# taz.de -- Berichterstattung über die SPD: Andrea Nahles atmet auf | |
> Die SPD-Berichterstattung ist ein Problem. Das wird klar im direkten | |
> Kontakt mit Nahles, die so präsent wirkt, wie sie medial nie vermittelt | |
> wurde. | |
Bild: Ist einer Berichterstattung zu trauen, der es nicht gelang, Nahles in ihr… | |
Jede [1][neue Kandidatur] für den Parteivorstand der SPD wird begleitet von | |
Spott. Meist folgen Abgesänge und schwergewichtige Analysen aus der | |
Gattung: „Es fehlt der große Wurf.“ Mag sein, solche Experten kennen noch | |
andere deutsche Parteien, aber mir fiele derzeit keine einzige ein, die den | |
großen Wurf wagt. Selbst die Grünen fordern in Zeiten von Fridays for | |
Future und Spitzenumfragewerten allen Ernstes eine Bahnreform für das Jahr | |
2030 (!), um dem Trend zu Inlandsflügen beizukommen. Revolution is coming! | |
Da hatte der kleine Junge auf einer FFF-Demo in Berlin mehr Mut zur Vision: | |
Er wollte die Flugverbindungen zum Mars ausbauen, damit alle Menschen im | |
Notfall eine zweite Erde hätten. | |
Noch so ein grundsätzliches Problem, das derzeit nur der SPD als Schwäche | |
ausgelegt wird: In der SPD herrsche parteiintern [2][ein allzu herber | |
Umgang miteinander], so könne man kein gutes Personal gewinnen. Stimmt, in | |
den anderen Parteien herrscht ja Nächstenliebe, wie sich zuletzt am | |
Schicksal von Manfred Weber zeigte, der seine Karrierepläne in der EU | |
verwirklichen wollte. Oder an Sarah Wagenknecht, die sich aus ihrer | |
Führungsposition bei der Linken zurückziehen musste, weil sie unter dem | |
konstanten Hauen und Stechen nicht aus ihrem Burn-out herausfand. Aber | |
unermüdlich hört man von Experten: In der SPD gehe man schlecht miteinander | |
um. Was ist das bitte für eine SPD-Expertise? Und weshalb sieht niemand | |
einen Weg aus dem Tal? Könnte es mit daran liegen, dass die | |
Problemanalysen zu schwach sind? | |
Die Berichterstattung rund um die SPD ist Teil des Problems der SPD. Selten | |
wurde mir das so deutlich wie beim diesjährigen Kulturempfang der | |
Sozialdemokratie in Berlin, wo ich als Podiumsgast dabei sein durfte. Ich | |
betrat die wirklich hippe Location am Alexanderplatz und wusste sofort: | |
Diese Party ist over. Trotz der Menschen, die sich organisatorisch | |
verausgabten, damit noch das letzte Detail an diesem Abend stimmte. Eine | |
politische Grundstimmung, das leidenschaftliche Miteinander, das Demokratie | |
sein kann, lässt sich nicht herbeiorganisieren. | |
Nein, diese SPD würde wieder kein gutes Ergebnis einfahren. Die strahlende | |
Spitzenkandidatin Katarina Barley war freundlich, kam pünktlich auf die | |
Minute zum Podium und ging genauso pünktlich wieder. WählerInnen bilden | |
sich gerne ein, zumindest in Wahlkampfzeiten müsse man sie umwerben. Wer | |
darauf verzichten kann, kann offensichtlich auf Stimmen verzichten. Der | |
Prototyp des Politikers, der gleich nach dem Grußwort von der Veranstaltung | |
verschwindet, ist längst Teil der Realsatire der Demokratie. | |
Immer wieder wurde Gesine Schwan zitiert und Ideen, die sie in die Partei | |
eingebracht hat. Schwan nickte bei jedem Zitat zustimmend. Sie stand wohl | |
noch immer zu sich. Doch das Warten auf einen Satz, der nach | |
Sozialdemokratie klingt, war eher Beckett-artig. Ich sitze fast betroffen | |
in einem Raum, aus dem die Luft raus ist. Politische Menschen, die nicht | |
streiten wollen für die Welt, in der sie leben möchten. Stattdessen bekomme | |
ich einen dieser blauen Europa-Pullis. Er liegt in einem Karton, der auch | |
ein Pizza-Karton sein könnte, denke ich, und klappe den Deckel auf und zu. | |
„Könnte auch ’ne Pizza drinliegen,“ sagt eine Frauenstimme neben mir und | |
lacht grell auf. „Im Ernst, sind super, die Pullis“, sagt sie. | |
## Banal, aber lebenslustig | |
Andrea Nahles hängt im Stuhl neben mir. Müde vom Tag, aber da. Sie bleibt | |
länger als die EU-Spitzenkandidatin Barley. Nahles schiebt noch drei Sätzen | |
nach, banal, aber lebenslustig. Das laute Lachen hängt sie hinter jeden | |
Satz an und blickt einen wach an. Binnen Minuten ist da mehr Direktheit als | |
den gesamten Abend über. „Verdammt, du magst Andrea Nahles doch nicht“, | |
denke ich, und ich frage mich, wie ich überhaupt darauf komme, dass ich sie | |
nicht mag. | |
Später am Stehtisch unterhält sie die Runde, hört zu, redet über Politik, | |
was sonst. Sie fragt mich über mein neues Buch aus, in dem es um Frauen | |
geht. „Ah, Frauensolidarität“, sagt sie, „auch so was.“ Sie zieht die | |
Augenbrauen hoch. Überhaupt sagt ihre Mimik das eigentlich Wesentliche, | |
ihre Sätze baut sie rhetorisch geschliffen, doch nie ohne den Kommentar, | |
den ihr Lachen, ihr Blick, ihre Augenbrauen machen. Neben ihr ein alter | |
Freund, der mit Autoren und Büchern arbeitet, Kulturempfang eben. Plötzlich | |
redet Andrea Nahles über Bücher, darüber, in welchem Verhältnis das Lesen | |
zum Politikbetrieb steht. Bei Obama hat das gereicht, um ganze Storys über | |
die Empathie zu schreiben, die ihm seine Leseerlebnisse ermöglichen. Von | |
Nahles’ Liebe zur Sprache habe ich nie Einprägsames gehört, weil sie so | |
laut „Bätschi!“ in die Mikros gerufen hat – was ausreichte, um sie für | |
ungehobelt zu erklären. | |
Vermutlich wissen die meisten keine drei politischen Ziele zu nennen, für | |
die Nahles stand, aber den Satz mit „in die Fresse“ kennen alle. Sie | |
spricht an dem Abend noch über Kinder, das Berufsleben als alleinerziehende | |
Mutter und wie das wohl für Männer ist, wenn eine Frau erfolgreicher ist | |
als sie. Ich hätte sie gerne nur ein einziges Mal öffentlich so reden | |
gesehen. Vermutlich hätte man dann einen ihrer nachgeschobenen | |
Mimik-Kommentare herausgezogen und einen Skandal daraus gemacht. Die | |
Politikerin, die mir an diesem Abend gegenüberstand, war mir medial nie | |
vermittelt worden. Erst nach ihrem Rücktritt gab es einige Artikel, | |
vorwiegend von Frauen, die Nahles präziser zeichneten. Als könnten Frauen | |
mit Frauen nur empathisch sein, nachdem sie gescheitert sind. | |
Es heißt, die SPD [3][finde nur noch schwer gutes politisches Personal]. | |
Auch das ist kein Spezifikum dieser Partei, sondern ein grundsätzliches | |
Problem. Für Frauen allemal. Nicht nur Parteien verschleißen ihr Personal. | |
Wie sehr ist einer Berichterstattung zu trauen, der es nicht gelungen ist, | |
eine Politikerin wie Andrea Nahles in ihrer Komplexität zu zeigen? Und | |
welcher Mensch bei Verstand will in die Höhle dieser Löwen? | |
21 Aug 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Hilde-Mattheis-will-den-SPD-Vorsitz/!5616163 | |
[2] /Gesine-Schwan-und-Ralf-Stegner/!5618719 | |
[3] /Das-fehlende-Branding-der-SPD/!5615805 | |
## AUTOREN | |
Jagoda Marinić | |
## TAGS | |
Gesine Schwan | |
SPD | |
Andrea Nahles | |
Olaf Scholz | |
Schlagloch | |
SPD | |
Frauen in Führungspositionen | |
SPD | |
Schwerpunkt Landtagswahlen | |
SPD | |
Gesine Schwan | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neuer Job für Andrea Nahles: Andere Flughöhe | |
Andrea Nahles und Sigmar Gabriel haben den Bundestag verlassen. Er startet | |
durch, sie backt kleinere Brötchen. | |
Andrea Nahles hört auf: „Machen Sie’s gut!“ | |
Nach Jahrzehnten löst sich Andrea Nahles nun endgültig von der SPD. Damit | |
endet nicht nur ihre Karriere – sondern auch eine politische Ära. | |
Rennen um den SPD-Vorsitz: Auf dem Holzweg | |
Für ihre Kandidatenkür hat sich die SPD die Doppelspitze von den Grünen | |
abgeguckt und von der CDU die Regionalkonferenzen. Kann das gut gehen? | |
SPD vor der Landtagswahl in Brandenburg: Im Klammergriff | |
Klara Geywitz bewirbt sich mit Olaf Scholz um den SPD-Vorsitz. In | |
Brandenburg kämpfen sie und andere SPD-Politiker um den Einzug in den | |
Landtag. | |
Hilde Mattheis will den SPD-Vorsitz: Noch eine Bewerberin | |
Langsam wird es unübersichtlich: Auch SPD-Linke Hilde Mattheis will die | |
Partei anführen. Wer ist sie und was hat sie vor? | |
Gesine Schwan und Ralf Stegner: „Wir halten Gegenwind sehr gut aus“ | |
Gemeinsam kandidieren sie für den SPD-Vorsitz. Gesine Schwan und Ralf | |
Stegner über das Potenzial von Rot-Rot-Grün und über die Aktualität | |
solidarischen Handelns. |