Therapeuten. Kurz darauf verstirbt dieser. Während | |
die Handlung schon spannend genug ist, werden auch gesellschaftskritische | |
Themen verhandelt: etwa das Stigma der Frauen, Mütter werden zu müssen. | |
Spätestens seit #regrettingmotherhood, einer Debatte aus Israel, in der | |
Frauen berichteten, dass sie es bereuen, Kinder bekommen zu haben, ein | |
vieldiskutiertes Thema. | |
Die Serien stellen politische und gesellschaftliche Fragen, aus der | |
Berufswelt, unter Freunden, in der Beziehung. Doch was sie alle verbindet, | |
ist eine komplexe Frau als Hauptfigur. | |
Das ist etwas Besonderes, wie die Studie „Wie steht es um die audiovisuelle | |
Diversität in Deutschland?“ zeigt. Nur 57 Prozent der deutschen Filme und | |
Serien im Jahr 2016 bestanden den Bechdel-Test. Nur 38 Prozent der | |
Protagonist*innen in Deutschland werden von Frauen verkörpert. Auch die | |
jährliche Studie von Boxed In, die Diversität in US-amerikanischen | |
TV-Formaten untersucht, zeigt: nur 42 Prozent der sprechenden Charaktere | |
sind weiblich. | |
„Heimebane“ (Keshet Broadcasting) und „Bad Banks“ (ZDF/Arte), Christian | |
Schwochows erste TV-Serie, zeigen Frauen, die sich in männerdominierten | |
Berufen durchsetzen wollen. „Heimebane“ erzählt, ausgeruht, aber erwartbar, | |
die Geschichte einer Fußballtrainerin, die erstmals in der norwegischen | |
Geschichte eine Männermannschaft trainiert. Jana Liekam (Paula Beer) kämpft | |
sich in „Bad Banks“ durch die Macho-Finanzwelt. Koksabhängige | |
Investmentbanker, die Frauen als „Fotze“ beschimpfen, blutige | |
Straßenschlachten und eine manipulative Bankerin – die Psychothriller-Serie | |
zeigt die hässliche Seite der Finanzwelt. Leider wirkt das alles recht | |
zugespitzt und gewollt. | |
## Entwicklungsnichthilfe | |
Bei der Weltpremiere der dänischen Serie „Liberty“ (DR) wird immer wieder | |
ein Name aus dem Publikum geschrien: Connie Nielsen. Die Schauspielerin aus | |
„Nymphomaniac“ und „Wonder Woman“ ist einer der größten Stars, die vo… | |
Zoo Palast über den roten Teppich liefen. Die Serie zeigt skandinavische | |
Entwicklungshelfer, die in Tansania das große Geld machen oder helfen | |
wollen. Doch keine*r geht dabei auf die Bedürfnisse der Tansanier*innen | |
ein. Der wahre Star der Serie ist der kenyanische Schauspieler Charlie | |
Karumi. Durch seinen Charakter Marcus, der einen Hausangestellten einer | |
weißen Familie verkörpert, lassen sich die Hoffnung und Enttäuschung der | |
Bevölkerung vor Ort nachfühlen. | |
Zum Abschluss der Berlinale Series wurde es in „The Terror“ (AMC) noch | |
einmal richtig weiß: mit viel Schnee, Eis und Männern. In zehn Episoden | |
wird die Polarexpedition des Briten Sir John Franklin neu erzählt. „The | |
Looming Tower“ (Amazon Prime/Hulu) beruht auf dem preisgekrönten Sachbuch | |
„The Looming Tower: Al-Qaeda and the Road to 9/11“ und ordnet die Kämpfe | |
zwischen FBI und CIA in das Terrorattentat des 11. Septembers ein. | |
Rollen wie die des schwarzen Charlie Karuma bleiben bei den Serien der | |
Berlinale eine Ausnahme. Weibliche Figuren werden komplex dargestellt, sie | |
kommen meist aus Produktionen, in denen auch hinter der Kamera viele Frauen | |
arbeiten. Doch ansonsten bleiben diverse Figuren in den Serien unsichtbar. | |
PoC und schwarze Schauspielerinnen sind selten, LGBTIQ oder Charaktere mit | |
Behinderung kommen nicht vor. Und so fasst Adrienne Frejacques treffend | |
zusammen: „Wir sind auf dem richtigen Weg. Aber noch lange nicht am Ziel.“ | |
23 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
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