# taz.de -- Berlinale Wettbewerb „Eldorado“: In den Augen Zorn und Stolz | |
> Markus Imhoof hat einen filmischen Essay über Flüchtlinge in Europa | |
> gedreht. „Eldorado“ handelt auch von der Ökonomie der Flucht. | |
Bild: Diese Flüchtlinge haben die Überfahrt überlebt | |
Es ist ein trauriger, humanistischer, nachdenklicher und ruhiger Film, den | |
der Schweizer Filmemacher Markus Imhoof gedreht hat. Und es ist bezeichnend | |
für diese Doku, die als filmisches Essay vielleicht besser beschrieben | |
wird, dass ihre traurigste Szene vollkommen unspektakulär ist. [1][In | |
Chiasso begleitet die Kamera schweizerische Grenzpolizisten], die aus | |
Italien kommende Zugreisende nach ihren Pässen fragen. Einige von ihnen | |
haben keinen. Sie haben ihr Leben riskiert, um das Mittelmeer zu | |
überqueren. Jetzt wollen sie weiter nach Norden. | |
In den Räumen der Polizei eine afrikanische Familie, Vater, Mutter, zwei | |
Kinder. Sie stehen hinter einem Tisch, darauf ihre wenigen Habseligkeiten. | |
Die Kamera blickt in das Gesicht des älteren Mädchens, vielleicht ist sie | |
acht oder zehn. Sie begreift die Situation genau, man sieht es in ihren | |
Augen. Ein Polizist stellt Wasserflaschen und legt Schokoriegel auf den | |
Tisch, eine kleine Geste. Die Kamera wendet sich den Polizisten zu. Es ist | |
klar, die Familie muss nach Italien zurück, da gibt es einen Knall. Das | |
Mädchen hat Wasser und Schokolade vom Tisch gefegt. In ihren Augen Zorn, | |
Stolz, Verzweiflung. Die Mutter umarmt das Kind. Der Polizist wirkt | |
hilflos. Niemand sagt etwas. | |
„Eldorado“ heißt Imhoofs Film. So richtig passt der Titel nicht, obwohl es | |
ihm unter anderem um [2][die Ökonomie der Migration] geht. Er beginnt mit | |
einem Gottesdienst auf dem italienischen Marineschiff San Giusto. Imhoof | |
zeigt, wie die Soldaten Menschen aus Booten fischen. Sie sind sehr höflich | |
und sprechen die Frauen mit Madame an. Es gibt medizinische | |
Erstuntersuchungen, Notfälle werden sofort behandelt. | |
## Imhoff erzählt von sich selbst | |
Die filmische Reise geht in Italien weiter, sie führt in Erstaufnahmelager | |
und in ein sogenanntes Getto, in dem Menschen ohne Papiere unter mehr als | |
problematischen Bedingungen leben müssen. [3][Die Mafia vermittelt die | |
Männer in die Landwirtschaft], die Frauen werden zur Prostitution | |
gezwungen. Wer Menschen unsichtbar macht, liefert sie der organisierten | |
Kriminalität aus. So einfach ist das, aber noch lang nicht alles. | |
Ein Aktivist erklärt die Rolle der Illegalen im herrschenden System: Sie | |
arbeiten für italienische Landwirte, die, von der EU subventioniert, | |
Tomaten anbauen. Die Hälfte des Tageslohns kassiert der Kapo. Die Arbeiter | |
schicken Geld zu ihren Familien nach Afrika, die Italiener exportieren | |
Tomaten dorthin. Von dem Geld aus Europa kaufen Afrikaner dann Tomaten in | |
Dosen. | |
Imhoof erzählt in „Eldorado“ auch über sich selbst. Als Kind liebt er | |
Giovanna, die als italienisches Kriegskind zeitweise von seiner Familie in | |
der Schweiz aufgenommen wird. Das Arrangement ist Teil eines | |
Flüchtlingsdeals mit den Faschisten. Für jedes jüdische Kind, das Italien | |
in Richtung eines Hafens durchquert, müssen die Schweizer drei Kriegskinder | |
beherbergen. | |
Der Regisseur spricht Giovanna aus dem Off an: „Es gab keine | |
Rationierungskarten für Flüchtlinge. Wir mussten mit dir teilen.“ Man hört, | |
er hat es gern getan. | |
23 Feb 2018 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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